Und die dritte und letzte Entscheidung des Tages kommt auch aus Bayern. Im BayObLG, Beschl. v. 10.11.2020 – 201 ObOWi 1369/20 – geht es mal wieder um das Beschlussverfahren (§ 72 OWiG), und zwar um den richtigen Zeitpunkt.
Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch Urteil verurteilt. Der Betroffene macht dagegen geltend, die Voraussetzungen für eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung hätten nicht vorgelegen, da er einem solchen Verfahren rechtzeitig widersprochen habe. Das BayObLG sieht das auch so:
„Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Nr. 5 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat – zumindest vorläufig – Erfolg. Die in noch zulässiger Weise angebrachte Rüge, das Amtsgericht habe durch Beschluss entschieden, obwohl der Betroffene diesem Verfahren rechtzeitig widersprochen habe, (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG), trifft zu. Das Amtsgericht hat ohne Hauptverhandlung entschieden, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für das Beschlussverfahren nicht vorgelegen haben.
1. Nach § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG kann das Gericht, wenn es eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluss entscheiden, wenn der Betroffene und die Staatsanwaltschaft diesem Verfahren nicht widersprechen. Allerdings hatte der Betroffene bereits mit Einlegung des Einspruchs durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 07.01.2020 einer Entscheidung im Beschlusswege ausdrücklich widersprochen. Die von dem Amtsgericht gewählte Verfahrensart verstößt damit gegen § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG, sodass die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben kann.
2. Der Betroffene musste auf die Verfügung des Amtsgerichts vom 07.07.2020 auch nicht erneut widersprechen. Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung wird ein bereits vor dem Hinweis nach § 72 Abs.1 Satz 2 OWiG ausdrücklich oder schlüssig erklärter Widerspruch gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung nicht dadurch gegenstandslos, dass der Betroffene auf den späteren Hinweis schweigt oder die ausdrückliche Anfrage des Gerichts, ob dem schriftlichen Verfahren widersprochen werde, unbeantwortet lässt (vgl. u.a. OLG Bremen Beschl. v. 04.09.2014 – 1 SsBs 42/14 = BeckRS 2014, 23000; OLG Hamm, Beschl. v. 10.06.2013 – 1 RBs 57/13 = ZfSch 2013, 653; OLG Schleswig, Beschl. v. 09.02.2004 – 1 Ss OWi 26/04 = NJW 2004, 3133 = StraFo 2004, 390 = NZV 2005, 110 = NStZ 2004, 701; OLG Jena, Beschl. v. 20.01.2006 – 1 Ss 298/05 = VRS 111, 143; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 06.03.1989 – 1 Ss 42/89 = VRS 76 [1989], 449 = MDR 1989, 936 = ZfSch 1990, 324 sowie BayObLG, Beschl. v. 27.07.1994 – 2 ObOWi 351/94 = BayObLGSt 1994, 128 = NZV 1994, 492 = VRS 88 [1995], 61). Insbesondere kann der Widerspruch auch bereits gegenüber der Verwaltungsbehörde – etwa mit dem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid – wirksam erklärt werden, wobei er seine Sperrwirkung gegen das schriftliche Verfahren erst mit Eingang bei Gericht entfaltet (OLG Bremen a.a.O.).
3. Auch die Tatsache, dass sich der Betroffene persönlich nach Fassung des Beschlusses vom 30.07.2020, der am 31.07.2020 hinausgegeben wurde, mit am 31.07.2020 eingegangenem Schreiben mit der Entscheidung im Beschlussverfahren einverstanden erklärt hat, ändert nichts an der Unzulässigkeit der Entscheidung im Beschlusswege. Zwar verzichtet der Widerspruchsberechtigte mit Rücknahme des Widerspruchs auf das Widerspruchsrecht. Die Rücknahme ist auch an keine Form und Frist gebunden. Allerdings ist die Rücknahme nach Beschlussfassung wirkungslos.
Das Amtsgericht hätte somit nicht ohne mündliche Hauptverhandlung entscheiden dürfen.“