Und dann der Start in die letzte Woche des Jahres 2020 – keine ganze Woche in 2020 mehr, nur noch ein paar Tage, der Rest der Woche – der Kalender spricht von der 53. Woche – gehört dann schon dem neuen Jahr. Also besser: Jetzt ist zwischen den Jahren.
Und ich stelle dann heute zwei Entscheidungen zu § 329 StPO vor, also Verwerfung der Berufung. Ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 16.09.2020 – 3 Ss 56/20 – zur Frage der genügenden Entschuldigung. Ich habe mit dem Beschluss meine Probleme, mir geht er zu weit.
Das LG hatte die Berufung des Angeklagten verworfen (§ 329 Abs. 1 StPO). Der hatte sich mit einem OP-Termin entschuldigt. Das hat (auch) das KG nicht ausreichen lassen:
„Der Angeklagte ist der Berufungshauptverhandlung unentschuldigt ferngeblieben, weil er seine Verhandlungsunfähigkeit selbst herbeigeführt hat. Es ist anerkannt, dass eine bewusst selbst herbeigeführte Erkrankung, die zur Verhandlungsunfähigkeit führt, das Ausbleiben grundsätzlich nicht entschuldigen kann (vgl. Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 329 Rn. 38, auch Rn. 8 m. w. N.; vgl. auch BGHSt 23, 331; BayObLG NStZ-RR 1998, 368; OLG Köln VRS 65, 47). So war es hier: In Kenntnis des am 14. Mai 2020 anstehenden Verhandlungstermins, zu dem er bereits am 27. Februar 2020 geladen worden war, hat der Angeklagte eine Augenoperation vereinbart und kurz vor dem Termin, nämlich am 12. Mai 2020, durchführen lassen, ohne dass dieser Zeitpunkt medizinisch indiziert gewesen wäre.
Dass seine Verhandlungsunfähigkeit allein auf eine (im Übrigen nur pauschal behauptete und nicht näher bezeichnete) „Komplikation“ (RB S. 2) zurückgeht und für ihn daher überraschend kam, wird dadurch infrage gestellt, dass der Angeklagte bereits eine Woche vor dem Verhandlungstermin im Hinblick auf die Operation die Verlegung des Hauptverhandlungstermins beantragt hat.
Sollte der Angeklagte seine Verhandlungsunfähigkeit nicht auf eine (unvorhersehbare) Komplikation, sondern, wie eine andere Formulierung in der Revisionsschrift nahelegt, auf (vorhersehbare) „Besonderheiten der Operation“ stützen wollen (RB S. 2), so ist ihm vorzuwerfen, dass er bei der Bestimmung des Operationstermins nicht nachgefragt hat, ob er zwei Tage danach verhandlungsfähig sein wird und an seiner Berufungshauptverhandlung teilnehmen kann. In diesem Fall wäre er gehalten gewesen, einen anderen Operationstermin in Anspruch zu nehmen.“
Mit geht das zu weit: Warum kann „überraschend“ nicht auch bereits eine Woche vor dem OP-Termin sein? Und muss ich nun wirklich vor der Vereinbarung eines OP-Termins beim Berufungsgericht nachfragen, ob der Termin recht ist? Und wenn ich es nicht tue: Ist das dann vorwerfbar i.S. des § 329 StPO?
Wenn ich solche Entscheidungen lese, frage ich mich immer: Gibt es eigentlich nichts Wichtigeres auf der Welt als die Berufung in einem Betrugsverfahren?
Die Härte der Entscheidung liegt wohl darin begründet, dass sich der Senat leicht veräppelt gefühlt hat. Wenn man einen Verlegungsantrag stellt, der abgelehnt wird, benötigt man einen wirklich guten und neuen Grund. Das Durchdrücken des Fernbleiben wird dann dadurch sanktioniert.
Die Praxis ist ja seit Jahren von Seiten der Literatur und auch des EGMR kritisiert worden, weil die Regelung in § 329 nur wenig Rechtsstaatliches beinhaltet. Man muss sich vergegenwärtigen, dass Revisionen beim Kammergericht gewöhnlicherweise schon vor Anberaumung eines Termins verworfen werden, die Revision also noch nicht mal offensichtlich unbegründet war. In einer solchen Lage den „billigen Weg“ der Rechtsmittelverwerfung zu wählen, halte ich für berufsethisch höchst fragwürdig. Die Regelung in § 329 wird aber von der richterlichen Seite in Deutschland nicht in Frage gestellt, was schon Einiges über die Vergegenwärtigung des Erledigungsdrucks in den richterlichen Köpfen aussagt.
Ergänzend dazu scheint den beiden Gerichten die Bedeutung des Wortes „vorausschauend“ nicht ganz bewusst zu sein. Ich kann ja durchaus eine Terminsverlegung beantragen, für den Fall, dass eine Komplikation / etwas Unerwartetes passiert (also sozusagen vorsorglich), ohne eben damit zu rechnen. „Unerwartet“ / „Überraschend“ bezieht sich nicht nur auf „Black swans“ , sondern ist schon ein weitergehender Begriff.
Je nach Falllage (ich kenne die Hintergründe ja nicht) wird dem Angeklagten hier also für alle Beteiligten positive Handlung zum Nachteil angerechnet. Frei nach dem Motto ‚Keine gute Tat bleibt ungesühnt.“
Ich ziehe hieraus jedenfalls den Schluss, in einer ähnlichen Situation (= ich weiss, dass ich *evtl.* zum anberaumten Sitzungstag nicht Verhandlungsfähig bin) nicht vorher Bescheid sage, sondern erst, wenn es tatsächlich ‚passiert‘ ist. Auch wenn dadurch alle anderen Beteiligten einen Tag abschreiben können.