Heute dann gleich noch einmal ein Pflichtverteidigungstag. Heute dann aber mit zwei Entscheidungen zum Verfahrensrecht in Zusammenhang mit den §§ 140 ff. StPO.
Und die erste aus dem Bereich kommt mal wieder vom LG Magdeburg, stammt also vom Kollegen Funck aus Braunschweig. Das LG hat im LG Magdeburg, Beschl. v. 24.07.2020 – 25 Qs 65/20 – zum Begriff der Eröffnung des Tatvorwurfs“ in § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO und zur Einstellung nach § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO Stellung genommen.
Das AG hatte die Bestellung des Kollegen u.a. deshlab abgelehnt, da dem Mandanten der Tatvorwurf nicht eröffnet sei. Dazu dann das LG, das den Kollegen bestellt hat:
„In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, gemäß § 141 Abs. 1 S. 1 StPO unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO liegt vor, da sich der in dieser Sache noch unverteidigte Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Antragsstellung am 31. März 2020 in Haft in der JVA Halle befand.
Dem Beschwerdeführer war zu diesem Zeitpunkt bereits der Tatvorwurf i. S. v. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO eröffnet. Für die Eröffnung des Tatvorwurfes genügt es, dass der Beschuldigte durch amtliche Mitteilung oder auf sonstige Art und Weise vom Tatverdacht gegen ihn Kenntnis erlangt hat. Die Auslegung, nach welcher unter der Eröffnung des Tatvorwurfes i. S. v. § 141 Abs. 1 StPO nur die förmliche Mitteilung i. S. v. §§ 136, 163 a StPO verstanden wird, ist aus Sicht der Kammer unter Beachtung der Neuregelung der Vorschriften zur Bestellung eines Pflichtverteidigers zu eng. Die Gesetzgebungsmaterialien nehmen ausdrücklich Bezug auf Art. 2 Abs. 1 RL (EU) 2016/1919 über Prozesskostenhilfe in Strafverfahren und Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls (RL 2016/1919/EU v. 7. Juli 2020, bar. ABI. 2017 Nr. L 91 S. 40) i. V. m. Art. 2 Abs. 1 S. 1 RL 2013/48/EU über Rechtsbeistand in Strafverfahren und Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls (RL 2013/48/EU v. 22. Oktober 2013, ABI. Nr. L 294 S. 1), nach welchem gerade nicht die förmliche Mitteilung verlangt wird, so dass eine richtlinienkonforme Auslegung des Begriffes geboten ist (BeckOK StPO/Krawczyk, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 141 Rn. 4). Inwieweit der Beschuldigte schon Kenntnis hat, hängt daher nicht von einer förmlichen Beschuldigtenvernehmung ab, sondern davon, ob er tatsächlich Kenntnis hat bzw. hatte. Der Vermerk der Staatsanwaltschaft Magdeburg vom 12. März 2019 zur Sitzung vom 21. Januar 2019 lässt den Schluss zu, dass dem Beschwerdeführer bereits in der Hauptverhandlung – Az.: 13 Ls 233 Js 26233/18 (645/18) – tatsächlich bekannt geworden ist, dass gegen ihn ein Verfahren wegen Anstiftung zur falschen uneidlichen Aussage angestrebt werden könnte, da er bei der Vernehmung der Zeugin pp. auf die der Tatverdacht durch die Staatsanwaltschaft Magdeburg gestützt wird, anwesend war. Jenes stützt im Ergebnis auch der Brief des Beschwerdeführers vom 27. Mai 2020.
Der § 141 Abs. 2 S. 3 StPO ist vorliegend nicht einschlägig, da diese Norm ausdrücklich nur auf die Fälle des § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 StPO angewendet werden kann. Vorliegend richtet sich die Bestellung jedoch nach § 141 Abs. 1 StPO. Eine entsprechende Anwendung von § 141 Abs. 2 S. 3 StPO auf § 141 Abs. 1 i. V. m. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO erachtet die Kammer aufgrund der ausdrücklichen Beschränkung auf § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 StPO für nicht geboten. Aber auch bei entsprechender Anwendung der Vorschrift dürften deren Voraussetzungen nicht erfüllt sein, da aufgrund der bisherigen Zeitdauer und der äußerst ungewissen Zeitspanne bis zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens in Abhängigkeit des Ausganges des Wiederaufnahmeverfahrens in der Sache 333 Js 26233/18 jedenfalls nicht mehr von einer alsbald beabsichtigten Einstellung gesprochen werden kann.“