Und als zweite Entscheidung dann noch einmal etwas zur Bindungswirkung an Entscheidungen aus dem Bußgeldverfahren, wenn es um die Entziehung der Fahrerlaubnis geht, nämlich den OVG Münster, Beschl. v. 09.06.2020 – 16 B 1223/19 (vgl. dazu auch neulich: VG Würzburg, Beschl. v. 28.04.2020 – W 6 S 20.510):
„Der Einwand des Antragstellers, die zeitlich letzte in der Anlage zur Entziehungsverfügung aufgeführte, zum Erreichen von acht Punkten führende Ordnungswidrigkeit habe nicht er, sondern sein Sohn begangen, führt nicht zum Erfolg der Beschwerde. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG ist die nach Landesrecht zuständige Behörde bei den Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden. Der die Ordnungswidrigkeit, die nach dem Beschwerdevorbringen der Sohn des Antragstellers begangen haben soll, ahndende Bußgeldbescheid ist seit 16. April 2019 rechtskräftig. Daran war der Antragsgegner bei der Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers gebunden.
Die Bindung entfällt auch nicht ausnahmsweise. Dass § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG wegen des Gebots materieller Gerechtigkeit im Einzelfall dahingehend auszulegen ist, dass fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen unzulässig sind, wenn die im Straf- oder Bußgeldverfahren zu Lasten des Betroffenen ergangene Entscheidung inhaltlich evident unrichtig ist, ist bei summarischer Prüfung grundsätzlich nicht anzunehmen.
Vgl. OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 28. Mai 2015 – OVG 1 S 71.14 -, juris, Rn. 8; bisher offen lassend: OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Juni 2013 – 16 B 640/13 -, und vom 28. August 2013 – 16 B 904/13 -, juris, Rn. 8 ff.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 4. November 2013 – 10 S 1933/13 -, juris, Rn. 7; zu § 2a StVG: OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Dezember 2009 – 16 B 1505/09 -, juris, Rn. 4 f., und vom 2. März 2010 – 16 B 1316/09 -, juris, Rn. 5 f.; Hamb. OVG, Beschluss vom 3. Dezember 1999 – 3 Bs 250/99 -, juris, Rn. 6; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 5. Februar 2013 – 10 S 2292/12 -, juris, Rn. 4.
Dies widerspräche dem den Willen des Gesetzgebers entsprechenden klaren, keine Ausnahme zulassenden Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Vorschrift, wonach die Fahrerlaubnisbehörde aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung in Verfahren dieser Art gerade nicht prüfen muss, ob die punktebewehrte Ahndung zu Recht erfolgt ist.
Zur Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 13/6914, S. 69 zu § 4 StVG („Die Bindung … gilt auch für die Gerichte, da diese nur über die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörden befinden.“) und S. 67 zu § 2a StVG („Außerdem wird durch Absatz 2 Satz 2 klargestellt, daß die Fahrerlaubnisbehörde bei der Anordnung einer Maßnahme in vollem Umfang an die rechtskräftige Entscheidung über die Ordnungswidrigkeit oder die Straftat gebunden ist und nicht noch einmal prüfen muß, ob der Fahranfänger die Tat tatsächlich begangen hat.“).
Da der Betroffene über hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten im Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren verfügt, bestehen keine Bedenken im Hinblick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG). Er ist gehalten, sich gegen die straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung zur Wehr zu setzen, um (auch) die Berücksichtigung der betreffenden Taten im Verfahren nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zu vermeiden. Ihn belastende rechtskräftige Entscheidungen muss er so lange gegen sich gelten lassen, als sie nicht aufgehoben worden sind oder nicht mehr verwertet werden dürfen. Die Bindung der Fahrerlaubnisbehörde sowie der Verwaltungsgerichte an rechtskräftige Strafurteile bzw. Strafbefehle oder Bußgeldentscheidungen kann nachträglich nur dann entfallen, wenn diese Entscheidungen – anders als vorliegend – im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens oder der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgehoben worden sind.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Januar 2008 – 16 B 1269/07 -, DAR 2008, 540 = juris, Rn. 2 ff., und vom 25. Juli 2017 – 16 B 432/17 -, juris, Rn. 4 ff.
Gemessen daran ist das Vorbringen des Antragstellers, sein Sohn habe die zu dem Stand von acht Punkten führende Ordnungswidrigkeit begangen, unbeachtlich. Es wäre dem Antragsteller möglich und zumutbar gewesen, diesen Einwand im Bußgeldverfahren geltend zu machen. Wie sich aus dem Beschluss des Landgerichts Gießen vom 6. November 2019 ergibt, meldeten sich der Antragsteller und sein Sohn jedoch erst nach Ablauf der Einspruchsfrist bei der Bußgeldbehörde. Der Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Einspruchsfrist hatte deshalb keinen Erfolg.
Die (außerhalb der Beschwerdebegründungsfrist vorgetragenen) beruflichen Auswirkungen der Fahrerlaubnisentziehung stellen keine Umstände dar, die im Rahmen der Interessenabwägung dazu führen, dass dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers entgegen der gesetzlichen Wertung in § 4 Abs. 9 StVG Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse einzuräumen wäre.“