Heute ist in einigen Bundesländern Feiertag – Fronleichnam. Hier oben wird durchgearbeitet. Daher arbeite ich hier auch durch und es kommen ganz normal drei Postings. Thematik heute: Einstellung und alles, was damit zusammenhängt.
Und ich eröffne mit dem BVerfG, Beschl. v. 31.01.2020 – 2 BvR 2592/18 -, der mal wieder zu den Anforderungen an einen (zulässigen) Klageerzwingungsantrag Stellung nimmt. Die Entscheidung hat folgenden Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer befand sich wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung („Umsatzsteuerkarussell“) in U-Haft in der JVA Kempten. Am 30.06.2015 verstarb seine Mutter, die am 05.08.2015 in Berlin beigesetzt werden sollte. Mit Beschluss vom 03.08.2015 gestattete das AG Augsburg gemäß § 119a Abs. 1 Satz 1 StPO auf seinen Antrag die Teilnahme an der Beerdigung in Berlin und ordnete die Ausführung an. Die JVA habe nicht hinreichend begründet, aus welchen Gründen dies personell und organisatorisch nicht durchzuführen sei.
Am 04.08.2015 teilte die als Leiterin der JVA tätige Beschuldigte gegenüber der zuständigen Ermittlungsrichterin mit, dass sie den Beschluss vom 03.08.2015 nicht umsetzen könne; es fehle für eine Zuständigkeit des Amtsgerichts nach § 119a StPO an einer Ausgangsentscheidung der JVA. Die JVA nahm die Ausführung in der Folge nicht vor, sodass der Beschwerdeführer an der Beisetzung nicht teilnehmen konnte. Mit Beschluss vom 11.07.2016 stellte das LG Augsburg die Rechtswidrigkeit der unterlassenen Ausführung fest.
Der Beschwerdeführer hat dann Strafanzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft Kempten hat das Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigte gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Für den Tatbestand der Rechtsbeugung fehle es bezogen auf den konkreten Einzelfall an der Leitungs- und Entscheidungskompetenz der Beschuldigten. Eine Freiheitsberaubung liege tatbestandlich nicht vor, da hierdurch lediglich die Freiheit der Ortsveränderung, nicht jedoch das Interesse am Aufsuchen eines bestimmten Ortes und dortigen Verweilen geschützt werde.
Dagegen dann Beschwerde und „Klageerzwingungsantrag“. Das OLG München hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig verworfen. Die Antragsschrift erfülle die Voraussetzungen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht vollständig. Zum subjektiven Tatbestand der Nötigung werde auf die als Anlage beigefügte Strafanzeige Bezug genommen; nähere Ausführungen hierzu fehlten. Zur Rechtsbeugung werde ohne nähere Begründung vorgetragen, dass die Beschuldigte in Kenntnis des Beschlusses vom 03.08.2015 aus sachwidrigen Motiven entschieden habe, den Beschwerdeführer nicht ausführen zu lassen. Im Hinblick auf die schwierige Rechtslage wäre – auch vor dem Hintergrund des Art. 24 Abs. 2 Satz 1 BayVollzG (muss wohl heißen: „Art 24 Abs. 2 Satz 1 BayUVollzG“: – eine Begründung für die Schlüssigkeit jedoch unabdingbar gewesen, zumal auch nicht vorgebracht werde, weshalb gegebenenfalls eine unrichtige Rechtsansicht der Beschuldigten ausgeschlossen werden könne.
Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde, die das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen hat. Es hat sie als unzulässig angesehen. Zu § 172 StPO führt das BVerfG aus:
„2. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG darin erblickt, dass das Oberlandesgericht die Darlegungsanforderungen im Verfahren nach § 172 Abs. 3 StPO überspannt habe, muss der Verfassungsbeschwerde der Erfolg ebenfalls versagt bleiben.
Zwar verbietet Art. 19 Abs. 4 GG, ein von der Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel durch eine überstrenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften ineffektiv zu machen und für den Rechtsmittelführer „leer laufen“ zu lassen (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>). Auch dürfen Formerfordernisse nicht weitergehen, als es durch ihren Zweck geboten ist, da von ihnen die Gewährung des Rechtsschutzes abhängt. Dies gilt auch für die Darlegungsanforderungen nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. BVerfGK 14, 211 <214>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juli 2016 – 2 BvR 2040/15 -, Rn. 13); § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO spricht von der Angabe der Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und der diese belegenden Beweismittel.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es verfassungsrechtlich jedoch unbedenklich, wenn diese Norm dahingehend ausgelegt wird, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten muss, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt, und dass die Sachdarstellung in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit wiederzugeben hat, wodurch das Oberlandesgericht in die Lage versetzt werden soll, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. BVerfGK 2, 45 <50>; 5, 45 <48>; 14, 211 <214 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. April 2016 – 2 BvR 1155/15 -, Rn. 4; stRspr). Es verstößt insofern nicht gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, wenn von einem Antragsteller im Rahmen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO verlangt wird, dass er den für strafbar erachteten Sachverhalt in sich geschlossen so darstellt, dass dieser – als wahr unterstellt – die Erhebung der öffentlichen Klage gegen den Beschuldigten rechtfertigen würde (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Januar 2017 – 2 BvR 225/16 -, Rn. 6).
Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht die Ausführungen zum subjektiven Tatbestand des § 339 StGB für unzureichend gehalten hat.“
Also: Nichts Neues. Allerdings macht einen das zugrunde liegende Verfahren – ohne jetzt die Einzelheiten zu kennen – schon betroffen.
Man muss der Fairness halber aber hier mal betonen, dass AG und LG hier im Ausgangsverfahren nichts falsch gemacht haben, sondern die JVA sich über die eindeutige gerichtliche Anordnung Kraft eigener Machtvollkommenheit hinweg gesetzt hat. Das muss keine Rechtsbeugung sein (dafür kenne ich die Einzelheiten auch zu wenig) – es war allerdings ziemlich widerlich.
Sinn der U-Haft, die Unschuldsvermutung, Art. 6 EMRK, fair trial Prinzip und gesunder Menschenverstand stehen entgegen…
Wo soll er denn hin flüchten von der Beerdigung? Links und rechts je zwei Wachtmeister daneben stellen. Fertig. Sieht ja schon pietätlos genug aus auf so nem Friedhof wenn man mich fragt…
Noch dazu – das muss man ja auch mal sagen – reden wir von Wirtschaftskriminalität und nicht von Mord als Delikt, das im Raum steht (auch wenn man es unnötigerweise zu § 129 StGB aufgeblasen hat, anstatt sich einfach mit § 370 AO zu begnügen…)
Die gehören für die Nummer ins Gefängnis, ja,keine Frage. Alles gut. Und Geld zurück obendrein, mit Zinsen und allem Tipp und zapp. Aber für ne halbe Stunde Weinen am Grab hätte es doch bitte noch gelangt… So viele Mütter wird er nicht haben, dass er alle zwei Wochen Ausflüge wird machen wollen… Wir behaupten doch immer, wir wären ein Rechtsstaat…
(/Zynismus Ende)
Ich habe doch auch gegen AG/LG nicht gemeckert 🙂