Rechtsmittel I: Rechtsmitteleinlegung durch mehrere Verteidiger, oder: Rücknahme nur durch einen Verteidiger

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Ich stelle dann heute drei BGH-Entscheidungen zur Rechtsmittelrücknahme bzw. zum Rechtsmittelverzicht vor.

Und ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 10.07.2019 – 2 StR 181/19, dem folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde gelegen hat:

„Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen „Beihilfe zur Untreue in Tateinheit mit Betrug in 75 rechtlich selbständigen Fällen“ eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verhängt, eine Einziehungsentscheidung getroffen und ihn zur Zahlung von Schadensersatz an die Adhäsionsklägerin verurteilt. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Pflichtverteidiger Dr. B. , der dem Angeklagten durch das Tatgericht zusätzlich gemäß § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO für das Adhäsionsverfahren beigeordnet worden war, wie auch dessen weiterer Pflichtverteidiger Dr. S. form- und fristgerecht Revision eingelegt.

Mit Schriftsatz vom 8. März 2019 beschränkte Rechtsanwalt Dr. B. die Revision auf den Adhäsionsausspruch, wobei er versicherte, dass dieses Vorgehen mit dem Angeklagten abgesprochen sei und kündigte an, eine entsprechende schriftliche Vollmacht nachzureichen. Er übersandte mit Schriftsatz vom 13. März 2019 eine vom 9. März 2018 datierende Vollmacht. Darin erklärt der Angeklagte: „Mir ist bekannt, dass mit der Beschränkung der Revision auf den Adhäsionsausspruch das Urteil des Landgerichts Gera hinsichtlich der Verurteilung im Übrigen, insbesondere hinsichtlich des Strafausspruchs und der Einziehungsentscheidung rechtskräftig wird“.

Mit Schriftsatz vom 11. März 2019 nahm der weitere Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt Dr. S. , „die Revision unter ausdrücklicher Ermächtigung des Herrn W. (Anlage) zurück.“ Als Anlage war eine E-Mail des Angeklagten an Rechtsanwalt Dr. S. vom 11. März 2019 beigefügt, in welcher der Angeklagte ausführte, „hiermit bitte ich um die Rücknahme der eingelegten Revision zum Urteil vom 4. Januar 2019 am Landgericht Gera.“

Auf Nachfrage des Rechtspflegers beim Generalbundesanwalt erklärte Rechtsanwalt Dr. B. , er sei der Auffassung, dass die zweite Revisionsrücknahme durch Rechtsanwalt Dr. S. sich nur auf den strafrechtlichen Teil des Urteils beschränke und nicht das Rechtsmittel gegen den Adhäsionsausspruch erfasse. Schriftsätzlich führte er aus, die Ermächtigung des weiteren Pflichtverteidigers durch den Angeklagten müsse, ebenso wie dessen Revisionsrücknahme, vor dem Hintergrund der mit dem Tatgericht getroffenen Verständigung gesehen werden, die nicht den Adhäsionsausspruch erfasst habe und hinsichtlich derer die Verteidigung gegenüber dem Gericht kommuniziert habe, das die Revision gegen das Urteil hinsichtlich des Adhäsionsausspruchs in jedem Fall durchgeführt werden solle. Insoweit sei zwischen beiden Verteidigern und dem Angeklagten abgesprochen gewesen, „dass die Revision hinsichtlich des Strafausspruchs und der Einziehungsentscheidung – deklaratorisch – auch von dem Verteidiger Dr. S. zurückgenommen werden sollte“, da das auf die Adhäsionsentscheidung beschränkte Revisionsverfahren allein von Rechtsanwalt Dr. B. habe bearbeitet werden sollen.“

Der BGH hat die die Wirksamkeit der Rücknahme der Revision des Angeklagten durch die Erklärung von Rechtsanwalt Dr. S. vom 11.03.2019 festgestellt.

„1. Die Rücknahme eines Rechtsmittels muss als Prozesshandlung zweifelsfrei erklärt werden, um Wirksamkeit zu erlangen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2016 – 3 StR 311/16, juris Rn. 2, vom 24. August 2016 – 1 StR 380/16, juris Rn. 2; Senat, Beschluss vom 3. November 2011 – 2 StR 353/11, juris Rn. 3; LR/Jesse, StPO, 26. Aufl., § 302 Rn. 21, KK-StPO/Paul, 7. Aufl., § 302 Rn. 11). Der Wille des Angeklagten auf die Herbeiführung der Rücknahme muss sich eindeutig aus der Erklärung ergeben (vgl. Radtke in Radtke/Hohmann, StPO, § 302 Rn. 11; KK-StPO/Paul, aaO; MüKo-StPO/Allgayer, § 302 Rn. 6; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 302 Rn. 20; jeweils mwN). Nur bei einer nicht eindeutigen Erklärung sind der Gesamtsinn der Erklärung (BGH, Beschluss vom 11. März 2003 – 1 StR 60/03, juris Rn. 1, vom 19. September 1996 – 1 StR 487/96, juris Rn. 10) und die Umstände ihrer Abgabe maßgeblich (Radtke in Radtke/Hohmann, aaO; SK-Frisch, StPO, 5. Aufl., § 302 Rn. 18).

2. Nach diesen Grundsätzen bewirkt die Erklärung des Verteidigers Dr. S. vom 11. März 2019 eine umfassende Rechtsmittelrücknahme.

a) Bereits der Wortlaut des anwaltlichen Schriftsatzes „nehme ich die Revision unter ausdrücklicher Ermächtigung (des Angeklagten) zurück“, lässt keinen Raum für die Annahme einer irgendwie gearteten Beschränkung der Rechtsmittelrücknahme. Die Erklärung ist inhaltlich eindeutig und zweifelsfrei auf eine Beendigung des Revisionsverfahrens und damit den Eintritt der Rechtskraft des landgerichtlichen Urteils gerichtet. Weder die gewählte anwaltliche Formulierung noch die in Bezug genommene E-Mail des Angeklagten lassen erkennen, dass die erklärte Revisionsrücknahme nicht die vormalige Anfechtung des Adhäsionsausspruchs umfassen soll. Da sich die Rücknahmeerklärung an das Gericht und damit an keinen individuell bestimmten Erklärungsempfänger richtet, kommt es für die Auslegung ? entgegen der Ansicht der Verteidigung ? weder auf Umstände an, die einzelnen Beteiligten der Strafkammer jenseits des objektiven Akteninhalts bekannt sind (vgl. BeckOK-BGB/Bamberger/Roth/Hau/Poseck, 50. Ed., § 133 Rn. 28), noch darauf, wie das Landgericht die Rücknahmeerklärung gewertet und behandelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2009 ? VI ZB 89/08, NJW-RR 2010, 278, 279).

b) Zudem war auch aus den sonstigen Umständen nicht erkennbar, dass die weitere Rücknahmeerklärung durch Rechtsanwalt Dr. S. , die der Rücknahmeerklärung von Rechtsanwalt Dr. B. zeitlich nachfolgte und in ihrem Erklärungsinhalt über diese hinausging, lediglich „deklaratorischen“ Charakter haben sollte.

aa) Die ohne Beschränkung – jeweils als Revision bezeichneten ? form- und fristgerechten Erklärungen der beiden Verteidiger richten sich inhaltlich sowohl gegen den strafrechtlichen (§ 333 StPO) wie auch den zivilrechtlichen (§ 406a Abs. 2 StPO) Teil des landgerichtlichen Urteils. Unbeschadet der Tatsache, dass der Verteidiger nach § 297 StPO aus eigenem Recht und in eigenem Namen tätig werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 1972 – 3 StR 282/71, GA 1973, 46, 47), handelt es sich bei dem von ihm eingelegten Rechtsmittel um ein solches des Beschuldigten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2016 – 4 StR 149/16, BGHSt 61, 218, 220; vom 17. Februar 2011 – 4 StR 691/10, StraFo 2011, 232; vom 13. Juni 2006 – 4 StR 182/06, NStZ-RR 2007, 210; vom 9. August 1995 – 1 StR 699/94, BGHR StPO § 302 Abs. 2 Rücknahme 8). Die Erklärungen der beiden Verteidiger führen damit nicht zu mehreren selbständigen, sondern zu einem einheitlichen Rechtsmittel des Beschuldigten (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 1995 – 1 StR 699/94, aaO; OLG Jena, Beschluss vom 10. August 2015 – 1 OLG 171 Ss 25/15, StraFo 2016, 28, 29; LR/Jesse, StPO, aaO, § 302, Rn. 87). Dementsprechend hat die wirksame Rücknahme der Revision durch einen Verteidiger den Verlust des einheitlichen Rechtsmittels, auch soweit dieses von anderen Verteidigern eingelegt worden ist, zur Folge (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 1995 – 1 StR 699/94, aaO).

bb) Angesichts dessen lassen die sonstigen Umstände nicht erkennen, dass die weitere Rücknahme vom 11. März 2019 lediglich „deklaratorischen“ Inhalt haben sollte. Denn für eine derartige Erklärung bestand keine Notwendigkeit. Rechtsanwalt Dr. B. hatte das Rechtsmittel des Angeklagten durch den Schriftsatz vom 8. März 2019 wirksam auf den Adhäsionsausspruch beschränkt. Vor diesem Hintergrund konnte der weiteren ? umfassenden ? Erklärung von Rechtsanwalt Dr. S. nach den Maßstäben der Prozessordnung und der Aktenlage nur der Sinn beigemessen werden, dass das Rechtsmittel insgesamt zurückgenommen werden sollte. Ein derartiger Erklärungsinhalt widersprach auch keineswegs der Interessenlage des Angeklagten. Denn es sind keine objektiven Umstände dargestellt oder erkennbar, die einem nachträglichen Entschluss des Angeklagten zu einer umfassenden Rechtsmittelrücknahme entgegenstehen. Von daher begründet allein der Umstand, dass die weitere Rücknahmeerklärung nicht durch denjenigen Pflichtverteidiger erfolgte, der dem Angeklagten durch das Tatgericht im Adhäsionsverfahren beigeordnet war, keine Zweifel an der Eindeutigkeit der Rücknahmeerklärung.

3. Gegen die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung durch Rechtsanwalt Dr. S. bestehen keine Bedenken.

a) Der Angeklagte, dem, wie die Vollmacht gegenüber Rechtsanwalt Dr. B. vom 9. März 2019 belegt, zu diesem Zeitpunkt die Wirkung der Revisionsbeschränkung bekannt war, hat durch die E-Mail vom 11. März 2019 seinen weiteren Pflichtverteidiger beauftragt und ermächtigt, seine Revision gegenüber dem Tatgericht in Gänze zurückzunehmen.

b) Offen bleiben kann, ob der Angeklagte, wie von der Verteidigung vorgetragen, bei der Beauftragung und Ermächtigung seines weiteren Verteidigers die Fehlvorstellung hatte, die mit ihm abgestimmte und von ihm beauftragte weitere Rücknahme sei nur „deklaratorisch“. Ein derartiger Irrtum ließe die Wirksamkeit der Rechtmittelrücknahme unberührt.

Die Revisionsrücknahme ist ebenso wie der Rechtsmittelverzicht generell unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 ? 3 StR 61/18, juris Rn. 2; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 302 Rn. 9, jeweils mwN). Ausnahmen von diesem Grundsatz werden von der Rechtsprechung nur in eng begrenztem Umfang zugelassen (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 10. Januar 2001 – 2 StR 500/00, BGHSt 46, 257, 258). Ein durch einen Verteidiger hervorgerufener Irrtum des Angeklagten kann einen solchen Ausnahmefall nicht begründen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. August 2016 – 1 StR 301/16, juris Rn. 15; Beschluss vom 13. Mai 2003 ? 4 StR 135/03, juris Rn. 3; vom 10. April 1991 – 3 StR 354/90, juris Rn. 4). Denn die Erklärung eines Angeklagten ist in diesem Fall, anders als bei einem durch das Gericht verursachten Irrtum, nicht mit derart schwerwiegenden Willensmängeln behaftet, dass Gründe der Gerechtigkeit dazu führen müssten, die Rücknahmeerklärung als unwirksam zu behandeln (vgl. zum Maßstab auch BGH, Urteil vom 21. April 1999 – 5 StR 714/98, BGHSt 45, 51, 53).“

Also: Aufgepasst, wenn mehrere Verteidiger verteidigen.