Archiv für den Monat: April 2018

Nochmals Verteidiger aufgepasst, oder: Vollmacht für den Mandanten selbst unterschreiben geht nicht mehr

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Ich komme dann noch einmal auf die Änderungen in § 329 StPO – Verwerfung der Berufung bei Ausbleiben des Angeklagten – zurück. Ich hatte ja schon vor einiger Zeit über den OLG Hamburg, Beschl. v. 25.07.2017 – 1 Rev 37/17 berichtet. Das war der Abgesang der Möglichkeit für den Verteidiger, sich ggf. selbst die Vertretervollmacht, die erforderlich ist, um den Mandanten in der Hauptverhandlung vertreten zu können zu unterschreiben (vgl. dazu a. hier Verteidiger aufgepasst, oder: Vollmacht für den Mandanten selbst unterschreiben geht nicht mehr). Ich hatte ja schon zu dem OLG Hamburg, Beschluss geschrieben, dass die Möglichkeit wohl nicht mehr besteht.

So jetzt vor einiger Zeit auch das KG im KG, Beschl. v. 23.11.2017 – (4) 161 Ss 158/17 (213/17):

„Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Revision auch unter Zugrundelegung des der Revisionsbegründung mittelbar zu entnehmenden Sachverhalts der Erfolg versagt bleiben müsste. Das Landgericht ist danach zu Recht davon ausgegangen, dass der unentschuldigt nicht zur Berufungshauptverhandlung erschienene Angeklagte von seinem Verteidiger nicht wirksam vertreten worden ist. Die Vertretung des abwesenden Angeklagten setzt nach § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO voraus, dass der Angeklagte den Verteidiger zuvor schriftlich zur Vertretung bevollmächtigt hat. Nicht ausreichend ist es insoweit, wenn die Vollmacht aufgrund einer mündlichen Ermächtigung durch den Angeklagten von dem zu bevollmächtigten Verteidiger selbst unterzeichnet wird (so ausdrücklich der dem § 329 Abs. 1 StPO in der seit dem 25. Juli 2015 geltenden Fassung zugrunde liegende Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 18/3562, Seite 68, unter Abkehr von der abweichenden früheren Rechtsprechung des BayObLG NStZ 2002, 277 f. zu § 234 StPO; zur aktuellen Rechtslage wie hier bereits OLG Hamburg StraFo 2017, 371 mwN). Nach den Erwägungen des Gesetzgebers ist die Erteilung der besonderen Vertretungsvollmacht durch den Angeklagten im Interesse der Rechtssicherheit gegenüber dem Gericht nachzuweisen (vgl. BT-Drucks. 18/3562, Seiten 61, 68). Diesem Schutzzweck ist nur Genüge getan, wenn dem Gericht ein von dem Angeklagten selbst unterzeichnetes Schriftstück vorgelegt wird. Auch die besondere Tragweite der Bevollmächtigung verlangt eine für das Gericht nachvollziehbare Dokumentation durch den Angeklagten selbst (vgl. OLG Hamburg aaO). Aus dem von dem Angeklagten ins Feld geführten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 8. November 2012 (Nummer 30804/07; Rechtssache Neziraj ./. Bundesrepublik Deutschland; StraFo 2012, 490 ff.), in dessen Umsetzung die nunmehr in § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO enthaltene Vertretungsregelung geschaffen wurde (vgl. BT-Drucks. 18/3562, Seiten 53, 61), folgt nichts anderes. Nach dem Urteil ist (lediglich) sicherzustellen, dass die Berufung eines abwesenden Angeklagten nicht verworfen wird, wenn für diesen ein zur Vertretung bevollmächtigter Verteidiger auftritt. Zum Nachweis der Vollmacht verhält sich die Entscheidung nicht explizit.“

M.E. war es das. Verteidigern kann daher nur dringend geraten werden, sich vorab die Vertretervollmacht vom Mandanten unterschreiben zu lassen. Der kluge Mann bau vor.

Beide Entscheidungen sind zu § 329 StPO ergangen. Wie sich die Rechtsprechung zu den §§ 73, 74 OWiG entwickelt, muss man abwarten. da hat sich zwar nichts geändert….., aber……

Erzwingungshaft II, oder: Wenn der Betroffene früher mal nicht angetroffen worden ist

Den Abschluss der beiden  Entscheidungen zur Erzwingungshaft (§ 96 OWiG) macht der AG Dortmund, Beschl. v. 16.01.2018 –  729 OWi 2/18 [b]. Es geht mal wieder um die Frage der Verhältnismäßigkeit der Erzwingungshaft. Das AG Dortmund hat deren Anordnung abgelehnt. Leitsatz/Begründung der Entscheidung:

„Erschöpfen sich die dokumentierten Vollstreckungsversuche darin, dass in anderen Angelegenheiten 3 Monate vor Zustellung des nun zu vollstreckenden Bußgeldbescheides die Feststellung „Schuldner nicht angetroffen“ getroffen wurde, so erscheint bei einer nur zu vollstreckenden Geldbuße von 20 Euro eine Ermessensentscheidung des Gerichtes, durch die Erzwingungshaft nach § 96 OWiG angeordnet wird, nicht geboten und wäre auch unverhältnismäßig.“

Erzwingungshaft I, oder: Ein Tag für 15 EUR

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Und dann heute noch zwei Entscheidungen zur Erzwingungshaft. Zunächst der LG Berlin, Beschl. v. 04.04.2018 – 502 Qs 16/18. Es geht um die Vollstreckung einer Restgeldbuße von 130 €. Dafür setzt das AG eine Erzwingungshaft von 26 Tagen fest. Dem LG ist das zu hoch. Es kommt „nur“ zu 20 Tagen:

„a) Die Vorschrift über die Anordnung der Erzwingungshaft, § 96 OWiG, trifft keine konkrete Regelung über die Bemessung der Dauer. Hierbei handelt es sich um eine Entscheidung des Gesetzgebers, der diese Frage der Rechtsprechung überlassen hat (BT-Drs. V/1269, S. 119).

Mit dem Wort „bemessen“ bezweckte der Gesetzgeber, dass nicht stets die in § 96 Abs. 3 Satz 1 OWiG vorgesehene Höchstdauer von sechs Wochen = 42 Tagen anzuordnen, sondern im Einzelfall zu entscheiden ist (vgl. BT-Drs. a.a.O, s. a. LG Berlin, NZV 2004, S. 656).

b) Bei der Bemessung der Dauer der Erzwingungshaft ist nach dem Wortlaut des § 96 Abs. 3 Satz 2 OWiG „auch“ der zu zahlende Betrag der Geldbuße zu berücksichtigen.

Der Gesetzgeber wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die Höhe der Geldbuße einer der Bezugspunkte für das Maß der Erzwingungshaft ist und auch das Vorverhalten des Betroffenen, beispielsweise eine besondere Hartnäckigkeit, eine planmäßige Vereitelung der Vollstreckung und der Grad seiner Freiheitsempfindlichkeit wie etwa schwerwiegende persönliche oder berufliche Auswirkungen von Bedeutung sind.

Eine bloß schematische Umrechnung von Geldbuße in Tage der anzuordnenden Erzwingungshaft ist daher vom Gesetzgeber nicht gewollt. Insgesamt muss die Dauer verhältnismäßig sein.

c) Die Anordnung der Erzwingungshaft ist nach dem Gesetz („kann“, § 96 Abs. 1 Satz 1 OWiG) eine Opportunitätsentscheidung des Gerichts, das bei der Ausübung seines Ermessens jedoch nur vollstreckungsrechtliche Erwägungen anstellen darf. Das Gericht darf daher die Erzwingungshaft nicht als ersatzweises Übel anwenden, weil die Erzwingungshaft lediglich ein Beugemittel zur Durchsetzung der dem Betroffenen obliegenden Pflichten ist (zum Vorstehenden insbesondere BT-Drs. V/1269, S. 117, 119; s.a. KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, § 96, Rn. 32; Göhler-OWiG/Seitz, § 96, Rn. 17; vgl. auch BVerfG NJW 1977, S. 293 ff.).

d) Soweit in der Literatur teilweise die Ansicht vertreten wird, dass sich aus §§ 17, 56 OWiG Ermessensgrenzen für die Bemessung der Dauer der Erzwingungshaft ergäben und daher die maximale Dauer von 42 Tagen nur bei Geldbußen von mehr als 1.000 Euro in Betracht komme und bei Geldbußen bis zu 55 Euro höchstens ein Tag zu verhängen sei (Blum/Gassner/Seith-OWiG, 1. Aufl. 2016, § 96, Rn. 21), so stellt diese Ansicht einseitig lediglich auf die Höhe der Geldbuße ab. Der Gesetzgeber hat nach dem zuvor Gesagten gerade keine nur an der Geldbuße orientierten Ermessensgrenzen vorgesehen, sondern ausdrücklich weitere Gesichtspunkte zugelassen.

e) Auch die veröffentlichte Rechtsprechung ist am Einzelfall orientiert: Wegen 10755 DM Geldbuße sind 88 Tage festgesetzt worden (zum Verfahren VerfGH Berlin NStZ-RR 2001, S. 211); wegen einer Geldbuße von 275 Euro sind sechs Tage und für eine Geldbuße von 375 Euro sind acht Tage festgesetzt worden (LG Duisburg, Beschl., vom 8. Januar 2013, 69 Qs 2/13, juris – zustimmend Bohnert/Krenberger/Krumm-OWiG, 4. Aufl. 2016, § 96, Rn. 13); wegen einer Geldbuße von 255,65 Euro sind 10 Tage festgesetzt worden (LG Berlin NZV 2004, S. 656); wegen einer Geldbuße von 50 Euro sind fünf Tage festgesetzt worden (LG Berlin NJW 2007, S. 1541 f.); wegen einer Geldbuße von 40 Euro sind zehn Tage festgesetzt worden (LG Berlin NZV 2007, S. 373 f.); wegen einer Geldbuße von 30 Euro sind zwei Tage verhängt worden (LG Berlin NZV 2007, S. 324, nachdem das Amtsgericht sechs Tage festgesetzt hatte); wegen Geldbußen von 15 Euro sind jeweils zwei Tage festgesetzt worden (LG Arnsberg NZV 2006, S. 446; der Betroffene befand sich indes in Strafhaft, daher ablehnend Eisenberg NZV 2007, S. 102); und wegen einer Geldbuße von fünf Euro ist Erzwingungshaft abgelehnt worden (AG Lüdinghausen NZV 2005, S. 600).

f) In der Regel wird jedoch eine Festsetzung, die für jeweils 15 Euro des nicht gezahlten Bußgeldes einen Tag Erzwingungshaft vorsieht, nicht unverhältnismäßig sein. Denn bei hohen Bußgeldern wird die Höchstdauer der Freiheitsentziehung bereits durch das Gesetz (§ 96 Abs. 3 Satz 1 OWiG) begrenzt. Andererseits muss die Erzwingungshaft auch bei niedrigeren Bußgeldern ihren Zweck erfüllen können, ein wirksames Mittel dafür zu sein, dass die Pflicht zur Zahlung der Geldbuße gebührend beachtet wird (vgl. BT-Drs. a.a.O., S. 117). Daher ist es auch nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall ein niedrigerer oder höherer Wert zur Grundlage der Bemessung der Erzwingungshaft herangezogen wird.“

Um die Grundsätze kann man m.E. streiten. Aber hier: Auch bei einem Betroffenen, der Leistungen nach dem ALG II bezieht und sich nach seinem Vortrag im Regelinsolvenzverfahren befinden soll, wohl noch angemessen. Denn: Die Geldbuße ist seit zwei Jahren bekannt. Und: Ich vermute mal, dass die mehrfachen Erklärungen des Betroffenen, zahlen zu wollen, ohne dann zu zahlen, die Kammer „genervt“ haben.

Lichtbildidentifizierung, oder: Mutter aller Entscheidungen

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Den Opener macht heute der BGH, Beschl. v. 07.02.2018 – 4 StR 376/17. Nichts Besonderes, aber er ruft noch einmal die an die Beweiswürdigung zu stellenden Anforderungen ins Gedächtnis, wenn es um die Identifizierung anhand eines Lichtbildes gilt.

Die Strafkammer in Kiel hatte die Angeklagten u.a. wegen erpresserischen Menschenraubes verurteilt. Die Strafkammer hat ihre Überzeugung von der Tatbeteiligung der Angeklagten maßgeblich auf die Bekundungen eines Zeugen gestützt, der angegeben hat, in der Justizvollzugsanstalt von einem Mitgefangenen gesprächsweise erfahren zu haben, dass einer der Angeklagten einem Mitgefangenen gegenüber die Begehung des Überfalls gemeinsam mit einem anderen Angeklagten eingeräumt habe. Diese Zeugenaussage hat das LG insbesondere deshalb für glaubhaft erachtet, weil die Schilderung des Zeugen, wonach sein Gesprächspartner auch von einem weiteren, dem Angeklagten zum damaligen Zeitpunkt noch nicht zugeordneten Überfall auf einen Baumarkt in Bayern berichtet habe, durch ergänzende polizeiliche Ermittlungen bestätigt worden ist und die Strafkammer in der Hauptverhandlung auf einem in Augenschein genommenen Lichtbild des Täters aus dem beigezogenen polizeilichen Ermittlungsvorgang den Angeklagten als abgebildete Person erkannt hat. Dagegen die Revision, mit der  beanstandet wird, dass die Darlegungen im angefochtenen Urteil zur Identifizierung des Angeklagten anhand des in Augenschein genommenen Lichtbildes den hierzu in der Rechtsprechung entwickelten sachlich-rechtlichen Anforderungen nicht genügen.

Der BGH sagt: Mit Recht, denn BGHSt 41, 376 – die Mutter aller Entscheidungen dazu – ist nicht beachtet:

„Stützt der Tatrichter nach dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung seine Überzeugung auf die Identifizierung einer abgebildeten Person auf dem Lichtbild einer Überwachungskamera, müssen sich die Urteilsgründe dazu verhalten, ob das Lichtbild überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Dies kann dadurch geschehen, dass im Urteil gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf das bei den Akten befindliche Foto verwiesen wird. Macht der Tatrichter von der Möglichkeit einer solchen Verweisung, durch welche das Lichtbild selbst Bestandteil der Urteilsgründe wird, keinen Gebrauch, muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität, insbesondere zur Bildschärfe, enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale so präzise beschreiben, dass anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1995 – 4 StR 170/95, BGHSt 41, 376, 382 ff.; Sander in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 101 mwN; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 71 Rn. 47a). Entsprechende Angaben lassen die Urteilsgründe, die sich darauf beschränken, die festgestellte Übereinstimmung des halbseitigen Profils der linken Kopfseite der abgebildeten Person mit der entsprechenden Kopfpartie des Angeklagten mitzuteilen, in Gänze vermissen.“

 

Umweltzone, oder: Parken ohne Plakette

entnommen wikimedia.org
Urheber Jojo659

Und als letzte Entscheidung dann noch den AG Marburg, Beschl. v. 25.02.2018 – 52 OWi 2/18. In ihm geht es mal wieder um die Frage: Kann ein Kostenbescheid gegen den Halter nach Parken in einer Umweltzone ohne Plakette ergehen? Das AG sagt nein. Das Verkehrszeichen 270.1 gem. § 41 Abs. 2 Nr. 6 StVO bedarf einer restriktiven Auslegung und betreffe nicht (auch) den ruhenden, sondern ausschließlich den fließenden Verkehr:

„Der Kostenbescheid war aufzuheben, weil im vorliegenden Fall schon die Voraussetzungen des § 25a StVG nicht vorliegen. Es ist schon kein Halte- oder Parkverstoß ersichtlich. Der Anhörungsbogen in demselben Ordnungswidrigkeitenverfahren bezog sich auf einen ganz anderen Vorwurf. Dem Betroffenen wurde darin vorgeworfen, trotz eines Verkehrsverbots zur ermeidung schädlicher Luftverunreinigung (Zeichen 270.1, 270.2) mit einem Kraftfahrzeug am Verkehr teilgenommen zu haben. Diese Ordnungswidrigkeit wird jedoch von § 25a StVG nicht erfasst.

Von einem parkenden Fahrzeug werden gerade keine Partikelemissionen freigesetzt, womit das geschützte Rechtsgut — die Reinheit der Luft — nicht beeinträchtigt wird (Sandherr, DAR 2008, 209). Die Vorschrift des Verkehrszeichen 270.1 gem. § 41 Abs. 2 Nr. 6 StVO bedarf einer restriktiven Auslegung und betrifft nicht (auch) den ruhenden, sondern ausschließlich den fließenden Verkehr (Sandherr, DAR 2008, 409f.). Durch Nr. 153 BKat ist das Führen eines Fahrzeugs ohne Plakette bußgeldbewehrt, mithin nicht das Halten oder Parken. Das Verkehrsverbot in Umweltzonen (Z. 270.1) ist daher nicht dem ruhenden Verkehr zuzuordnen (Hentschel, StraßenverkehrsR, § 25a StVG, Rn. 5; Sandherr, DAR 2008, 409f.). Daher sind die Voraussetzungen der Kostentragungspflicht des Halters gem. § 25a I StVG sind nicht gegeben. § 25a Abs. 1 StVG betrifft nur die Fälle von Ermittlungsverfahren, die wegen eines Halt- oder Parkverstoßes geführt werden und ein solcher Verstoß ergibt sich gerade nicht aus der Akte. Zudem wurde der Betroffene bezüglich des angeblichen Halt- bzw. Parkverstoßes zu keiner Zeit angehört.“