Archiv für den Monat: Januar 2018

Angeklagter: „Ich stehe nur für Allah auf“, oder: Ordnungsgeld?

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Die zweite vorgestellte Entscheidung ist der BVerfG, Beschl. v. 08.11.2017 – 2 BvR 1366/17. Wenn man den Beschluss liest, wundert man sich, dass die Entscheidung dem BVerfG eine PM wert war.

Der Sachverhalt ist zwar interessant. Es geht um einen gemäß § 178 GVG verhängten Ordnungsgeldbeschluss, nachdem der Angeklagte geweigert hatt, der Aufforderung des Gerichts, sich zur Urteilsverkündung zu erheben, Folge zu leisten. Außerdem war er ohne ausreichende Entschuldigung um 30 Minuten verspätet zur Hauptverhandlung erschienen. Der Angeklagte hatte sich auch bereits früher geweigert, sich anlässlich der Vereidigung eines Zeugen zu erheben, und war zudem wiederholt verspätet zur Hauptverhandlung erschienen. Der Angeklagte begründete seine Weigerung, für die Urteilsverkündung aufzustehen, damit, dieses sei ihm aus religiösen Gründen verboten, weil er sich nur für Allah erheben dürfe.

Die „Plumpsklo-Entscheidung“ des BVerfG, oder: „Würdig“ Rechtsanwältin zu sein?

Heute dann drei BVerfG-Entscheidungen. Zunächst die „Plumpsklo-Entscheidung“, das ist der BVerfG, Beschl. v. 22.010.2107 – 1 BvR 1822/16, der ja auch schon an einigen anderen Stellen gelaufen ist. Es geht um eine Assessorin, die als Rechtsanwältin zugelassen werden möchte. Das ist ihr von der zuständigen RAK wegen Unwürdigkeit im Sinne des § 7 Nr. 5 BRAO verweigert worden

Begründet hat man das mit „Vorfällen“ aus der Referendarsausbildung der Assessorin:

„Sie sind ein provinzieller Staatsanwalt, der nie aus dem Kaff rausgekommen ist, in dem er versauert. Ihr Weltbild entspricht dem des typischen deutschen Staatsbürgers von 1940. Mit Ihrem Leben und Ihrer Person sind Sie so zufrieden wie das Loch vom Plumpsklo.

Als Sie mich vor sich hatten, sind Sie vor Neid fast erblasst. Ich konnte Ihren Hass geradezu sinnlich wahrnehmen. Am liebsten hätten Sie mich vergast, aber das ist ja heute out. Also taten Sie das einzige, wozu Ihnen Ihre begrenzte Position die Möglichkeit bietet: Sie stellten mir ein wirres Zeugnis aus, das an jeder Realität vorbeigeht. Nun, ich beglückwünsche Sie zu diesem strahlenden Sieg, genießen Sie ihn aufrichtig, kosten Sie ihn bloß richtig aus – denn während es für mich nur ein unerhebliches Ärgernis ist (welches mich, zugegeben ziemlich in meinem Rechtsempfinden berührt), ist es für SIE der Höhepunkt Ihres Lebens. Etwas Schöneres wird Ihnen während Ihrer armseligen Existenz nie erfahren.“

„Ich bestaune die Praxis der Staatsanwaltschaft A., Rechtsbrüche zu verfolgen, ohne sich selber an das Recht zu halten. Sollte das eine Frage der inneren Einstellung sein, gehören Sie nicht in den Justizdienst. Sollte das intellektuell bedingt sein, so besuchen Sie doch noch einmal eine Grundstudiumsvorlesung.“

In den anschließenden Verfahren hat die RAK Recht bekommen. Das BVerfG hat dann aber aufgehoben. Es sieht eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG. RAK und AGH seien zutreffend davon ausgegangen, dass eine Einschränkung der freien Berufswahl nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft ist. Eine diesen Anforderungen entsprechende einzelfallbezogene Abwägung vermisst das BVerfG aber. Es hat zwar keine Einwände gegen die Würdigung der konkret herangezogenen Umstände zur Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit der Assessorin. Ein Fehlverhalten könne nach einer mehr oder minder langen Zeit durch Wohlverhalten oder andere Umstände derart an Bedeutung verlieren, dass es der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr entgegensteht, gleich wohl können sich eine weiterhin bestehende Uneinsichtigkeit und Rechtfertigung der Tat aber gleichwohl zu Lasten eines Bewerbers auswirken. Angemahnt hat das BVerfG dann eine bessere Abwägung der Grundrechte der ehemaligen Referendarin mit den mit ihrer Zulassung verbundenen Gemeinwohlbelangen. Allein die vorgenommene Würdigung ihrer Persönlichkeit mit der nicht näher begründeten Schlussfolgerung, dass sie für den Anwaltsberuf nicht tragbar sei, werde dem nicht gerecht.

Bewaffnetes Handeltreiben, oder: Wenn man die Waffe erst suchen muss…..

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So, und zum Tagesschluss dann noch der Hinweis auf den BGH, Beschl. v. 13.12.2017 – 5 StR 108/17. Thematik: Bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG)? Die Strafkammer hatte: Nein, gesagt, die StA meinte: Ja, und ist in die Revision gegangen. Der BGH sagt: Es bleibt beim Urteil des LG, denn: Bei dem Durcheinander in den Schilderungen der Polizeibeamten hat die Kammer zu Recht ein „Mitsichführen“ verneint:

„Die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es eine Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG abgelehnt hat, begegnen auch angesichts des zur Beweiswürdigung eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 12. Januar 2017 – 1 StR 394/16, StraFo 2017, 378 Rn. 6 mwN) keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Demgemäß muss der hiergegen gerichteten Revision der Staatsanwaltschaft der Erfolg versagt blei-ben.

a) Ein Mitsichführen einer Schusswaffe ist gegeben, wenn der Täter diese in irgendeinem Stadium des Tathergangs bewusst gebrauchsbereit so in seiner Nähe hat, dass er sich ihrer jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 12. Januar 2017 – 1 StR 394/16, aaO Rn. 7; Beschluss vom 10. Feb-ruar 2015 – 5 StR 594/14, NStZ 2015, 349, jeweils mwN). Das Merkmal ist dementsprechend gegeben, wenn sich die Waffe in Griffweite des Täters befin-det (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2015 – 5 StR 594/14, aaO mwN).

b) Von diesem durch die Rechtsprechung ausgeformten rechtlichen Maßstab ist das Landgericht ausgegangen. Jedoch konnte es aufgrund widersprüchlicher und unklarer Angaben der die Durchsuchung durchführenden Polizeibeamten keine Feststellungen zum exakten Auffindeort der Schusswaffe treffen. So hatte ein Beamter ausgeführt, ein unmittelbarer Zugriff auf die Waffe sei nicht möglich gewesen, weil erst etliche Kartons hätten beiseitegelegt werden müssen, um an die Waffe zu kommen. Auch wenn man um den Aufbewahrungsort gewusst habe, sei sie seiner Einschätzung nach nicht „griffbereit“ gewesen. Später bekundete er, das Auffinden der Waffe nicht selbst beobachtet zu haben. Vielmehr sei sie ihm von einem Kollegen übergeben worden, der sie in einem Kartonstapel gefunden habe. Weitere Polizeibeamte konnten keine oder keine verlässlichen Angaben machen. Eine Videoaufzeichnung stellte nach den Bekundungen der polizeilichen Zeugen nicht die Auffindesituation dar. Vielmehr müsse es sich um eine von der Einsatzhundertschaft nachgestellte Szene handeln.

Unter diesen Vorzeichen ist die durch das Landgericht vorgenommene Wertung rechtlich nicht zu beanstanden. Zwar ist die notwendige räumliche Nähe in der Regel vorhanden, wenn sich die Waffe in dem Raum befindet, in dem Handel getrieben wird (vgl. Weber, BtMG, 5. Aufl., § 30a Rn. 139 mwN). Auch dann muss jedoch festgestellt werden, welche Maßnahmen und welcher Zeit-aufwand im Einzelnen erforderlich ist, damit der Täter auf die Waffe zugreifen kann (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2002 – 3 StR 404/01, StV 2002, 489 [Hochklappen eines Sofas]; Weber, aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 8. Januar 2014 – 5 StR 542/13, NStZ 2014, 466). Diesbezügliche Feststellun-gen vermochte das Landgericht aber nicht zu treffen.

Eine Zugriffsnähe im vorbezeichneten Sinn verstand sich nach den auf der Grundlage der Zeugenaussagen im Urteil geschilderten Gegebenheiten (unter Umständen zeitaufwendiges Weglegen von Kartons) auch nicht von selbst. Deswegen durfte das Landgericht nach dem Zweifelssatz vom Nichtvorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Mitsichführens ausgehen. Darin liegt entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts keine fehlerhafte Anwendung des Satzes „in dubio pro reo“ auf einen Rechtsbegriff. Eine Verfahrensrüge hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben.“

„Refugees not welcome“ auf dem T-Shirt, oder: Volksverhetzung?

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Bei zweiten heute vorgestellten Entscheidung handelt es sich um einen Beschluss des OLG Celle, der eine materiell-rechtliche Frage zum Gegenstand hat. Das LG hatte den Angeklagten wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) verurteilt, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen:

Der seit dem Beginn der Flüchtlingskrise um die innere Sicherheit besorgte Angeklagte entwarf auf seinem Rechner zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt nach den in den Medien bekannt gemachten Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht des Jahres 2015 durch Personen mit Migrationshintergrund mehrere Druckmotive für T-Shirts, um diese an geneigte Interessenten zu veräußern. Über den Online-Marktplatz e. bot er dazu im weiteren Verlauf unter dem Benutzernamen „c.“ die von ihm entworfenen Motive feil. Nach Bestellung bedruckte er sodann entsprechende T-Shirts mit dem jeweils gewünschten Motiv und lieferte die Ware an Kunden aus.

Eines der vom Angeklagten entworfenen und über die Internetplattform vertriebenen Druckmotive zeigte auf einem schwarz gefärbten T-Shirt in weißen Großbuchstaben die Überschrift „REFUGEES“. Darunter befand sich mittig ein Piktogramm, welches links eine auf dem Boden kniende Person zeigte. Rechts von dieser war eine stehende Person abgebildet, die ihre rechte Hand auf den Kopf der knienden Person ablegte und in der erhobenen linken Hand einen spitzen Gegenstand hielt. Neben der stehenden Person stand diagonal angeordnet weiter in roten Großbuchstaben das Wort „NOT“. Unterhalb des Piktogramms endete das Druckmotiv mit dem ebenfalls in weißen Großbuchstaben gehaltenen Wort „WELCOME“.

Zwei mit dem vorbezeichneten Druckmotiv versehene T-Shirts veräußerte der Angeklagte für jeweils 15 EUR am 7. Februar 2016 an die Auftraggeber J. H. und R. B.

Zu den weiter auf der Internetplattform durch den Angeklagten feilgebotenen Motiven zählte ein Schriftzug mit dem Inhalt „ICH SAGE NEIN ZU GEWALTBEREITEN KULTURBEREICHERERN“ nebst einem mit „ALLAHU AKBAR“ überschriebenen Piktogramm von drei Personen, von denen zwei Personen mit Kopfbedeckung auf eine am Boden liegende Person mit ihren Füßen eintreten. Ein anderes T-Shirt wies den Schriftzug „GEGEN ISLAMTERROR IN UNSEREM LAND“ mit einem Piktogramm von drei rennenden Personen mit nicht näher identifizierbaren spitzen Gegenständen in den Händen auf. Bei einem weiteren Motiv umfasste der Schriftzug „ICH SAGE NEIN ZU GEWALTBEREITEN ASYLFORDERERN“ ein Piktogramm mit vier Personen, wovon eine augenscheinlich männlich gekleidete Person eine weiblich angezogene Person im Schwitzkasten hält und eine weitere männlich gekleidete Person eine weiblich angezogene Person nach hinten stößt, so dass diese unter Verlust ihres Gehstocks zu stürzen droht.“

Und weiter:

„Rechtlich hat die Kammer diese Tat – soweit sie die Veräußerung von T-Shirts mit dem Aufdruck „Refugees not welcome“ betrifft – als Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nummer 1 StGB gewertet. Sie ist der Auffassung, durch die Feilbietung des vorgenannten T-Shirts habe der Angeklagte zum Hass gegen Flüchtlinge als von § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB geschütztes Angriffsobjekt aufgestachelt und damit den öffentlichen Frieden gestört. So seien Textaussage und Piktogramm als Sinneinheit zu bewerten. Letzteres zeige eine Gewalthandlung in Form einer unmittelbar bevorstehenden Enthauptung. Trotz mehrerer Deutungsmöglichkeiten sei der Aussagegehalt dahingehend verengt, dass Flüchtlinge entweder in der Gesamtheit als gewaltbereite Aggressoren charakterisiert oder zu nämlichen Gewalttaten ihnen gegenüber aufgefordert werde. Die bei den übrigen Motiven immanente Abgrenzung und Einschränkung auf gewaltbereite Personen sei bewusst vom Aussageinhalt ausgenommen worden, um – wie vom Angeklagten erkannt – die vorbezeichneten Ziele und Wirkungen zu erreichen.“

Dazu der Leitsatz des OLG Celle, Beschl. v. 27.10.2017 – 1 Ss 49/17, mit dem der Angeklagtre frei gesprochen worden ist:

„Bei der Anwendung des § 130 StGB ist der objektive Sinn einer Äußerung zu ermitteln. Neben dem Wortlaut und dem sprachlichen Kontext sind hierbei im Rahmen einer Gesamtbetrachtung vor allem die äußeren Begleitumstände zu beachten. Eine mehrdeutige Äußerung (hier: T-Shirt-Aufdruck „REFUGEES NOT WELCOME“ mit gleichzeitigem eine stilisierte Enthauptung wiedergebenden Piktogramm)erfüllt nur dann den Tatbestand der Volksverhetzung, wenn andere nicht völlig fern liegende Deutungen mit schlüssigen Argumenten auszuschließen sind.“

Kann ein Richter am AG dauerhaft Vorsitzender einer Berufungskammer sein?, oder: Nein…

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Eine etwas abgelegene, nicht alltäglich Thematik behandelt der KG, Beschl. v. 14.12.2017 – (4) 121 Ss 127/17 (211/17). Es geht nach einem Berufungsverfahren um die Frage, ob die Berufungskammer ordnungsgemäß besetzt war. Erkennender Richter in der Berufungshauptverhandlung war nämlich ein RiAG W gewesen, der auch im Geschäftsverteilungsplan des LG Berlin als Vorsitzender der Strafkammer ausgewiesen gewesen war. Der sei durch den Geschäftsverteilungsplan zum Vorsitzenden bestimmt, und zwar nicht nur  vorübergehend oder vertretungsweise. Die Kammer sei auch schon die fünf Jahre vorher nicht mehr mit einem Vorsitzenden Richter am LG besetzt gewesen.

Das KG sagt auf die Verfahrensrüge: Kein Vertretungsfall:

Ein Vertretungsfall lag hier offensichtlich nicht vor. Zwar hat die Vorsitzende des Präsidiums ausgeführt, RiAG W und seine in den letzten Jahren tätigen Vorgänger seien als „Vertreter des Vorsitzenden“ eingesetzt worden. Welcher Vorsitzende vertreten werden sollte und weshalb dieser die ihm zugeteilten Aufgaben nicht wahrnehmen konnte, bzw. aus welchen Gründen eine lediglich vorübergehende Vakanz im Vorsitz bestanden haben sollte, bleibt jedoch offen. Es ist nicht ersichtlich, dass RiAG W tatsächlich einen nicht ausdrücklich genannten Vorsitzenden aus dem Kreis der vorhandenen Vorsitzenden Richter oder einen noch zu ernennenden neuen Vorsitzenden Richter vertreten sollte. Auch der Geschäftsverteilungsplan enthielt keinen Hinweis auf eine vertretungsweise Übertragung der Aufgaben des Vorsitzenden. Vielmehr deuten die Mitteilung, die Strafkammer 64 habe seit Jahren „unter anderem auch als Ausbildungs- und Erprobungskammer“ gedient (wobei offen bleibt, was mit „unter anderem auch“ gemeint ist), sowie der Umstand, dass die Kammer seit rund fünf Jahren nicht mehr mit einem statusmäßigen Vorsitzenden besetzt war und ein Hinweis auf eine vertretungsweise Übertragung des Vorsitzes im Geschäftsverteilungsplan fehlte, darauf hin, dass nicht beabsichtigt war, die Kammer in absehbarer Zeit mit einem Vorsitzenden Richter zu besetzen.

Aber:

2. Nach Auffassung des Senats sind die Grundsätze, die für Abordnung von Richtern an obere Gerichte gelten, auch anwendbar, wenn es darum geht, Richter, die die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Satz 2 DRiG erfüllen, innerhalb eines Gerichts mit einem höherwertigen Amt zu betrauen, nämlich dem eines Vorsitzenden einer kleinen Strafkammer.

c) Der Senat hält daher in der Gesamtschau die im Land Berlin in früheren Jahren geübte Praxis für zulässig, Richtern neben der ausschließlich obergerichtlichen neunmonatigen Erprobung auch die Möglichkeit der sog. Kombinationserprobung (sechsmonatiger Einsatz in einer kleinen Strafkammer und anschließende/vorherige sechsmonatige Abordnung an einen Strafsenat des Kammergerichts) zu eröffnen.

Allerdings müssen für die sog. Kombinationserprobung dieselben Maßstäbe gelten wie für die ausschließlich obergerichtliche Erprobung. Danach ist die Zahl der Richter, die zu Erprobungszwecken eingesetzt werden, so klein wie möglich zu halten und ihr Anteil darf, gemessen an der Zahl aller Vorsitzenden der kleinen Strafkammern des Landgerichts, nicht über das dringend gebotene Maß hinaus anwachsen. Der Einsatz eines Richters in einer kleinen Strafkammer darf ebenso wie seine Abordnung an ein höheres Gericht (vgl. § 37 Abs. 1 und 2 DRiG) nur mit seiner Zustimmung für eine bestimmte zuvor festgelegte Zeit und zum im Voraus festgelegten Zweck der Erprobung (vgl. Abschnitt A. Nr. 2 letzter Satz ErprobungsAV [ABl. Bln. 2007, 3206]) erfolgen. Die Auswahl des Richters ist nach den allgemeinen Erprobungsrichtlinien (vgl. Abschnitt B. Nr. 1 bis 3 ErprobungsAV) vorzunehmen. Ebenso wenig, wie das Präsidium des Landgerichts berechtigt ist, darüber zu entscheiden, welche Richter befördert bzw. an das Land- oder Kammergericht abgeordnet werden, liegt es in seiner Kompetenz darüber zu entscheiden, welchen Richtern die Chance auf eine Erprobung eröffnet bzw. versagt wird. Die Aufgabe des Präsidiums ist darauf beschränkt, die anfallenden Geschäfte des Vorsitzes der Strafkammern unter den hierfür zur Verfügung stehenden Richtern – somit den Vorsitzenden Richtern und denen, die nach dem festgelegten Auswahlverfahren (vgl. Abschnitt B. Nr. 3 ErprobungsAV) zur Erprobung ausgewählt wurden – zu verteilen…….

d) Vorliegend gab es keine zwingenden Gründe für den Einsatz von RiAG W als Vorsitzenden der Strafkammer 64.

Seine Verwendung erfolgte insbesondere nicht zum Zweck der Erprobung im Rahmen eines den soeben dargelegten Bedingungen entsprechenden Erprobungsverfahrens, denn zum Zeitpunkt seines Einsatzes in der Strafkammer 64 hatte er (ebenso wie seine Vorgängerin) seine obergerichtliche Erprobung bereits erfolgreich abgeschlossen.

Die von der Vorsitzenden des Präsidiums angeführte „individuelle Personalentwicklung“ ist kein zwingender Grund für die Verwendung eines Richters außerhalb seines Statusamts und somit ohne Gewährleistung seiner persönlichen Unabhängigkeit. Individuelle Personalentwicklung kann und muss durch den Einsatz auf verschiedenen gleichwertigen Arbeitsgebieten betrieben werden (vgl. Abschnitt IV.6 des Rahmenkonzepts zur Personalentwicklung betreffend die Richterinnen und Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Verwaltungsgerichtsbarkeit und des Sozialgerichts sowie die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte i.V.m. § 6 Abs. 2 VGG).“