Archiv für den Monat: Oktober 2017

Pflichti I: Entpflichtung, oder: der Rechtsanwalt „macht seine Sache nicht so, wie er sollte“

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Heute bringe ich dann mal wieder einige Entscheidungen zur Pflichtverteidigung. Zunächst hier dann den KG, Beschl. v. 09.08.2017 – 4 Ws 101/17 – 161 AR 164/17 – zur Problematik der Umbeiordnung. Folgender gekürzter Sachverhalt: Dem Beschuldigen ist Rechtsanwalt W zurm Pflichtverteidiger bestellt worden. Es meldet sich dann Rechtsanwalt L als Wahlverteidiger und beantragt seine Beiordnung und die Entpflichtung von Rechtsanwalt W. Das LG lehnt ab . Die Beschwerde hat beim KG keinen Erfolg:

In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg.

a) Obgleich sich Rechtsanwalt L als Wahlverteidiger zum Verfahren gemeldet hat, war die Bestellung von Rechtsanwalt W nicht nach § 143 StPO zurückzunehmen. Es ist anerkannt, dass – trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 143 StPO – ausnahmsweise eine Zurücknahme der Bestellung nicht zu erfolgen hat, wenn ein unabweisbares Bedürfnis dafür besteht, den Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger tätig bleiben zu lassen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn zu befürchten ist, dass der Wahlverteidiger das Mandat alsbald wegen Mittellosigkeit des Beschuldigten wieder niederlegt, so dass nur durch ein Fortbestehen der Pflichtverteidigung eine ordnungsgemäße Verteidigung sichergestellt werden kann (ständige Rechtsprechung des Kammergerichts, vgl. nur Senat aaO; NStZ 1993, 201 m.w.N.; Kammergericht, Beschluss vom 17. Februar 2015 – 2 Ws 40/15 – m.w.N.; OLG Frankfurt aaO; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 60. Auflage, § 143 Rnr. 2 m.w.N.). Insbesondere kann der Beschuldigte nicht dadurch eine aus anderen Gründen nicht gebotene Auswechselung des Pflichtverteidigers erzwingen, dass sich für ihn ein Wahlverteidiger meldet, daraufhin die Bestellung des Pflichtverteidigers zurückgenommen wird, der Wahlverteidiger sein Wahlmandat niederlegt und dann als Verteidiger des Vertrauens beigeordnet wird (vgl. Senat NStZ 1993, 201 m.w.N.; Kammergericht, Beschluss vom 31. Oktober 2013 – 1 Ws 18/14 m.w.N. –; OLG Frankfurt aaO m.w.N.).

Vorliegend ist eine solche rechtsmissbräuchliche Verdrängung des Pflichtverteidigers aus dem Amt konkret zu befürchten. Zwar hat der Beschwerdeführer geltend gemacht, sein Wahlverteidiger habe gegenüber dem Strafkammervorsitzenden erklärt, er werde ihn in jedem Fall als Wahlverteidiger vertreten, auch wenn er nicht viel Geld habe. Der Senat hat jedoch keinen Zweifel daran, dass der Strafkammervorsitzende den Inhalt seines Telefonats mit dem Wahlverteidiger zutreffend vermerkt hat. Auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer mit der (von Rechtsanwalt L verfassten) Beschwerde ausdrücklich auch die Beiordnung von Rechtsanwalt L als Pflichtverteidiger begehrt, spricht dagegen, dass die Finanzierung des Wahlverteidigers über die gesamte Verfahrenslänge gesichert ist. Sie belegt vielmehr, dass Rechtsanwalt L weiterhin die Beiordnung als Pflichtverteidiger anstrebt.

b) Auch der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Vertrauensverlust führt nicht zur Aufhebung der Beiordnung. Zwar ist anerkannt, dass über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus der Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund zulässig ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 143 Rnr. 3 m.w.N.). Als wichtiger Grund kommt jeder Umstand in Frage, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (vgl. BVerfGE 39, 238). Das ist aber nicht schon dann der Fall, wenn lediglich Auffassungsgegensätze zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger über die Art der Führung der Verteidigung bestehen. Denn der Beschuldigte hat keinen Anspruch auf Abberufung eines Verteidigers, zu dem er kein Vertrauen zu haben glaubt. Die Behauptung einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses muss mit konkreten Tatsachen belegt werden. Ob das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann, ist vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus zu beurteilen (ständige Rechtsprechung des Kammergerichts, vgl. nur NJW 2008, 3652; Beschlüsse vom 31. Mai 2011 – 4 Ws 49/11 –, 5. Februar 2010 – 4 Ws 11/10 – und 30. April 2007 – 2 Ws 229/07 – jeweils m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 143 Rdn. 5 m.w.N.). Anderenfalls hätte es der Beschuldigte in der Hand, jederzeit unter Berufung auf ein fehlendes Vertrauensverhältnis zu seinem Verteidiger einen Verteidigerwechsel herbeizuführen (vgl. BGH NStZ 1993, 600 m.w.N.).

Der Beschwerdeführer behauptet die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses, weil Rechtsanwalt W „seine Sache nicht so (mache), wie er sollte“. Damit sind keine konkreten Umstände glaubhaft gemacht worden, die besorgen ließen, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann. Der bisherige Verfahrensablauf lässt auch keine Versäumnisse des Pflichtverteidigers erkennen. Rechtsanwalt W hat unmittelbar nach der Beiordnung die Durchführung einer mündlichen Haftprüfung beantragt, Akteneinsicht genommen und den Beschwerdeführer in der Haft besucht. Was er vor der Durchführung des Haftprüfungstermins noch hätte tun sollen, lässt der Beschwerdeführer offen. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass unterschiedliche Auffassungen über das Verteidigungskonzept keinen Grund für die Abberufung eines Pflichtverteidigers darstellen. Denn dieser ist rechtskundiger Beistand (§ 137 StPO) und nicht Vertreter des Beschuldigten. Diese Aufgabe verlangt von ihm, sich allseitig unabhängig zu halten und, wo er durch Anträge oder in sonstiger Weise in das Verfahren eingreift, dies in eigener Verantwortung und unabhängig, das heißt frei von Weisungen auch des Beschuldigten, zu tun (vgl. BGH, Entscheidung vom 20. März 2001 – 1 StR 59/01 – m.w.N. [juris]; Senat, Beschlüsse vom 13. Januar 2017 – 4 Ws 11/17 –, 31. Mai 2011 – 4 Ws 49/11 –, 5. Februar 2010 – 4 Ws 11/10 – und 13. Dezember 2005 – 4 Ws 171/05 –, jeweils m.w.N.; Kammergericht, Beschluss vom 26. Mai 2008 – 2 Ws 238/08 – m.w.N.)……“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Wie rechne ich den Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Bußgeldverfahren ab?

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Die Frage vom vergangenen Freitag lautete:  Ich habe da mal eine Frage: Wie rechne ich den Antrag auf gerichtliche Entscheidung im Bußgeldverfahren ab?.

Nun, da konnte ich es mir mit der Antwort recht einfach machen und das kann ich hier dann auch. Ich habe den fragenden Kollegen auf meinen Beitrag im VRR 2013, 213:  Abrechnung im Bußgeldverfahren: Verfahren wegen Akteneinsicht und einem damit verbundenen Rechtsmittels“ hingewiesen. Da steht alles drin, was man wissen muss. Und – bevor Nachfragen kommen: Der Beitrag ist zwar von 2013, aber die Ausführungen haben noch heute Gültigkeit.

Abstand II: Vorsatz und Bezugnahme auf Videoaufnahme

entnommen wikimedia.org
Author Achim Engel

Und der zweite Abstandsbeschluss, den ich vorstelle, ist der OLG Bamberg, Beschl. v. 19.07.2017 – 3 Ss OWi 836/17, und zwar zu den Urteilsanforderungen an einen bedingt vorsätzlichen Abstandsverstoß und die unzulässige Bezugnahme auf eine Videosequenz. Dazu die Leitsätze der Entscheidung:

1. Eine Verurteilung wegen (bedingt) vorsätzlicher Nichteinhaltung des Mindestabstandes setzt eine Auseinandersetzung mit den kognitiven und voluntativen Vorsatzelementen voraus und kann in der Regel auch dann nicht allein mit dem Ausmaß der Abstandsunterschreitung begründet werden, wenn sich die Unterschreitung über den gesamten Beobachtungsbereich der Videomessung erstreckt (Fortführung von OLG Bamberg, Beschl. v. 20.10.2015 – 3 Ss OWi 1704/10 = DAR 2010, 708 = ZfS 2011, 50; = OLGSt StPO § 267 Nr 23)

2. Die Bezugnahme nach § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf eine in Form einer Daten-CD bei den Akten befindliche und in der Hauptverhandlung mit Hilfe eines Abspielgeräts in Augenschein genommene (bewegte) digitale Videoaufzeichnung mit der den Abstandsverstoß dokumentierenden Videosequenz ist unwirksam, weil es sich bei ihr nicht um eine die Außenwelt unmittelbar wiedergebende Abbildung handelt (Anschluss an BGH, Urt. v. 02.11.2011 – 2 StR 332/11 = BGHSt 57, 53 = NJW 2012, 244 = NStZ 2012, 228 = BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 3 Verweisung 4).

Nichts Neues.

Abstand I: Wie lange muss die Unterschreitung dauern?

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Ich eröffne die Woche dann mit zwei Entscheidungen zur Abstandsunterschreitung (§ 4 StVO). Den Opener macht der OLG Oldenburg, Beschl. v. 17.08.2017 – 2 Ss (OWi) 220/17 – zur erforderlichen Dauer der Unterschreitung. Dazu meint das OLG (noch einmal):

„Die Wiedergabe der Dauer der Abstandsunterschreitung hat ihren Grund darin, dass es immer Verkehrssituationen geben kann, die für Augenblicke zu einem sehr geringen Abstand führen, ohne dass dies eine schuldhafte Pflichtverletzung begründen würde (OLG Koblenz, Beschluss vom 13.05.2002, 1 Ss 75/02 juris). Es kommt deshalb darauf an, dass es eine solche Änderung der Verkehrssituation vor der Messung nicht gegeben hat … Tatbestandsmäßig handelt – wenn es an einem solchen“: den Abstand unabhängig vom Willen des Betroffenen verringernden) „Verkehrsvorgang fehlt – allerdings schon, wer zu irgendeinem Zeitpunkt seiner Fahrt objektiv pflichtwidrig und subjektiv vorwerfbar den erforderlichen Abstand unterschreitet (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 10.07.2007, 1 Ss 197/07 juris; Hentschel/König/Dauer-König, Straßenverkehrsrecht, 41. [jetzt: 44.] Aufl., § 4 StVO Rdnr. 22). Eine bestimmte Dauer der eigentlichen Abstandsunterschreitung fordert der einschlägige Bußgeldtatbestand demgegenüber nicht.“

Dem steht auch die Entscheidung des OLG Hamm vom 9.7.2013 (NStZ-RR 2013, 318) nicht entgegen, da das OLG Hamm es ausdrücklich offen gelassen hat, ob auch kurzfristigere Abstandsunterschreitungen als 3 Sekunden ahndungswürdig sein können. Das OLG Hamm stellt somit gerade keine Mindestanforderungen auf. Außerdem hat das OLG in einer späteren Entscheidung klargestellt, dass es auf das Vorliegen einer nicht nur ganz vorübergehenden Abstandsunterschreitung nur ankomme, wenn Verkehrssituationen in Frage stünden, wie etwa das plötzliche Abbremsen des Vorausfahrenden oder der abstandsverkürzende Spurwechsel eines dritten Fahrzeuges, die kurzzeitig zu einem sehr geringen Abstand führen, ohne dass dem Nachfahrenden allein deshalb eine schuldhafte Pflichtverletzung angelastet werden könne ( OLG Hamm, ZfSch 2015, 711).

Damit kann eine Abstandsunterschreitung zu einem bestimmten Zeitpunkt ausreichen. Erforderlich ist es allerdings festzustellen, dass nicht zuvor eine Verkehrssituation vorgelegen hat, die die Abstandsunterschreitung als nicht schuldhaft erscheinen ließ. Diesen Anforderungen wird das Urteil gerecht.“

Sonntagswitz, heute zu Statistik(en)

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In der ablaufenden Woche war am 20.10.2017 der Weltstatistiktag. Das hat mich auf die Idee gebracht, Witze zur Statistik zu suchen. Und gefunden habe ich:

Ein Jäger schießt auf einen Hasen.
Der Hase schlägt einen Haken, und die Kugel fliegt 10 cm links am Hasen vorbei.
Der Jäger schießt nochmal. Diesmal fliegt die Kugel 10 cm rechts am Hasen vorbei.
Statistisch gesehen ist der Hase tot.


Frau: „In der Küche passieren statistisch gesehen die meisten Unfälle!“
Mann: „Ja, und ich muss sie immer essen!“

Kennst Du schon den neuesten Statistikerwitz?
Wahrscheinlich …

4 von 10 Leuten haben keine Ahnung von Statistik!
Das sind fast 75 %!