Heute dann mal wieder drei Entscheidungen zur Pflichtverteidigung. Zunächst der LG Braunschweig, Beschl. v. 22.08.2017 – 3 Qs 74/17, den mir der Kollege Funck aus Braunschweig übersandt hat. Es geht um ein BtM-Verfahren, in dem eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation besteht. Das LG meint – anders als zuvor das AG -: Dann gibt es einen Pflichtverteidiger:
„Die Beschwerde der Angeklagten ist zulässig und begründet, denn der Angeklagten ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen.
Die Notwendigkeit der Verteidigung folgt aus der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage. Die Angeklagte bestreitet die ihr zur Last gelegte Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Der Ausgang der Hauptverhandlung hängt allein davon ab, ob das erkennende Gericht der Aussage des Belastungszeugen pp. folgt.
Zwar erfordert nicht jede Aussage-gegen-Aussage-Konstellation die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Kann jedoch aus weiteren Indizien allein nicht hinreichend sicher auf die Richtigkeit der Angaben des einzigen Belastungszeugen geschlossen werden und ist deshalb eine besondere Glaubwürdigkeitsprüfung erforderlich und kommen weitere die Beweiswürdigung zusätzlich erschwerende Umstände hinzu, so kann eine sachgerechte Verteidigung, insbesondere das Aufzeigen von eventuellen Widersprüchen in den Angaben der jeweiligen Belastungszeugen, nur durch Kenntnis des gesamten Akteninhaltes gewährleistet werden. Dieser ist aber – auch nach der Neufassung des § 147 StPO – nur dem Verteidiger zugänglich, sodass in diesem Falle die Bestellung des Pflichtverteidigers unumgänglich ist (OLG Frankfurt a.M., Beschluss vorn 31.03.2009 – 3 Ws 271/09 m.w.N.).
So liegt die Sache hier. Vorliegend handelt es sich um eine belastende Aussage aus dem BtM-Milieu. Weitere belastende Beweismittel sind nicht vorhanden, Die Hausdurchsuchung ist ohne Ergebnis geblieben. Die weiteren Zeugen können keine eigenen Wahrnehmungen schildern. Ohne vollständige Aktenkenntnis ist die sachgerechte Verteidigung für die heranwachsende Angeklagte nicht hinreichend möglich, da nur durch vollständige Aktenkenntnis die Möglichkeit besteht, eventuelle Widersprüche in der Aussage des einzigen Belastungszeugen zu erkennen und auf diese im Verteidigungsverhalten zu reagieren. Hinzu kommt die prozessuale Sondersituation, dass die in hiesiger Sache zuständige Jugendrichterin zugleich als Zeugin für die richterlichen Angaben des Hauptbelastungszeugen in der Hauptverhandlung in Betracht kommt.“