Heute ist Freitag und damit an sich „Gebührentag“. Im Moment habe ich aber leider nur sehr wenige Entscheidungen zu gebührenrechtlichen Fragen, die ich vorstellen könnte. Daher muss ich „ausweichen“. Und das tue ich jetzt mit dem KG, Beschl. v. 09.12.2016 – 4 Ws 191/16, schon etwas „betagt“, aber ich erst vor kurezm auf ihn gestoßen (worden). Der Beschluss behandelt eine Konstellation, die (entfernt) auch mit Gebühren zu tun hat. Ich hoffe, dass die im Beschluss dargestellte Vorgehensweise in der Praxis selten ist. Es geht nämlich um die Frage: Wie kann ich als Strafkammervorsitzender der Staatskasse die Kosten für einen Pflichtverteidiger ersparen? Und die Frage hat der Vorsitzende einer Berufungsstrafkammer in Berlin auf nicht nachahmenswerte Weise beantwortet.
Folgender Sachverhalt: Gegen den Angeklagten ist seit dem 31.05.2016 das Berufungsverfahren beim des LG anhängig. Mit Verfügung vom 03.06.2016 beraumte der (ordentliche) Kammervorsitzende den Hauptverhandlungstermin auf den 04.01.2017 an. In der Folgezeit wurde bekannt, dass der Angeklagte inhaftiert ist, worauf der Vorsitzende unter dem 26.08.2016 dessen Vor- und Rückführung aus dieser Anstalt anordnete. Nachdem der Angeklagte mit Schreiben vom 15.10.2016 unter Beifügung einer Haftbescheinigung, die seine Inhaftierung vom 10.06.2016 bis voraussichtlich zum 25.02.2017 ausweist, die Beiordnung eines Verteidigers beantragt hatte, gewährte der ordentliche Kammervorsitzende der Staatsanwaltschaft die Gelegenheit, zu diesem Antrag Stellung zu nehmen. Die Staatsanwaltschaft äußerte sich dahin, dass „zu gegebener Zeit“ die Haftverhältnisse zu prüfen und sodann über die Beiordnung zu entscheiden sei. Mit diesem Verfahrensstand lagen die Akten am 02.11.2016 dem Dezernatsvertreter des Kammervorsitzenden vor. Dieser verfügte – flugs – „zur Ersparung von Kosten für einen andernfalls notwendigen Verteidiger“ die Aufhebung des Termins vom 04.01.2017, ließ die Staatsanwaltschaft davon in Kenntnis setzen, dass ein neuer Termin „nach Haftentlassung des Angeklagten“ anberaumt werde, und bestimmte eine Frist zur Widervorlage der Sache von drei Monaten.
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Angeklagten hatte beim KG Erfolg. Das KG sagt: Zulässig und begründet mit der Folge, dass die Aufhebung des Termins als rechtswidirg festgestellt wird:
„1. Die Beschwerde ist zulässig. § 305 Abs. 1 Satz 1 StPO steht der Anfechtung nicht entgegen. Zwar unterliegen nach dieser Vorschrift Entscheidungen, die der Urteilsfällung vorausgehen, insbesondere auch Terminsverfügungen des Vorsitzenden, grundsätzlich nicht der Beschwerde. Damit sind aber nur solche Entscheidungen gemeint, die im inneren Zusammenhang mit dem nachfolgenden Urteil stehen, ausschließlich seiner Vorbereitung dienen und keine weiteren Verfahrenswirkungen erzeugen (OLG Frankfurt StV 1990, 201; OLG Braunschweig StraFo 1996, 59 mwN). Maßnahmen, die eine vom Urteil nicht umfasste, selbständige Beschwer eines Verfahrensbeteiligten bewirken sowie vom erkennenden Gericht nicht bei Erlass des Urteils und auch nicht im Rahmen einer Urteilsanfechtung nachprüfbar sind, bleiben selbständig anfechtbar. Überprüfbar ist im Rahmen einer Terminsverfügung aber nur die Frage, ob der Vorsitzende sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt und dadurch eine selbständige Beschwer für Prozessbeteiligte bewirkt hat, dagegen nicht die Zweckmäßigkeit einer Terminsbestimmung (vgl. OLG Braunschweig aaO; s. auch Senat, Beschluss vom 5. Juni 2001 – 4 Ws 80/01 – mwN).
Bei der dem Vorsitzenden obliegenden Prüfung hat dieser sämtliche Gesichtspunkte erkennbar in Betracht zu ziehen und sachgerecht zu gewichten, die für die Abwägung der Interessen aller Prozessbeteiligten mit den Interessen der Strafrechtspflege bedeutsam sind (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Februar 2013 – 4 Ws 28/13 – mwN). Insbesondere hat er den im Strafverfahren im Allgemeinen, nicht nur in Untersuchungshaftfällen, geltenden Beschleunigungsgrundsatz (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) zu beachten, der nicht nur dem Schutz des Angeklagten dient, sondern auch im öffentlichen Interesse liegt (vgl. dazu näher OLG Braunschweig aaO; Senat, Beschluss vom 5. Juni 2001 – 4 Ws 80/01 –, jeweils mwN).
Hiernach war die vorliegende bloße Aufhebung des Termins zur Berufungshauptverhandlung, die ausschließlich der Vermeidung der in der gegebenen Verfahrenslage von Gesetzes wegen gebotenen Bestellung eines Pflichtverteidigers (§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO) diente, ersichtlich ermessensfehlerhaft und damit prozessordnungswidrig. Eine besondere, selbständige Beschwer erzeugt eine Terminierungsentscheidung, wenn sie das Urteil nicht vorbereitet, sich also nicht auf das Verfahren fördernd auswirkt, sondern vielmehr, da sie letztlich nur den Erlass des Urteils verzögert, ausschließlich verfahrenshemmend wirkt (vgl. OLG Frankfurt aaO; Senat aaO). So liegt es hier. Ein anzuerkennender sachlicher Grund für die Aufhebung des Termins und das Hinausschieben der Neuterminierung, die angesichts des ersichtlich langen Terminsstands der Berufungskammer zu einer maßgeblichen Verzögerung des Berufungsverfahrens in der vorliegenden, einfachen Sache führen werden, ist nicht ersichtlich.
2. Die Beschwerde ist aufgrund dieses Fehlers bei der Ermessensausübung auch begründet. Da das Beschwerdegericht wegen der dem Vorsitzenden zustehenden „Terminshoheit“ und des diesem insoweit eingeräumten Ermessens einen neuen Hauptverhandlungstermin nicht selbst festsetzen kann, hatte sich der Senat auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Terminsaufhebung zu beschränken (vgl. OLG Frankfurt; OLG Braunschweig; Senat, jeweils aaO mwN). Das Landgericht wird die Sache ohne vermeidbare Verzögerungen neu zu terminieren haben.“
Ohne weitere Worte….
„Ja, Ew. Majestät – wenn das Kammergericht in Berlin nicht wäre!“ soll der Müller von Sanssouci Friedrich II. entgegnet haben, als der ihm drohte „Weiß Er wohl, daß ich Ihm seine Mühle nehmen kann, ohne einen Groschen dafür zu geben?“
Ich freue mich jedes Mal, wenn „mein“ Kammergericht sich dieser Tradition würdig zeigt – was leider keineswegs immer der Fall ist …