Die zweite verkehrsrechtliche Entscheidung – zumindest mit verkehrsrechtlichem Einschlag – ist der OLG Hamm, Beschl. v. 15.09.2016 – 3 RVs 70/16 (zum ersten Posting Keine Schonfrist beim StGB-Fahrverbot, oder: Nicht zu kreativ….). Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, im Straßenverkehr alkoholisiert einen Motorroller geführt zu haben (§ 316 StGB). Das AG hat den Angeklagte von dem Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Straßenverkehr frei gesprochen. Auf die Berufung der StA hat das LG das Urteil aufgehoben und den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. In seinem Urteil hat das LG ausgeführt, dass zwar nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Angeklagte infolge seiner massiven Alkoholisierung in seiner Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, erheblich vermindert sei, § 21 StGB. Dennoch habe die Strafkammer von der fakultativen Milderungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht, da der Angeklagte getrunken habe, obwohl er damit rechnete, noch als Fahrer am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen. Vor diesem Hintergrund sei die Tat auch nicht allein deshalb milder als der Normalfall zu werten, weil die alkoholische Beeinflussung recht hoch sei.
Die Revision des Angeklagten hatte hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg. Die Leitsätze des OLG Hamm:
- Voraussetzung für eine Versagung der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ist stets, dass dem Angeklagten die Alkoholaufnahme zum Vorwurf gemacht werden kann. Dies kommt in der Regel dann nicht in Betracht, wenn der Täter alkoholkrank ist oder ihn der Alkohol zumindest weitgehend beherrscht, wenn also in der aktuellen Alkoholaufnahme kein schulderhöhender Umstand gesehen werden kann.
- Bei der Trunkenheitsfahrt mit einem Roller handelt es sich um eine erhebliche Straftat im Sinne des § 64 StGB.
Das OLG ist hier davon ausgegangen, dass aufgrund einer doch sehr wahrscheinlichen Alkoholkrankheit bereits erhebliche Zweifel an der Vorwerfbarkeit der Alkoholaufnahme durch den Angeklagten bestanden haben. Damit musst es nicht zu der Frage Stellung nehmen, inwiefern alleine die durch verschuldete Trunkenheit selbstverantwortlich herbeigeführte erheblich verminderte Schuldfähigkeit eine Versagung der Strafmilderung nach §§ 21, 491 Abs. 1 StGB. rechtfertigen kann. Diese Frage wird m.E. demnächst aufgrund eines Anfragebeschlusses des 3. Strafsenats (§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG) (BGH StraFo 2016, 33) wahrscheinlich den Großen Senat für Strafsachen beschäftigen. Denn anders als der 3. Strafsenat und auch der 4. Strafsenat (BGH NStZ-RR 2016, 305) ist der 1. Strafsenat des BGH (vgl. Beschl. v. 10.05.2016 – 1 ARs 21/15) der Auffassung, dass der Umstand der selbst verschuldeten Trunkenheit des Täters eine Versagung der Strafrahmenverschiebung nicht rechtfertigt, wenn sich nicht zugleich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant infolge der Trunkenheit erhöht habe. Hierfür soll etwa das Wissen des Täters, dass er unter Alkoholeinfluss zu strafbaren Verhaltensweisen neige, aber trotzdem Alkohol trinke, genügen. Ähnlich wie der 1. Strafsenat wird die Frage vom 5. Strafsenat beantwortet (vgl. Beschl. v. 01.03. 2016 – 5 ARs 50/16).
Beanstandet hat das OLG auch, dass das LG die Voraussetzungen des § 64 StGB nicht geprüft hat. Denn bei der Trunkenheitsfahrt des Angeklagten mit einem Roller handele es sich um eine erhebliche Straftat im Sinne dieser Vorschrift (s. auch OLG Celle StRR 2015, 69 = NStZ-RR 2015, 24). Der Angeklagte sei zu einem Zeitpunkt, zu dem die Straßen vorhersehbar nicht menschenleer sind, mit seinem Roller gefahren und war dabei ganz erheblich alkoholisiert. Ein solches Verhalten könne für andere Verkehrsteilnehmer mit erheblichen Gefahren verbunden sein (vgl. dazu schon: Mit dem Mofa in die Entziehungsanstalt?).