Archiv für den Monat: November 2016

Kleines Schmankerl: In die Abhilfeentscheidung gehört eine Kostenentscheidung

© Alex White _Fotolia.com

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Ein kleines Schmankerl ist der OLG Nürnberg, Beschl. v. 02.09.2016 – 1 Ws 299/16. Er behandelt eine kostenrechtliche Frage, nämlich: Wenn im Beschwerdeverfahren eine vollständige Abhilfe (§ 306 Abs. 2 StPO) erfolgt, was ist dann mit den Kosten des Beschwerdeverfahrens? M.E. eine Problematik, die  in der Praxis gar nicht so selten ist. Das zeigt mir auch eine Anfrage eines Kollegen, die mich gerade erst während meines Urlaubs erreicht hatte. Dem Kollegen konnte ich dann mit dem Beschluss des OLG Nürnberg (aus)helfen.

Im vom OLG Nürnberg entschiedenen Fall war der Beschwerde des Angeklagten vollständig abgeholfen worden. Eine Kostenentscheidung hatte die Strafkammer nicht getroffen worden. Das OLG hat dann die Kosten der Beschwerde des Angeklagten – einschließlich seiner dadurch bedingten notwendigen Auslagen – der Staatskasse auferlegt und führt dazu kurz aus:

„Die Staatskasse hat die Kosten der Beschwerde des Angeklagten – einschließlich seiner dadurch bedingten notwendigen Auslagen – zu tragen.

Die Strafkammer hat der Beschwerde in vollem Umfang abgeholfen und damit das Beschwerdever­fahren beendet, ohne eine Kostenentscheidung getroffen zu haben (zur Notwendigkeit einer Kosten­entscheidung bei vollständiger Abhilfeentscheidung vgl. Gieg in Karlsruher Kommentar zur StPO 7. Aufl. § 464 Rn. 3; Hilger in Löwe-Rosenberg 26. Aufl. § 473 StPO Rn. 14; jeweils. m.w.N.).

Der Senat hat damit nur noch gem. § 473 StPO eine Kostenentscheidung zu treffen.“

M.E. ist das zutreffend. Denn bei einer vollständigen Abhilfeentscheidung handelt es sich um eine verfahrensabschließende Entscheidung , bei der gem. § 464 Abs. 1 StPO eine Kostenentscheidung zu treffen ist. Als Verteidiger darf man das auf keinen Fall übersehen und muss ggf. eine Ergänzung der Abhilfeentscheidung beantragen. Denn nur mit einer Kostengrundentscheidung kann er, wenn überhaupt, für den Mandanten die diesem im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten erstattet verlangen.

Die Zulässigkeit der Vernehmung der Verhörsperson

© Corgarashu – Fotolia.com

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Ganz gut zum Beschluss des Großen Senats für Strafsachen im BGH, Beschl. v. 15.07.2016 – GSSt 1/16 passt der BGH, Beschl. v. 15.09.2016 – 4 StR 330/16, der auch eine Frage in Zusammenhang mit der Vernehmung der Verhörsperson zum Gegenstand hatte. Der Angeklagte hatte in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs mit der Verfahrensrüge eine Verletzung des § 252 StPO dadurch geltend gemacht, dass das LG trotz Ungewissheit über die Ausübung des Zeugnisver-weigerungsrechts die polizeilichen Vernehmungen der Tochter des Angeklagten durch Vernehmung der Verhörsperson und die richterliche Vernehmung – im Einverständnis des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, des Verteidigers und der Vertreterin der Nebenklägerin – durch deren Verlesung eingeführt habe. Der BGH sagt: Unbegründet:

„Der Revision ist zuzugeben, dass wegen des Verwertungsverbotes des § 252 StPO eine Vernehmung von nichtrichterlichen Verhörspersonen oder eine Verlesung des richterlichen Vernehmungsprotokolls nach § 251 Abs. 2 Nr. 3 StPO erst dann zulässig ist, wenn Gewissheit darüber besteht, dass der Zeugnisverweigerungsberechtigte zur Aussage bereit ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 2000 – 1 StR 589/99, NStZ-RR 2000, 210 f.;  Urteil vom 11. April 1973 – 2 StR 42/73, BGHSt 25, 176, 177). Letzteres ist indessen nach den Maßstäben des Freibeweises zu prüfen, nach denen eine weitere Erforschung der prozessual bedeutsamen Tatsachen jedenfalls dann nicht geboten ist, wenn aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles ein sicherer Schluss darauf möglich ist, dass der Zeuge von seinem Recht zur Zeugnisverweigerung keinen Gebrauch machen will (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1995 – 1 StR 606/95, NStZ 1996, 295; Sander/Cirener in: Löwe/ Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 252 Rn. 16 mwN). So liegt der Fall hier, denn eine Ungewissheit über die Aussagebereitschaft der mittlerweile volljährigen Nebenklägerin bestand nicht, wie sich aus dem von der Revision selbst vorge-legten Schriftsatz der Nebenklägervertreterin vom 9. März 2016, der einen Antrag auf Ausschließung des Angeklagten während der Vernehmung der Neben-klägerin zum Gegenstand hatte, ohne Weiteres entnehmen ließ. Jedenfalls auf Grund dieses unmittelbar vor dem Beginn der Hauptverhandlung am 14. März 2016 eingereichten Antrages durfte das Landgericht bei Durchführung der Be-weisaufnahme ohne weitere freibeweisliche Erkundigungen von fortbestehender Aussagebereitschaft der Nebenklägerin ausgehen.“

Großer Senat in Strafsachen: Absage an den 2. Strafsenat/“Rebellensenat“

© Blackosaka - Fotolia.com

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So, nun ist der Urlaub wirklich zu Ende. Alle vorbereiteten Beiträge sind online gegangen. Jetzt heißt es wieder: packen wir es an und bringen Neues. Obwohl einiges in der Urlaubszeit ja aufgelaufen ist, über das ich berichten werde/muss.

Den Auftakt macht der Beschluss des Großen Senats für Strafsachen im BGH, Beschl. v. 15.07.2016 – GSSt 1/16. Das ist die Anfrage des 2. Strafsenats zur Erforderlichkeit einer „qualifizierten“ Belehrung bei einer richterlicher Vernehmung von Zeugnisverweigerungsberechtigten. Der 2. Strafsenat hatte dem Großen Senat folgende Rechtsfrage vorgelegt: „Ist die Einführung und Verwertung einer früheren Aussage eines Zeu­gen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der richterlichen Vernehmungsperson nur dann zulässig, wenn diese den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern auch über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hatte?“ (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 04.06.2014 – 2 StR 656/13 und dazu: 2. Strafsenat des BGH – „Rebellensenat“? – nee, nur „Unruhestifter“.

Dazu erteilt der Große Senat für Strafsachen dem 2. Strafsenat eine Absage, wenn der die Frage dahin beantwortet:

„Macht ein Zeuge erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweige­rungsrecht nach § 52 Abs. 1 StPO Gebrauch, so erfordern die Einführung des Inhalts einer früheren Aussage des Zeugen in die Hauptverhandlung durch Vernehmung des Richters, vor dem der Zeuge im Rahmen des die konkrete Tat betreffenden Ermittlungsverfahrens ausgesagt hat, und die Verwertung des dadurch gewonnenen Beweisergebnisses, dass der Richter den Zeugen gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt hat; ei­ner weitergehenden Belehrung bedarf es nicht.“

Die Begründung in Kurzfassung: 252 StPO verbiete es nicht, den Ermittlungsrichter in der Hauptver­handlung zu den Angaben eines Zeugen zu vernehmen, die der Zeuge vor dem Richter gemacht hat, nachdem er über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden war. Die Verwertung der Erkenntnisse aus der früheren ermittlungsrichter­lichen Vernehmung des Zeugen setze eine über den Regelungsgehalt des § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO hinausgehende Belehrung nicht voraus. Ausdrückliche Belehrungen über die Möglichkeit, Angaben von Ver­fahrensbeteiligten im weiteren Verfahren zu verwerten, seien dem deutschen Strafprozessrecht auch in anderen Konstellationen fremd, wie sich etwa aus § 52 Abs. 3 Satz 2 StPO ergebe oder dem Vergleich mit der Rechtslage bei einem Beschuldigten und den Umfang der erforderlichen Belehrung zur Selbstbelas­tungsfreiheit.

Den Rest der umfangreichen Begründung bitte selbst lesen.

Mit dem Beschluss ist die Kuh dann mal vom Eis. 🙂

Das „ertrogene“ Mobiltelefon,, oder: Klassiker: Betrug oder Diebstahl?

entnommen openclipart.org

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Der BGH, Beschl. v. 02.08.2016 – 2 StR 154/16 – behandelt einen Klassiker, der uns alle im Studium beschäftigt hat. Nämlich die Abgrenzung Diebstahl/Betrug. Wer hat das Problem nicht in Klausuren und/oder Hausarbeiten vor sich liegen gehabt?

Ausgangspunkt ist folgender Sachverhalt: Eine Mitangeklagte veranlasste – entsprechend einem zuvor mit dem Angeklagten gefassten Entschluss – den Zeugen K. dazu, ihr sein Mobiltelefon für ein Telefonat zu überlassen. Der Zeuge gab es ihr in der Annahme, das Mobiltelefon nach dem Telefonat zurückzuerhalten. Tatsächlich beabsichtigten die Angeklagten das Mobiltelefon zu behalten, um es später zu verkaufen. Nach dem Telefonat steckte die Mitangeklagte das Mobiltelefon in ihre Tasche und entfernte sich mit dem Angeklagten. Auf die mehrfachen Bitten des Zeugen K., ihm das Mobiltelefon zurückzugeben, reagierten sie nicht; vielmehr gab der körperlich überlegene Angeklagte dem Zeugen K. zu verstehen, dass er „jetzt besser“ gehen solle. Der Zeuge K. gab sodann sein Herausgabeverlangen auf. Das LG ist von Betrug (§ 263 StGB) ausgegangen, da die Angeklagten mit dem durch Täuschung erlangten Besitz des Mobiltelefons einen Vermögensvorteil erlangt hätten, „nämlich ihren neuen, tätereigenen Gewahrsam“. Die durch Täuschung erzielte Herausgabe des Mobiltelefons stelle „eine Vermögensverfügung (Besitzübertragung) dar“. Das sieht der BGH als rechtsfehlerhaft an:

„b) Diese Wertung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft. Hat sich der Täter – wie hier – eine Sache durch Täuschung verschafft, so ist für die Abgrenzung von Wegnahme (§ 242 StGB) und Vermögensverfügung (§ 263 StGB) auch die Willensrichtung des Getäuschten und nicht nur das äußere Erscheinungsbild des Tatgeschehens maßgebend. Betrug liegt vor, wenn der Getäuschte auf Grund freier nur durch Irrtum beeinflusster Entschließung Gewahrsam übertragen will und überträgt. In diesem Fall wirkt sich der Gewahrsamsübergang unmittelbar vermögensmindernd aus. Diebstahl ist gegeben, wenn die Täuschung lediglich dazu dienen soll, einen gegen den Willen des Berechtigten gerichteten eigenmächtigen Gewahrsamsbruch des Täters zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern (vgl. Senat, Urteil vom 17. Dezember 1986 – 2 StR 537/86, BGHR StGB § 242 Abs. 1 Wegnahme 2 mwN).

Von der Vorschrift des § 242 StGB werden insbesondere auch solche Fallgestaltungen erfasst, in denen – wie hier – der Gewahrsamsinhaber mit der irrtumsbedingten Aushändigung der Sache eine Wegnahmesicherung aufgibt, gleichwohl aber noch zumindest Mitgewahrsam behält, der vom Täter gebrochen wird. Vollzieht sich der Gewahrsamsübergang in einem mehraktigen Geschehen, so ist die Willensrichtung des Getäuschten in dem Zeitpunkt entscheidend, in dem er die tatsächliche Herrschaft über die Sache vollständig verliert. Hat der Gewahrsamsinhaber, der die wahren Absichten des Täuschenden nicht erkannt hat, den Gegenstand übergeben, ohne seinen Gewahrsam völlig preiszugeben, und bringt der Täter die Sache nunmehr in seinen Alleingewahrsam, ist Wegnahme gegeben, wenn der Ausschluss des Berechtigten von der faktischen Sachherrschaft ohne oder gegen dessen Willen stattfindet (vgl. auch BGH aaO).

So verhält es sich hier. Der Zeuge K. hat seinen Gewahrsam gegen seinen Willen erst verloren, als die Mitangeklagte J. das Mobiltelefon in ihre Tasche steckte. Der Angeklagte S. hat sich nach den Feststellungen demnach wegen (gemeinschaftlichen) Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.“

In der Sache hat die Revision dem Angeklagten nichts gebracht. § 242 StGB und § 263 StGB unterscheiden sich hinsichtlich der Strafandrohungen nicht. Aber: Ob Diebstahl oder Betrug vorliegt, kann für die Fragen der Qualifizierungen nach den §§ 243 ff. StGB von Bedeutung sein.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Verfahrensgebühr im Straf- und im Bußgeldverfahren?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

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Die freitägliche Frage: Ich habe da mal eine Frage: Verfahrensgebühr im Straf- und im Bußgeldverfahren?, habe ich dann wie folgt beantwortet:

„Hallo, danke für die Anfrage, die Sie dann auch demnächst mal im Blog finden:

Strafverfahren und Bußgeldverfahren sind nach § 17 Nr. 10b RVG unterschiedliche Angelegenheiten mit der Folge, dass in jeder Angelegenheit die Gebühren gesondert entstehen könne. Das bedeutet:

Strafverfahren bis zur ersten Einstellung

Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG,
Verfahrensgebühr vorbereitendes Verfahren Nr. 4104 VV RVG,
Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 Anm. 1 Nr. 1 VV RVG

Im Bußgeldverfahren

Keine Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG wegen der Anm. 2
Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG
Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG
wahrscheinlich Nr. 5112 VV RVG, da der Hinweis nach § 81 Abs. 2 i.d.R. in der HV erteilt wird,
keine Nr. 5115 VV RVG, da das Verfahren ja nicht eingestellt wird,

Im Strafverfahren nach Überleitung

Frage, neue Angelegenheit ja oder nein? Wegen einer Analogie zu § 17 Nr. 10b RVG m.E. vertretbar ja,

dann:

Nr. 4106 VV RVG
Nr. 4108 VV RVG, wenn ein neuer HV-Termin stattgefunden hat, wovon auszugehen sein wird, ansonsten fällt die Nr. 5112 VV RVG weg und wandelt sich in eine Nr. 4108 VV RVG um,
keine Nr. 4141 VV RVG, da in der HV eingestellt wird,

wenn nein, also nur Fortsetzung der o.a. Angelegenheit „Strafverfahren bis zur ersten Einstellung“

dann (auch):

Nr. 4106 VV RVG
Nr. 4108 VV RVG, wenn ein neuer HV-Termin stattgefunden hat, wovon auszugehen sein wird, ansonsten fällt die Nr. 5112 VV RVG weg und wandelt sich in eine Nr. 4108 VV RVG um,
keine Nr. 4141 VV RVG, da in der HV eingestellt wird.

Ich hoffe, dass es so passt.  Warum sollte ich zornig antworten bzw. habe ich schon mal?

Der Fall ist übrigens im Kommentar teilweise behandelt bei Vorbem 5 VV Rn. 41.“