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Urheber Beademung
M.E. kann man auch im Pkw-Kaufrecht die fortschreitende technische Entwikclung feststellen. Denn heute geht es um ganz andere Mängel und die damit zusammen hängende Frage des Rücktritts vom Pkw-Kaufvertrag als noch zu meinen Studienzeiten (ja ich weiß, das ist [ganz] lange her). Das zeigt einmal mehr das OLG Hamm, Urt. v. 09.06.2015 – 28 U 60/14 (ja, hängt schon länger in meinem Blogordner).
Die Klägerin hatte beim beklagten Autohaus einen Mercedes Benz, Typ CLS 350 CDI zum Preis von ca. 77.500 € bestellt. Der sollte u.a. als Sonderausstattung mit einer Rückfahrkamera (400 €), aktiver Park-Assistent inklusive Parktronic (730 €) und Command APS (2.620 €) haben. Vor dem Kauf hatte die Klägerin eine Verkaufsbroschüre erhalten, in der zur der Rückfahrkamera ausgeführt war, dass sie sich automatisch beim Einlegen des Rückwärtsganges einschalte, den Fahrer beim Längs- und Quereinparken unterstütze und dass statische und dynamische Hilfslinien dem Fahrer Lenkwinkel und Abstand anzeigen würden. Nach der Auslieferung des Fahrzeugs stellte die Klägerin fest, dass die aktivierte Rückfahrkamera im Display des Commandsystems keine Orientierungslinien anzeigt. Sie bekam dazu von der Beklagten die Auskunft, dass die Fahrzeugelektronik keine Anzeige von Hilfslinien ermögliche. Als „Ausgleich“ bot die Beklagte einen Servicegutschein i.H.v. 200 € an. Den lehnte die Klägerin ab und erklärte den Rücktritt vom Fahrzeugkauf.
Und? Ja, sie hat beim OLG Hamm Recht bekommen. Das OLG geht davon aus, dass die aufgrund fehlender Orientierungslinien bestehende Funktionseinschränkung der Rückfahrkamera bei einem Mercedes Benz CLS 350 CDI einen erheblichen Sachmangel darstellen kann:
„…Nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. nur Urteil vom 06.02.2013 in NJW 2013,1365 und Urteil vom 17.02.2010 in NJW – RR 2010,1289) indiziert der Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung in der Regel die Erheblichkeit der – in der Lieferung der mangelhaften Kaufsache liegenden – Pflichtverletzung. Das ist im Streitfall nicht anders: Die bewusste Entscheidung für eine teure Zusatzausstattung durch die Klägerin lässt ohne weiteres den Schluss darauf zu, dass gerade die nach dem Inhalt der vor Vertragsschluss überlassenen Unterlagen verbundenen Funktionen der Zusatzausstattung für die Wahl der Käuferin maßgebliches Gewicht gehabt haben. Das steht grundsätzlich der Annahme entgegen, das vollständige oder teilweise Fehlen der Funktionen habe nur geringfügige Bedeutung.
Umstände, die die Indizwirkung entkräften könnten, sind nicht auszumachen.
a) Dabei kommt es im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung im vorliegenden Fall nicht maßgeblich auf die Höhe der Mängelbeseitigungskosten, sondern auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung an.
Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung bei behebbaren Mängeln im Rahmen des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB regelmäßig auf die Höhe der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten abzustellen (s. dazu nur BGH in NJW 2014, 3229). Anderes gilt, wenn der Mangel nicht oder nur mit hohen Kosten behebbar ist; dann kommt es vornehmlich auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung an (BGH in NJW 2011, 2872). Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass hier eine Konstellation vorliegt, in der der Mangel zwar behebbar ist, wegen der hierfür erforderlichen besonders hohen Kosten aber ausnahmsweise auf den Umfang der Funktionsbeeinträchtigung abzuheben ist. Das greifen die Parteien auch nicht an.
Die durch die fehlenden Hilfslinien bestehende Funktionseinschränkung der Rückfahrkamera ist nicht als geringfügig anzusehen.
b) Dabei ist der Verweis der Beklagten auf die technisch eingeschränkten Möglichkeiten früherer Zeiten und auf die Tatsache, dass bis vor wenigen Jahren Fahrzeugführer ganz ohne Rückfahrkamera ausgekommen seien, ohne rechtliche Relevanz. Welche technischen Möglichkeiten Fahrzeuge gleich welchen Herstellers in der Vergangenheit ihrem Fahrer boten, ist für die Beantwortung der Frage, ob das Fehlen von vom Verkäufer angebotener, bestellter und bezahlter Zusatzfunktionen Anfang 2012 bei einem D ####### sich als geringfügige Beeinträchtigung darstellt, ohne Belang. Die allgemeine technische Entwicklung bei Kraftfahrzeugen und geringere Sicherheits-und Komfortstandards früherer Zeiten haben keinen Bezug zum vorliegenden Einzelfall und sind zur Heranziehung im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung daher ungeeignet.
c) Auch die Bezugnahme der Beklagten darauf, dass die Kosten für die Zusatzausstattung „Rückfahrkamera“ im Verhältnis zum Gesamtkaufpreis lediglich gering seien, führt nicht zur Annahme der Unerheblichkeit des Mangels.
Der Vergleich erscheint bereits im Ansatz verfehlt, denn die angebotene und von der Klägerin bestellte Funktion einer bildlichen Darstellung des Verkehrsraums hinter dem Fahrzeug mit Hilfslinien kann nur erfolgen, wenn neben der Rückfahrkamera auch das „Comand-System“ verbaut wird, das deutlich teurer gewesen ist als die Rückfahrkamera .
Im Übrigen kommt es für die Feststellung der Erheblichkeit einer fehlerhaften oder nicht vorhandenen Funktion eines Bauteils ersichtlich nicht darauf an, ob dieses mit geringem Material- und Arbeitsaufwand verbaut werden konnte.
d) Der Hinweis der Beklagten darauf, dass die Zusatzausstattung „Rückfahrkamera“ allein hinreichenden Komfort/ausreichende Sicherheit beim Rückwärtsfahren biete und es der Hilfslinien eigentlich nicht bedürfe, führt ebenfalls nicht dazu, dass von einer Unerheblichkeit des Mangels auszugehen ist.
Wie in der Betriebsanleitung dargestellt, ist die Rückfahrkamera in bestimmten Situationen nicht in der Lage, ein einwandfreies und unverzerrtes Bild zu übermitteln. Schon vor diesem Hintergrund bietet sie eben nicht einen vergleichbaren Sicherheits- und Komfortstandard, wie er bei funktionierender Darstellung der dynamischen und statischen Hilfslinien erreicht wird. Außerdem ist hier die von der Klägerin angeführte Unübersichtlichkeit des Heckbereichs des fraglichen Fahrzeugmodells zu berücksichtigen, angesichts der den in Rede stehenden Hilfsfunktionen beim Rückwärtsfahren besondere Bedeutung zukommt.“
Kleiner Fehler (?), große Wirkung…..