Ein wenig zu sorglos/lax ist man beim AG Münster und dann in der Beschwerdeinstanz beim LG Münster mit dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 2 GG) umgegangen. Das hat vor kurzem das BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 16.12.2014 – 2 BvR 2393/12 – den beteiligten (Instanz)Gerichten attestiert. Der ehemalige Beschuldigte, ein Arzt (?), hatte mit seiner Verfassungsbeschwerde Durchsuchungsbeschlüsse des AG/LG Münster angegriffen. In einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verleumdung und der falschen Verdächtigung war seine Privatwohnung durchsucht worden. Das Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten ging zurück auf ein anderes Verfahren, in dem die StA Münster zunächst wegen des Verdachts der Vergewaltigung beziehungsweise sexuellen Nötigung gegen einen früheren Kollegen des Beschwerdeführers am Klinikum in I., der zugleich an der Klinik des Landschaftsverbands W. in L. tätig war, ermittelt hatte. Dieser war in mehreren anonymen Schreiben aus November 2011 an die StA Münster, die Polizei L., die Ärztekammer Münster und die Leitung des Landschaftsverbands W. in M. beschuldigt worden, in der Klinik in L. eine 15 Jahre alte Patientin während ihres fünfwöchigen Aufenthalts im Sommer 2011 nachts unter Verabreichung von Medikamenten missbraucht zu haben. Diese anonymen Beschuldigungen hatten sich schnell als offensichtlich gegenstandslos erwiesen, da in der Klinik in L. im angegebenen Zeitraum keine Patientin dieses Alters über fünf Wochen in Behandlung war.
Bei seiner Beschuldigtenvernehmung im Dezember 2011 gab der frühere Kollege des Beschwerdeführers, Dr. B., an, er habe sich nach Bekanntgabe der Vorwürfe gegen ihn mit der Betriebsleitung zusammen überlegt, wer Interesse daran haben könnte, ihm persönlich zu schaden. Er könne sagen, dass er sich mit einer Ausnahme mit allen Mitarbeitern stets sehr gut verstanden habe, seit er als Chefarzt der Neurologie sowohl in L. als auch in I. arbeite. Er nannte sodann den Namen des Beschwerdeführers, der bis zum September 2011 als Honorararzt für die Neurologie in I. tätig war. Mit ihm sei es wegen verschiedener Vorkommnisse zum Streit gekommen.
Und dann nehmen die Dinge ihren Lauf. AG und LG gehen von einem hinreichenden Tatverdacht aus. Es wird die Durchsuchung angeordnet und durchgeführt. Rechtsmittel des Beschuldigten haben keinen Erfolg. Erst das BVerfG rückt die Dinge in seinem Beschl. v. 16.12.2014 wieder gerade:
„Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben werden die angegriffenen Beschlüsse nicht gerecht.
Es bedarf keiner Entscheidung, ob vorliegend ein hinreichender Anfangsverdacht gegeben war, denn die Durchsuchung bei dem Beschwerdeführer war bezogen auf den geringen Grad des Anfangsverdachts und die weiteren zur Ermittlung zur Verfügung stehenden Maßnahmen jedenfalls unverhältnismäßig. Dies gilt schon ungeachtet der Frage, ob das mögliche Vorhandensein von Patientendaten auf dem privaten Laptop des Beschwerdeführers im Rahmen der Durchsuchungsanordnung zu einer Berücksichtigung seiner Stellung als Berufsgeheimnisträger hätte führen müssen.
Das Amtsgericht begründet die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung allein mit der Schwere der Vorwürfe; das Landgericht nimmt hierauf lediglich Bezug. Zwar sind umfangreiche Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit weder im Durchsuchungsbeschluss noch in der Beschwerdeentscheidung grundsätzlich und stets von Verfassungs wegen geboten. Insbesondere bei einem nur vagen Auffindeverdacht ist allerdings die Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchung wegen der Schwere des Eingriffs eingehend zu begründen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Mai 2014 – 2 BvR 9/10 -, NJW 2014, S. 2265 <2266>, Rn. 19, 23 jeweils m.w.N.). Vorliegend hätten sich derartige Ausführungen angesichts der Besonderheiten des Ermittlungsverfahrens aufdrängen müssen.
Der Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer fußte allein auf dem Vorliegen eines möglichen Motivs zur Schädigung Dr. B. aufgrund der von diesem geschilderten Auseinandersetzung mit dem Beschwerdeführer. Da Dr. B. in seiner Vernehmung durch die Polizei zwar in der Tat konkret allein den Beschwerdeführer, darüber hinaus aber auch weitere für eine Täterschaft in Betracht kommende Personenkreise, namentlich psychisch kranke Patienten und andere Mitarbeiter benannt hatte, wären vor der Anordnung einer in die Grundrechte des Betroffenen schwerwiegend eingreifenden Durchsuchung andere grundrechtsschonende Ermittlungsschritte vorzunehmen gewesen, um den allenfalls geringen Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer zu erhärten oder endgültig zu zerstreuen (vgl. zur Ausschöpfung grundrechtsschonenderer Ermittlungsschritte bei Vorliegen von auf eine Täterschaft des Beschwerdeführers hinweisenden Umständen mit allenfalls geringem Gewicht BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. November 2005 – 2 BvR 728/05 u.a. -, NStZ-RR 2006, S. 110).
So wäre zunächst eine Befragung weiterer Mitarbeiter der Kliniken in I. und L. geboten gewesen. Dies hätte sowohl das Verhältnis zwischen Dr. B. und dem Beschwerdeführer aus einer neutralen Perspektive näher aufklären – und den Beschwerdeführer im Übrigen auch entlasten -, als auch dazu beitragen können, weitere mögliche Autoren der anonymen Briefe zu ermitteln.
Eine besondere Eilbedürftigkeit, die diese naheliegenden Ermittlungen hätte ausschließen können, ist bereits deshalb nicht zu erkennen, weil zwischen der Einleitung des Ermittlungsverfahrens im Dezember 2011 und dem Erlass der (zweiten) Durchsuchungsanordnung im Beschluss des Amtsgerichts vom 10. April 2012 mehrere Monate vergingen, ohne dass die Staatsanwaltschaft im hier vorliegenden Ermittlungsverfahren andere weiterführende Ermittlungen angestellt hätte. Dieser Umstand führt im Übrigen auch dazu, dass sich das Fortbestehen eines Auffindeverdachts jedenfalls zu diesem Zeitpunkt als allenfalls vage darstellte.“
Der Beschluss ist nicht nur „unschön“ für AG und LG Münster, auch die Staatsanwaltschaft Münster bekommt „ihr Fett ab“. Ihr hält das BVerfG vor:
„Ohne weitere Ermittlungen durchzuführen beantragte die Staatsanwaltschaft Münster daraufhin am 12. Januar 2012 den Erlass eines Beschlusses zur Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers, zur Beschlagnahme der dort aufgefundenen Beweismittel sowie zur Entnahme von Körperzellen des Beschwerdeführers für einen Abgleich mit DNA an den Briefmarken auf den sichergestellten anonymen Schreiben wegen des Verdachts eines Betruges, der Verleumdung und der falschen Verdächtigung.“
und legt dann im Beschluss ja auch gleich da, welche weiteren Ermittlungen möglich und auch wohl nötig gewesen wären. Also: In Zukunft nicht mehr zu schnell mit der Durchsuchungsanordnung sein, dann gibt es auch keinen Rüffel aus Karlsruhe mehr.
Die Anzahl solcher Rüffel zeigt vor allem eins: Dass sich die Gericht davon nicht beeindrucken lassen.
Den „hinreichenden Anfangsverdacht“ des BVerfG finde ich zumindest missverständlich.
Schön geschrieben. Und jetzt abheften und weiter wie bisher 🙁
Es gibt weder für Staatsanwälte die wissentlich solche rechtswidrigen Durchsuchungen beantragen noch für Richter die selbige ungelesen unterzeichnen irgendwelche Konsequenzen. Die Möglichkeit solcher Konsequenzen hat man im 3. Reich abgeschafft und die heutige Justiz ist offensichtlich sehr glücklich mit diesem Umstand.
Für den Betroffenen ist so eine Aktion eine traumatische Erfahrung. Hier sollte mal jemand dem Beispiel des Herrn Gäffgen folgen (warum hat eigentlich ausgerechnet der so etwas hinbekommen?) und einen ordentliches Schmerzensgeld erstreiten – und zwar so daß das zur Regel wird. Dann würde man nicht mehr Durchsuchungen anordnen um Beschuldigte zu überrumpeln und zu unbedachten Aussagen zu animieren die auf andere Weise niemals zustande kommen würden; das ist nämlich der eigentliche Grund für die Durchsuchung. Zu finden hofft man im besten Fall noch Beifänge – aber nur selten tatsächliches Beweismaterial.
Guantanamo oder Nordkorea?
In Guantanamo ist die Justiz nicht involviert, ich tendiere daher zu 2.