Archiv für den Monat: Juni 2014

Für Fachanwälte: Ein Jahr ist ein Jahr, oder: Fortbildung kann man nicht nachholen.

entnommen wikimedia.org Urheber Photo: Andreas Praefcke

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Bei vielen Fachanwälten unbeliebt ist die in § 15 FAO vorgesehene Fortbildungsverpflichtung (von derzeit jährlich noch 1o Stunden). Meist passt es nicht im Berufsalltag oder es kommen andere Dinge dazwischen. Da kann man schnell mal auf die Idee kommen, die Fortbildung ggf. im Folgejahr nachzuholen. Das hatte sich ein Kollege auch gedacht, war damit aber bei seiner RAK auf Granit gestoßen, die ihm den FA-Titel entzogen hat. Und der BGH stellt dazu im BGH, Beschl. v. 05.05.2014 – AnwZ (Brfg) 76/13– fest:

Die Fortbildungspflicht ist in jedem Kalenderjahr aufs Neue zu erfüllen. Ob ein Fachanwalt Fortbildungsveranstaltungen im Umfang von mindestens zehn Zeitstunden besucht hat, steht erst nach Ablauf des jeweiligen Jahres fest, ändert sich dann aber auch nicht mehr. Ist ein Jahr verstrichen, kann er sich in diesem Jahr nicht mehr fortbilden. Hinsichtlich der Voraussetzungen des § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO kommt es also weder auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Verwaltungsverfahrens noch auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im gerichtlichen Verfahren, sondern auf den Ablauf des jeweiligen Jahres an. Mit dessen Ablauf steht die Verletzung der Fortbildungspflicht, die Tatbestandsvoraussetzung für die Befugnis der Rechtsanwaltskammer zum Widerruf ist, unumkehrbar fest (vgl. Senatsurteil vom 8. April 2013 – AnwZ (Brfg) 16/12, NJW 2013, 2364 Rn. 10). Eine die Verletzung der Fortbildungspflicht rückwirkend heilende „Nachholung“ der Fortbildung im Folgejahr kommt deshalb nicht in Betracht.

Eine einmalige Verletzung der Fortbildungspflicht führt allerdings nicht zwingend zum Widerruf. Zwar ist die Satzungsversammlung der Bundesrechts-anwaltskammer möglicherweise davon ausgegangen, dass bereits in diesem Fall ein Widerruf zu erfolgen hat; denn ein Antrag, den Widerruf erst vorzuse-hen, wenn die Fortbildungspflicht in zwei aufeinander folgenden Jahren nicht erfüllt wird, wurde einstimmig abgelehnt (vgl. die Nachweise bei Scharmer in Hartung, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 5. Aufl., § 25 FAO Rn. 1). Gegenteiliges folgt aber aus dem Wortlaut des § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO („kann“) und daraus, dass ein Verständnis der Regelung in § 43c Abs. 4 Satz 2 BRAO, § 15 FAO als „Muss-Regelung“ mit Art. 12 Abs. 1 GG und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unvereinbar wäre. Vielmehr entscheidet der Vorstand der Rechtsanwaltskammer nach pflichtgemäßem Ermessen über den Widerruf (vgl. Senat, Beschluss vom 2. April 2001, aaO S. 1945; siehe auch Beschluss vom 6. November 2000, aaO S. 1572 und Urteile vom 26. November 2012 – AnwZ (Brfg) 56/11, NJW 2013, 175 Rn. 12 und vom 8. April 2013, aaO Rn. 10). Hier-bei sind alle Umstände des Einzelfalls – so z.B. eine aufgrund Erkrankung unverschuldete Versäumung der Fortbildung (vgl. Senat, Beschluss vom 2. April 2001, aaO) – zu berücksichtigen. Insoweit liegt es durchaus auch im Rahmen der pflichtgemäßen Entscheidung der Kammer, wenn sie – wie hier anfangs die Beklagte – bei der erstmaligen Verletzung der Fortbildungspflicht vom Widerruf zunächst absieht und dem Anwalt – hier allerdings erfolglos – die Möglichkeit gibt, durch verstärkte Fortbildung im laufenden Jahr eine Sanktionierung der einmaligen Pflichtverletzung im zurückliegenden Jahr zu vermeiden (vgl. auch Senatsurteile vom 26. November 2012, aaO Rn. 9 und vom 8. April 2013, aaO). Zwar kann dadurch die Fortbildungspflicht nicht mehr rückwirkend erfüllt wer-den. Angesichts des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen der im Vorjahr unterbliebenen und der im nachfolgenden Jahr zusätzlichen Fortbildung kann ein Absehen vom Widerruf trotz des Hintergrundes der Zielrichtung der Fortbildung (s.o.) aber letztlich nicht als ermessensfehlerhaft angesehen werden.“

Also: Nutzt das Lamentieren nichts. Muss man durch, und zwar rechtzeitig…

„Theaterdonner“ – beim BGH

HammerDer BGH, Beschl. v. 06.05.2014 –   5 StR 99/14 – befasst sich mit einem Ablehnungsgesuch, das vom LG aus formellen Gründen zurückgewiesen worden ist. Zugrunde lag dem Ablehnungsgesuch folgender Sachverhalt: Der Angeklagte hatte die die Entbindung seines Pflichtverteidigers beantragt, weil dieser die Verteidigung des Angeklagten durch Einwirken auf zwei Zeuginnen gegen dessen Willen eingeschränkt und damit das Vertrauensverhältnis schwerwiegend gestört habe. Mit außerhalb der Hauptverhandlung ergangenem und dem inhaftierten Angeklagten formlos per Post übersandten Beschluss wies der Vorsitzende den Entpflichtungsantrag zurück. Die Vorwürfe des Angeklagten lägen neben der Sache, würden dem bisherigen Einsatz des Verteidigers nicht gerecht und stellten sich entsprechend einer durch den Verteidiger in anderem Zusammenhang gebrauchten Formulierung als „Theaterdonner“ dar. Im nachfolgenden Hauptverhandlungstermin lehnte der Angeklagte den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er machte unter anderem geltend, dass der Vorsitzende im Zurückweisungsbeschluss das Wort „Theaterdonner“ aufgegriffen und verwendet habe, als sei damit „glasklar erwiesen“, dass der Verteidiger fair gearbeitet und ihn nicht seiner Rechte beraubt habe.

Das Schwurgericht hat den Befangenheitsantrag unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden als unzulässig gem. § 26a Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO verworfen. Der BGH sagt: So geht es nicht. Das Befangenheitsgesuch hätte nicht nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO abgelehnt werden dürfen.

bb) Diesen Maßstäben wird der Zurückweisungsbeschluss der Schwurgerichtskammer nicht gerecht. Dem Befangenheitsgesuch ist die Besorgnis des Angeklagten zu entnehmen, dass der Vorsitzende das Vorbringen zur Beeinträchtigung seiner Verteidigungsinteressen durch den Pflichtverteidiger nicht ernst nehme („Theaterdonner“) und sich deshalb vorschnell auf die Seite des Genannten gestellt habe. Damit hat er dessen Voreingenommenheit geltend gemacht, ohne dass weitere Ausführungen notwendig gewesen wären. Das durch ein Zitat belegte Ablehnungsgesuch konnte nicht als aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung des Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet angesehen werden. Denn es erforderte eine inhaltliche und keine rein formale Prüfung, ob die Aussage in der gewählten Formulierung aus Sicht eines verständigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermochte (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006 – 5 StR 154/06, aaO). Weil der abgelehnte Richter die Entscheidung selbst getroffen und damit eine inhalt-liche Bewertung des Ablehnungsgesuchs in Nichtausschöpfung des Gesuchs versagt hat, ist der Anwendungsbereich des § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO in einer Weise überspannt worden, die im Blick auf die Anforderungen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht mehr vertretbar war (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006 – 5 StR 154/06, aaO). Daran vermag nichts zu ändern, dass das Ablehnungs-gesuch ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters gemäß § 27 StPO wohl als unbegründet zu verwerfen gewesen wäre.

Schade, dass der BGH nicht in einem „obiter dictum“ mitteilt, was er denn nun vom Theaterdonner hält.

Da braucht der Verteidiger wohl selbst einen Verteidiger, oder: Abrechnungsbetrug?

© G.G. Lattek - Fotolia.com

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Da braucht der Verteidiger wohl selbst einen Verteidiger, jedenfalls dann, wenn das stimmt, was die „Westfälischen Nachrichten“ heute melden (ja, schon wieder Münster 🙂 ).  Nach dem Bericht sitzt seit der vergangenen Woche ein Münsteraner Strafverteidiger in U-Haft. Vorwurf: Abrechnungsbetrug zu Lasten der Landeskasse. Der Rechtsanwalt/Verteidiger soll ein Scheinbüro in Hamburg betrieben und angegeben haben, vor dort zu Gerichtsterminen in Münster anzureisen, um so höhere Fahrtkosten abrechnen zu können. Das führt(e) dann zu dem Vorwurf des gewerbsmäßigen – weil angeblich eine ständige Einnahmequelle daraus gemacht werden sollte – Betruges.

Festnahme dann in der vergangenen Woche auf der A 2 bei Bielefeld. Haftgrund: Verdunkelungsgefahr. Allerdings frage ich mich – natürlich ohne Aktenkenntnis – was man da „verdunkeln“ kann? Die Frage, ob Scheinbüro in Hamburg oder nicht wird sich klären lassen, die „falschen“ Abrechnungen sind in den Akten.

Aus der Geschichte allerdings das Fazit/der Hinweis: Bleibe im Lande und nähre dich redlich. Falls der Vorwurf stimmt, war m.E. damit zu rechnen, dass irgendwann auffallen würde, dass Hamburg nur ein Scheinbüro ist/war.

Gibt es im Finanzamt Münster keinen Kalender?, oder: Bloß keine Fristen ausschöpfen

hawk88_Calendar_1„Gibt es im Finanzamt Münster denn keinen Kalender?“ habe ich mich gestern morgen gefragt, als ich den Bericht in den „Westfälischen Nachrichten“ vom 03.06.,2014 gelesen habe: „Keine außerordentliche Leerung am Wochenende Finanzamt-Briefkasten quillt über.“ Berichtet wird da über die Probleme, die am Wochenende (ehrliche) Steuerbürger hatten, die ihre Steuererklärung fristgemäß zum 31.05.2014 abgeben wollten. Das war nicht bzw. nur erschwert möglich, weil der Briefkasten des Finanzamtes voll war und niemand daran gedacht hatte, vielleicht dann doch mal am 31.05.2014 zwischen zu leeren. Man ist eben überrascht worden, was mir unerklärlich ist: Denn ein einfacher Blick in den Kalender hätte gezeigt: Der 31.05. ist in diesem Jahr ein Samstag, also muss man vielleicht mal etwas veranlassen.

Nun ja, so weit gut, kann jedem passieren. Und wie man in dem o.a. Bericht lesen kann, hat sich der FA-Vorsteher ja auch entschuldigt. Tut ihm leid. Schön, denkt man, Schwamm drüber. Aber dann liest man weiter und fragt sich: Meint er es ehrlich? Denn etwas weiter heißt es:

„Die Betroffenen hätten ihre Erklärungen früher abgeben können“, sagt Brinkhaus. Man müsse ja nicht jede Frist ausschöpfen. Er selbst hätte seine Steuererklärung übrigens nicht auf den Boden gelegt oder in eine Tüte an eine Türklinke gehängt. „Das würde ich niemals machen.“

Da bleibt einem dann das Brötchen im Halse stecken. Oder? Schuld sind immer die anderen, und so oder so der „Steuerbürger“, der sich das Recht nimmt, die ihm eingeräumten Fristen auch „auszuschöpfen“. Man fasst es nicht

Hand aufs Vermögen gelegt – so beuge ich dich

Geld MünzenManche Vorschriften führen ein Schattendasein. So z.B. § 290 StPO und die folgenden Vorschriften, die mir bislang nur selten untergekommen sind. Von daher ganz interessant der KG, Beschl. v. 20.02.2014 – 2 Ws 50 u. 70/14 -, der die dort behandelte Vermögensbeschlagnahme als Beugemittel auch im Vollstreckungsverfahren als zulässig ansieht.

„Gemäß § 457 Abs. 3 Satz 1 StPO stehen der Vollstreckungsbehörde, wenn der Verurteilte sich dem Vollzug entzieht, die gleichen Befugnisse zu wie der Strafverfolgungsbehörde, soweit die Maßnahmen bestimmt und geeignet sind, den Verurteilten festzunehmen. Für die notwendig werdenden Entscheidungen ist gemäß § 457 Abs. 3 Satz 3 StPO das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig.

Diese Regelung beruht auf dem Gedanken, dass die Gefährlichkeit des Täters nicht mit der Rechtskraft seiner Verurteilung endet. Alle Maßnahmen, die im Erkenntnisverfahren zur Ergreifung des Beschuldigten zulässig sind, sollen daher grundsätzlich auch im Vollstreckungsverfahren gelten (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1997, 103). Der Senat teilt die Auffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, dass der Gesetzeszweck dafür spricht, dass die Beschlagnahme des inländischen Vermögens, die § 290 StPO unmittelbar erlaubt, um die Gestellung des Angeklagten zur Durchführung der Hauptverhandlung zu erzwingen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 56. Aufl., § 290 Rdn. 1), auch zur Gestellung des Verurteilten zum Zwecke der Strafvollstreckung erfolgen kann.

Zwar ist § 290 StPO seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung nach auf das Erkenntnisverfahren zugeschnitten. Die Bestimmung regelt außerdem eine Befugnis, die dem Gericht und nicht der Staatsanwaltschaft von Amts wegen zusteht. Wenn das Gesetz jedoch das Beugemittel bereits zulässt, wenn es um die Feststellung geht, ob ein staatlicher Strafanspruch überhaupt besteht, muss es erst recht anwendbar sein, wenn feststeht, dass er besteht, und es lediglich um seine Durchsetzung geht. Diese Auslegung entspricht aus der Sicht des Senats auch dem Sinn des § 457 Absatz 3 StPO. Ein triftiger Grund, § 290 StPO aus dem Anwendungsbereich des § 457 Abs. 3 StPO auszunehmen, ist nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen, die § 290 StPO für die Vermögensbeschlagnahme nennt, sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der Verurteilte ist abwesend im Sinne des Gesetzes. Er hält sich im Ausland auf und seine Gestellung ist nicht ausführbar. Gegen ihn ist öffentliche Klage erhoben worden und er ist der angeklagten Tat nicht allein dringend verdächtig, sondern sogar überführt und deshalb rechtskräftig verurteilt. Die Beschlagnahme ist angesichts des Gewichts der abgeurteilten Taten und der Höhe der noch zu vollstreckenden Freiheitsstrafe auch verhältnismäßig.“