Archiv für den Monat: April 2014

Kurios III, oder besser: „Brüller“: Ist das Jobcenter eine „Behörde“?

entnommen openclipart.org

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Mit „Kurios III … „entlasse ich die Leser nun in die Walpurgisnacht oder/und manchen sicherlich auch in ein verlängertes Wochenende. Allerdings: „Kurios III“ passt m.E. nicht, für mich ist es der „Brüller“. Es geht um das das VG Gießen, Urt. v. 24.02.2014 – 4 K 2911/13 GI. Geklagt worden war wegen der Herausgabe der Telefonliste des „Jobcenter“ Gießen. Insoweit nichts Neues – das hatten wir schon mal beim VG, Aachen, Urt. v. 17.07.2013 – 8 K 532/11 und dazu Ich will das gerichtliche Telefonverzeichnis haben….. Aber eine Passage in dem VG Gießen-Urteil ist neu und – für mich – der Brüller:

„Zwar hat das Gericht erhebliche Zweifel daran, dass es sich bei dem Beklagten um eine Behörde oder Bundeseinrichtung handelt. Nach § 23 Abs. 1 VwVfG ist die Amtssprache und nach § 184 GVG ist die Gerichtssprache deutsch. Bei der Bezeichnung „Jobcenter“ handelt es sich indes gerade nicht um eine aus der deutschen Sprache herrührende Begrifflichkeit. Von daher ist mehr als fraglich, ob eine unter dem Begriff „Jobcenter“ firmierende Einrichtung eine deutsche Verwaltungsbehörde sein kann Dies gilt ungeachtet dessen, dass im Bereich der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung in letzter Zeit vermehrt Anglizismen und andere Fremdworte Einzug gefunden haben, denn einer ordentlichen hoheitlichen deutschen Verwaltung ist auch eine deutsche Begrifflichkeit immanent. So gibt es in Hessen derzeit das „HCC— Hessisches Competence Center“, „Hessen Mobil“, „Hessisches Immobilienmanagement“ und auch bundesweit den Begriff „Agentur für Arbeit“, was aber noch nicht belegt, dass hiermit auch tatsächliche deutsche Verwaltungsbehörden gemeint sind; denn diese Bezeichnungen können auch unschwer mit aussagekräftigen, althergebrachten und einprägsamen Wörtern der deutschen Sprache belegt werden, etwa mit „Hessische Buchungsstelle“, „Hessisches Landesamt für Straßen- und Verkehrswesen“, „Hessische Liegenschaftsverwaltung“ oder schlicht „Arbeitsamt“, wie es früher auch üblich und – besser- verständlich war. Einer alten Verwaltungsstruktur einen Fremdnamen zu geben modernisiert weder die Verwaltung noch gibt es andere Notwendigkeiten zur Verwendung fremdsprachlicher Begrifflichkeiten. Auch in der Gerichtsbarkeit findet vermehrt der Ausdruck „E-justice“ Verwendung, was ebenfalls auf ein fehlendes oder aber zumindest fehlerhaftes deutsches Sprachbewusstsein schließen lässt, denn justice bezeichnet gerade den altbewährten Begriff Gerichtsbarkeit. Dankenswerter Weise darf das Gericht noch als Verwaltungsgericht entscheiden und muss sich —noch- nicht „administrative court“ nennen und auch der HessVGH muss noch nicht als „hessian administrative court of appeal“ Recht sprechen. Aus Sicht des Gerichts haben derartige Anglizismen oder andere Fremdworte weder in der deutschen Gerichtsbarkeit noch im deutschen Behördenaufbau einen Platz. Bei weiterem Fort- schreiten derartiger sprachlicher Auswüchse erscheint infolge der verursachten Verwirrung die Funktionsfähigkeit des Verwaltungshandelns insgesamt gefährdet (vgl Die Heilige Schrift, 1. Mose 11, Verse 1, 7-9). Auch die Bezeichnung des Beklagten hätte man besser bei der alten Begrifflichkeit „Sozialamt“ belassen und statt der neu- deutschen Bezeichnung „Kunden“ trifft der Begriff „Antragsteller“ den Kern der Sache besser, denn im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Kunde König, was im Aufgabenbereich des Beklagten wohl nur seltenst der Fall ist. Ungeachtet dieser Zweifel ist aber der Beklagte zur Überzeugung des Gerichts richtiger Beklagter und materiell passivlegitimiert, denn er geriert sich zumindest als Behörde bzw. Bundeseinrichtung mit der Folge, dass ihn auch der Anspruch aus dem IFG trifft. Der Beklagte handelt innerhalb der deutschen Rechtsordnung wie eine Behörde und gibt sich, um einmal in der Begrifflichkeit des Beklagten zu bleiben, auch den „touch“ einer Behörde. Er agiert hoheitlich und mittels Verwaltungsakt und ist damit im Rechtsverkehr demzufolge auch wie eine Behörde zu behandeln.“

Nun, da bin ich aber beruhigt, dass das VG das „Jobcenter“ dann doch noch als Behörde angesehen hat. Wenn ist das Urteil allerdings so lese, frage ich mich, ob beim VG eigentlich nichts zu tun ist, dass man Zeit hat, sich dazu auszulassen. Und ich bin auch ein ganz wenig – aber nur heimlich – froh, dass ich nie Verwaltungsrecht gemacht habe.

Kurios II: Welche Straftat ist eigentlich nicht „häßlich“ und „sinnlos“?

entnommen wikimedia.org Urheber Bubinator

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Strafzumessung ist nicht immer einfacher. Das wissen wir alle und das beweisen auch die vielen obergerichtlichen Entscheidungen, die sich mit Strafzumessungsfragen befassen. Dazu gehört nun auch der OLG Hamm, Beschl. v. 18.02.2014 – 1 RVs 12/14 – der die Strafzumessung beim Vollrausch zum Gegenstand hat. Der Angeklagte hatte im Zustand erheblicher Alkoholisierung – die Voraussetzungen des § 20 StGB konnten nicht ausgeschlossen werden – aus einem RTW einen Kindernotfallkoffer, in dem sich medizinische Geräte sowie Medikamente wie Paracetamol, Diazepam usw.  befanden, entwendet. In der (landgerichtlichen) Strafzumessung heißt es dann u.a.:

„Außerdem stellt das Entwenden eines Baby-Notfall-Koffers eine ebenso sinnlose wie hässliche und gefährliche Tat dar, die im schlimmsten Fall zu lebensbedrohlichen Situationen hätte führen können, wenn es anschließend zu einem entsprechenden Kindernotfalleinsatz der RTW-Besatzung gekommen und der Verlust des Koffers zuvor nicht aufgefallen wäre.“

Das beanstandet das OLG:

„Auch die Strafzumessungserwägungen im angefochtenen Urteil weisen einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

Soweit das Landgericht dem Angeklagten straferschwerend anlastet, der Diebstahl des Baby-Notfall-Koffers sei eine „sinnlose“ und „hässliche“ Tat, wirft es dem Angeklagten Umstände vor, die ihm bei Bewertung der Rauschtat nicht vorgeworfen werden können. Die im Rausch begangene Tat als solche darf dem Täter nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht vorgeworfen werden, weil er insoweit ohne Schuld handelt. Deshalb dürfen seine Motive und die Gesinnung, die zu der im Rausch begangenen rechtswidrigen Tat geführt haben, bei der Strafzumessung nicht zu seinem Nachteil herangezogen werden (BGH NJW 1992, 3309, 3311 [BGH 22.09.1992 – 5 StR 379/92]; BGH NJW 1971, 203 [BGH 04.11.1970 – 2 StR 476/70]), sondern lediglich tatbezogene Merkmale der Rauschtat, wie Art, Umfang, Schwere und Gefährlichkeit (BGH a.a.O.). Trotz der anderweitigen Formulierung im angefochtenen Urteil („die Tat“) charakterisieren die Begrifflichkeiten „sinnlos“ und „hässlich“ – anders als die ebenfalls verwendete Begrifflichkeit „gefährlich“ – jedenfalls nicht nur die Tat, sondern auch die Gesinnung des Täters. Sinnlos kann eine Tat nur sein, wenn sie – auch für den Täter zumindest erkennbar – keinen Sinn macht. Mit der Formulierung im Urteil wird mithin ein Verhalten umschrieben, das die Schädigung Dritter aus bloßem Mutwillen umschreibt. Ähnlich lässt sich auch die Charakterisierung als „hässlich“ verstehen, wobei hier schon fraglich ist, ob insoweit nicht auch ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB vorliegt, denn „hässlich“ ist an sich schon jedes zu einer Bestrafung führende Verhalten.

Sensation: Nach dem 0:4 Debakel erlässt LG München II U.Hoeneß die Haftstrafe

entnommen wikimedia org Urheber Harald Bischoff

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Mit 0:4 gestraft genug: Landgericht München II erlässt Uli Hoeneß die Haftstrafe“ so titelt „Der Postillon“ heute zum gestrigen o:4 Debakel des FC Bayern München gegen Real Madrid, vgl. hier. „Herrn Hoeneß nach diesem Drecksspiel auch noch einer Freiheitsstrafe auszusetzen, wäre unnötig grausam und inhuman„, so soll es in der Begründung des Gerichts heißen :-). Näheres im Postillon hier.

Tja, wer den Schaden hat, muss für Spott nicht sorgen. Das gilt sowohl für die Bayern als auch für U.Hoeneß. 🙂 🙂

 

Kurios I: Wer schützt in Sachsen/beim AG Pirna den Datenschutz?

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In Sachsen, zumindest im Bezirk der StA Dresden, dürfte es dann wohl keine Bußgeldverfahren wegen Ordnungswidrigkeit nach  dem Bundesdatenschutzgesetz mehr geben. Das ist die Quintessenz aus dem AG Pirna, Beschl. v. 07.04.2014 – 24 OW1151 Js 45191/13. Da war am 05.07.2013 gegen die Betroffene durch den Sächsischen Datenschutzbeauftragen ein Bußgeldbescheid erlassen worden. Nach Einspruch durch die Betroffene wurde das Verfahren vom Datenschutzbeauftragen an die Staatsanwaltschaft Dresden abgegeben und von dort aus gemäß § 69 Abs. 4 Satz 2 OWiG an das AG Pirna weitergeleitet. Im Verfahren wurde seitens des Sächsischen Datenschutzbeauftragten die Auffassung vorgetragen, dass aufgrund des Artikel 28 Absatz 1 der Richtlinie EG 95/46 und der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 09.03.2010 (Az.:C-518/07) die Prüfungs- und Vorlagekompetenz des § 69 Absatz 4 OWiG nicht mehr der Staatsanwaltschaft als weisungsgebundene Behörde obliegen dürfe, da hierdurch eine nicht zulässige Kontrolle des Datenschutzbeauftragten stattfände. Mithin müsse § 69 Abs. 4 OWiG im Wege der Auslegung auf den Datenschutzbeauftragen ausgeweitet werden.  Die Staatsanwaltschaft Dresden hat daraufhin jede weitere Tätigkeit im Zwischen- und Gerichtsverfahren für ausgeschlossen erklärt.

 Das AG stellt wegen eines Verfahrenshindernisses ein:

„Da nach Auffassung des Unterzeichners eine „einfache“ erweiternde Auslegung des § 69 Abs. 4 OWiG auf den Datenschutzbeauftragten nicht möglich ist und die Staatsanwaltschaft Dresden sich nicht mehr für zuständig erachtet, fehlt aus Sicht des Unterzeichners der nach § 69 Abs. 4 OWiG zwingend erforderliche Verfahrensbeteiligte.

Dies führt zu einem Verfahrenshindernis und demgemäß zur Einstellung.“

Tja, und nun?

 

 

 

Zeuge im Ausland – muss er kommen?

Frankreich IIDas Landgericht hat gegen eine ordnungsgemäß geladene Zeugin türkischer Staatsangehörigkeit mit Wohnsitz in Deutschland ein Ordnungsgeld verhängt, nachdem sie in der Hauptverhandlung, für die sie geladen war, nicht zu ihrer Vernehmung erschienen war, weil sie sich vorübergehend in der Türkei aufgehalten hat. Dagegen die Beschwerde der Zeugin, die der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 30.10.2013 – 2 Ws 58/13 – zurückweist. Den Beschluss fasst das OLG in den Leitsätzen wie folgt zusammen:

1. Zeugenpflichten sind staatsrechtlich begründete Pflichten und verpflichten jeden, der mit Wohnsitz in Deutschland als Zeuge geladen wird.

2. Verlässt der Zeuge zwischen Ladung und Hauptverhandlungstermin das Bundesgebiet, ändert das an seiner durch die Ladung in seiner Person begründeten Zeugenpflicht nichts.

3. Gegen ihn darf ein Ordnungsmittel nach § 51 StPO verhängt werden, und zwar unabhängig davon, ob er deutscher oder ausländischer Staatsangehöriger ist

Zu Leitsatz 3 hat das OLG Düsseldorf früher anders entschieden (vgl. OLG Düsseldorf, 25. Januar 1999, 1 Ws 702/98, NJW 1999, 1647 und 29. Mai 1991, 2 Ws 148/91, NJW 1991, 2223).