Ein „klassischen Fehler“ in Zusammenhang mit der Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung hat zur Aufhebung des späteren landgerichtlichen Urteils durch den BGH, Beschl. v. 19.11.2013 – 2 StR 379/13 geführt. „Klassisch“? Ja, denn es wird häufig übersehen, dass während der Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung nur die Zeugenvernehmung in Abwesenheit des Angeklagten als Beweisaufnahme durchgeführt werden darf/kann. Alle anderen Teile der Beweisaufnahme müssen in Anwesenheit des Angeklagten durchgeführt bzw. später – wenn sie in seiner Abwesenheit durchgeführt worden sind – wiederholt werden. So z.B. eine Augenscheinseinahme während der Zeugenvernehmung. Das hatte die Strafkammer in Köln übersehen, die während der Abwesenheit des Angeklagten der vernommenen Zeugin eine Luftbildaufnahme von „Google Earth“ vorgelegt hatte, die den Platz zeigte, auf dem sich die Tat ereignet hatte. Die Aufnahme wurde mit der Zeugin erörtert, wobei sie Standorte von Personen und Fahrzeugen auf dem Bild markierte und kennzeichnete. Anschließend wurde – so das Protokoll der Hauptverhandlung – die Skizze von allen Verfahrensbeteiligten in Augenschein genommen und Erklärungen seitens des Vorsitzenden abgegeben.
Gerügt worden ist mit der Verfahrensrüge ein Verstoß gegen §§ 338 Nr. 5, 230, 247 StPO. Und: Mit Recht, sagt der BGH, denn die „Augenscheinseinnahme“ war nicht nur ein Vernehmungsbehelf:
Aus dem Protokollvermerk ergibt sich, dass es sich bei der Betrachtung des Luftbilds um ein Beweiserhebung durch „Augenschein“ und nicht lediglich um einen Vernehmungsbehelf bei der Befragung der Zeugin gehandelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 1 StR 264/10, NStZ 2011, 51). Gegen-stand der Beweisaufnahme war nicht etwa nur die Erläuterung einer Skizze, welche die Zeugin zur Illustration ihrer Angaben während der Vernehmung an-gefertigt hat (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 2004 – 1 StR 391/03, NStZ-RR 2005, 260 f.). Vielmehr wurde eine außerhalb der Hauptverhandlung angefertigte und ausgedruckte Luftbildaufnahme in der Hauptverhandlung betrachtet und erörtert, was bereits für sich genommen – unabhängig von der Bewertung der Einzeichnungen durch die Zeugin – einen Fall des Augenscheinsbeweises darstellt.
Die Ausschließung des Angeklagten von der Anwesenheit in der Hauptverhandlung rechtfertigte aber nur die Verhandlung in seiner Abwesenheit während der Zeugenvernehmung, nicht bei der Erhebung von Sachbeweisen (vgl. Senat, Urteil vom 7. April 2004 – 2 StR 436/03, StV 2005, 6 f.).
Der Augenscheinsbeweis war auch ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung, da die Luftbildaufnahme den Tatort betraf. Sie gab den Richtern und Verfahrensbeteiligten einen Eindruck von dessen Gestaltung zur Tatzeit und den dort herrschenden räumlichen Verhältnissen.
Gemäß § 338 Nr. 5 StPO ist davon auszugehen, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 8. August 2007 – 2 StR 224/07, NStZ 2007, 717, 718), auch wenn die Urteilsgründe auf diesen Augenschein nicht ausdrücklich Bezug nehmen und die Aussage der Zeugin H. im Rahmen der Beweiswürdigung im Hinblick auf den Tatvorwurf als nicht aussagekräftig bezeichnet wurde. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der visuell durch eine Luftbildaufnahme vom Tatort vermittelte Eindruck für die Entscheidungsfindung unausgesprochen von Bedeutung war.„
Wie gesagt, ein klassischer Fehler. Man fragt sich, warum das bei der Strafkammer keiner merkt. Wenn man sich schon auf dünnen = gefährlichen Boden begibt, dann muss man aber auch die Fallstricke kennen. Und die sind bei § 247 StPO beträchtlich.