Ich bin immer wieder erstaunt über Entscheidungen des BGH, in denen nicht von allen drei richterlichen Mitgliedern der Strafkammer unterschriebene Eröffnungsbeschlüsse eine Rolle spielen.
So z.B. der gerade veröffentlichte BGH, Beschl. v. 29.09.2011 -3 StR 280/11. Da fragt man sich dann doch: Merkt das eigentlich keiner? Spätestens auf der Geschäftsstelle müsste doch auffallen, dass auf dem EÖB nicht alle erforderlichen Unterschriften sind, egal, ob im Umlaufverfahren verfasst oder nicht. Auch der Vorsitzende müsste m.E. doch darauf achten oder der Richter, der als Berichterstatter den EÖB entwirft.
Wird es übersehen, muss der BGH Klimmzüge machen, wenn er die Sache noch „halten“ will. In 3 StR 280/11 hat das nicht geklappt.
Das überzeugt mich überhaupt nicht. Es ist wenig nachvollziehbar, daß der BGH mitunter wegen solcher Förmeleien einer Revision stattgibt, in Fällen viel schwer wiegender Rechtsverletzungen aber nonchalant über alle Bedenken hinweggeht. Ich bezweifele auch, daß der BGH zum gleichen Ergebnis gelangt wäre, wenn der Angeklagte wegen Mordes verurteilt gewesen wäre.
@ d.c.:
die vorschriften, die den eröffnungsbeschluss regeln, halten sie für reine „förmeleien“, deren nichtbeachtung keine folgen haben sollte? dann könnte man den eröffnungsbeschluss freilich auch gleich ganz abschaffen, es wäre dann ja doch nur eine unverbindliche empfehlung.
aber eine ganz andere frage: was halten sie eigentlich von den vorschriften, dass das urteil fristgerecht von den richtern zu unterzeichnen ist?
@ n.n.
Erstens wird das je nach gewünschtem Ergebnis ‚mal so, bald so ausgelegt. Wie die in dem Beschluß des BGH zitierten Rechtsprechungsnachweise zeigen, werden solche Fehler in vielen Fällen großzügig „geheilt“, um eine Einstellung des Verfahrens abzuwenden. Etwas mehr Konsequenz wäre hier wünschenswert. Wie gesagt: ich glaube nicht, daß der BGH einen Mordverdächtigen auf diese Weise hätte davon kommen lassen. Hier wäre „geheilt“ worden bis der Arzt kommt….
Zweitens sehe ich eine Diskrepanz bei der Behandlung von reinen Formfehlern einerseits (obwohl völlig klar war, daß die Richter das Unterlassene gewollt haben und lediglich ein Irrtum vorliegt) und schwerwiegenden Verfahrensfehlern andererseits, in der es um existentielle Beschuldigtenrechte geht, die aber gleichwohl großzügig gesundgebetet werden, weil das Ergebnis „paßt“.
Das eigentliche Problem ist doch, daß aufgrund dieser ergebnisorientierten Rechtsprechung – Verzeihung…: notwendigen Einzelfallabwägung – die Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen und damit die Rechtssicherheit und Rechtseinheitlichkeit erheblich leidet. Und das gilt sowohl aus Sicht der StA als auch aus Sicht der Verteidigung.
@ dc:
bzgl. teilweise bei den haaren herbeigezogener wunderheilungen stimme ich zu.
die formenstrenge halte ich allerdings für deutlich wichtiger, als sie es offenbar tun. wie soll man herausfinden, ob der richter tatsächlich das richtige wollte? ihn anrufen und freibeweis erheben? natürlich hat er immer das richtige gewollt – was soll er denn sonst sagen? dass er sich gar nix gedacht hat und schludrig gearbeitet hat? dass er vor dem eröffnungsbeschluss noch nicht einmal den deckel der akte gesehen hat?
wer auf formenstrenge verzichtet, kann auch gleich die form als solche abschaffen.