Archiv für den Monat: November 2011

Auch für Zivilisten: Unrichtige Tatsachen im Mahnbescheidsantrag

Eine Entscheidung, die nicht nur Strafrechtler kennen sollten, sondern auch die sog. Zivilisten ist der OLG Celle, Beschl. v. 01.11.2011 – 31 Ss 29/11, in dem es um die Frage der Strafbarkeit ging, wenn in einem Mahnbescheidsantrag unrichtige Tatsachen erklärt werden. Das OLG Celle sagt:

Die Erklärung unrichtiger Tatsachen in einem Mahnantrag mit dem Willen, den Rechtspfleger zum Erlass eines Mahnbescheides gegen den Antragsgegner zu veranlassen, obwohl dem Antragsteller die Nichtexistenz der geltend gemachten Forderung bewusst ist, erfüllt den Tatbestand des versuchten Betrugs.

Der Alkoholtestkauf – faires Verfahren verletzt?

Das OLG Bremen setzt sich im OLG Bremen, Beschl. v. 31.10. 2011 –  2 SsRs 28/11 – mit der Frage auseinander, ob bei einem Alkoholtestkauf eines jugendlichen Testkäufers ggf. der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt wird, was u.a. ein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben kann. Das OLG hat die Frage verneint:

„Werden an einen von der Polizei angeleiteten jugendlichen Testkäufer bei einem Kontrollkauf entgegen § 9 Abs. 1 JuSchG alkoholische Getränke abgegeben, liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor, wenn der Testkäufer die Schwelle zur Tatprovokation nicht überschreitet. Eine Tatprovokation liegt nicht vor, wenn der Testkäufer lediglich das Verhalten eines „normalen“ Kunden an den Tag legt und darüber hinaus nichts unternimmt, um Bedenken des Verkäufers zu zerstreuen, der Kunde habe nicht das notwendige Mindestalter für den Erwerb der Alkoholika.“

„Preis“Frage – hier ist meine Antwort……

Ich hatte ja vor einigen Tagen die (Preis)Frage eines Kollegen zu einer gebührenrechtlichen Problematik eingestellt, die mit der Verbindung von Verfahren zu tun hatte. Antworten habe ich darauf leider nicht bekommen. Aber: ich will natürlich den Lesern meine Antwort an den Kollegen nicht vorenthalten. Ich habe ihm wie folgt geantwortet:

M.E. handelt es sich bei der Verbindung, so wie Sie den SV mitteilen, nicht um eine nach den §§ 2 ff. StPO – Verschmelzungsverbindung – sondern um ein nach § 237 StPO. Der Unterschied ist gebührenrechtlich gewaltig, da bei der Verschmelzungsverbindung nach der Verbindung nur noch eine Angelegenheit vorliegt, mit der Folge, dass grds. die Gebühren über § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG auch nur noch einmal entstehen können. Bei der Verbindung nach § 237 StPO bleibt hingegen jede Angelegenheit – also bei Ihnen jedes Bußgeldverfahren – selbständig mit der Folge, dass die Gebühren auch alle eigenständig entstehen können.

Das hat m.E. zur Folge, dass in jedem Bußgeldverfahren die gerichtliche VG und die TG entstanden ist. Sie sollten also gegenüber der Staatskasse so abrechnen, und zwar in den insgesamt 9 eingestellten Verfahren die Gebühren für das vorbereitende Verfahren, so weit Sie dort tätig waren, und die Gebühren für das gerichtliche Verfahren. Die Staatskasse wird sich freuen.“

Die Fragen der Verbindung sind immer ein wenig problematisch. Ich darf dazu auf meinen Beitrag aus RVGreport 2008, 405 verweisen. Den findet man im Volltext auf meiner HP. Außerdem sind die Verbindungsfragen eingehend im RVG-Kommentar, 3. Aufl., behandelt.

Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – das Pendel schlägt zugunsten des Verteidigers aus.

Ich habe ja schon mehrfach über die mit der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren, insbesondere  in die Bedienungsanleitung, zusammenhängenden Fragen berichtet. In der Tat ein „Dauerbrenner“. Dennoch hier dann zwei weitere Entscheidungen von AG. M.E. schlägt das Pendel inzwischen wirklich zu Gunsten des Verteidigers aus. Man kann in der Frage schon von einer h.M. sprechen.

Die erste Entscheidung: AG Düsseldorf, Beschl. v. 18.10.2011- 312 OWi 306/11 [b]

Im Bußgeldverfahren ist dem Verteidiger in die Bedienungsanleitung eines Messgerätes Akteneinsicht durch Übersendung einer Kopie der Anleitung zu gewähren.

Die zweite Entscheidung: AG Heidelberg, Beschl. v. 31.10.2011 – 3 OW1 510 Js 22198/11

Der Übersendung einer Kopie der Bedienungsanleitung eines Messgerätes an den Verteidiger steht das Urheberrecht des Verfassers der Bedienungsanleitung nicht entgegen (Anschluss an LG Ellwangen VRR 2011, 117; AG Ellwangen NZV 2011, 362). Der Verteidiger darf die überlassenen Unterlagen allerdings nur für das jeweilige Verfahren verwenden und insbesondere nicht anderweitig veröffentlicht werden dürfen.

Auch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit kann die Einsicht in die Bedienungsanleitung des Messgeräts nicht versagt werden. Zum einen kommt es für die Erfüllung des Akteneinsichtsrechts als Konkretisierung des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Rechts auf ein faires Verfahren nicht auf die Frage der Zumutbarkeit für die Verwaltungsbehörde an, zum anderen dürfte die Bedienungsanleitung als PDF-Datei vorliegen und deshalb problemlos übersandt werden können.

 Und zur Abschreckung :-): AG Heilbronn, Beschl. v. 19.09.2011 – 21 OWi 2102/11

Der Verteidiger hat keinen Anspruch auf Beiziehung der sich nicht bei den Akten befindlichen Bedienungsanleitung zu einem Messgerät. Hinsichtlich der Bedienungsanleitung wird nämlich in der Hauptverhandlung der Messbeamte als Zeuge über die Bedienung Auskunft geben und ausführlich befragt werden können.

 

Der zerquetsche Laptop

Im Newsletter von Jurion finde ich heute folgende Meldung zu einem Urteil des AG München:

Wird der Fahrersitz eines Autos durch den Fahrer nach hinten geschoben und zerquetscht dadurch einen Laptop einer Mitfahrerin, welche diesen zwischen Fahrersitz und Rückbank abgestellt hatte, ist der Schaden durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursacht. Eine Privat-Haftpflichtversicherung, die die sog. „Kleine Kraft-, Luft- und Wasserfahrzeugsklausel“ enthält, muss daher nach einem Urteil des AG München den Schaden nicht ersetzen.

Ein Münchner schloss mit einem Versicherungsunternehmen einen privaten Haftpflichtversicherungsvertrag. In den Versicherungsbedingungen war die sogenannte „Kleine Kraft-, Luft- und Wasserfahrzeugklausel“ enthalten. Danach sind Schäden nicht versichert, die von einem Eigentümer, Besitzer, Halter oder Führer eines Kraft-, Luft- oder Wasserfahrzeugs verursacht wurden und die durch den Gebrauch des Fahrzeugs entstanden sind. Ende Mai 2009 beschädigte der Versicherungsnehmer den Laptop einer Bekannten. Er setzte sich im Auto der Bekannten auf den Fahrersitz, da er das Steuer übernehmen wollte. Um gut sitzen zu können, schob er den Fahrersitz vollkommen nach hinten, bis dieser in der letzten Position einrastete. Hierdurch geriet der Laptop der Bekannten, welchen diese hinter dem Fahrersitz abgestellt hatte, zwischen Fahrersitz und Rückbank und wurde eingequetscht. Der Bildschirm des Laptops zerbrach dabei. Die Bekannte kaufte sich einen neuen Laptop und bekam den Kaufpreis in Höhe von 1008,99 Euro von dem Versicherungsnehmer erstattet. Der wiederum wollte den Betrag von seiner Haftpflichtversicherung. Schließlich greife die sogenannte „Kleine Kraft-, Luft- und Wasserfahrzeugklausel“ nicht. Der Schaden sei durch seine Unachtsamkeit entstanden und nicht durch den Gebrauch des Fahrzeugs im herkömmlichen Sinn. Die Versicherung sah dies anders. Das Einstellen des Fahrersitzes diene bereits der Vorbereitung der Fahrt und gehöre damit zum Betrieb des Fahrzeugs.

Die zuständige Richterin am Amtsgericht München gab der Versicherung Recht: Die Versicherungsklausel sei anwendbar, so dass eine Einstandspflicht der Versicherung ausscheide. Wann der Gebrauch eines Fahrzeugs vorliege, sei weit auszulegen. Hiervon umfasst seien auch Schäden, die nicht den Risiken des Straßenverkehrs zuzuordnen seien. Voraussetzung sei nur, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen Schadenseintritt und Gebrauch des Fahrzeugs bestehe. Es müsse sich eine Gefahr verwirklicht haben, die gerade dem Fahrzeuggebrauch eigen, diesem selbst und unmittelbar zuzurechnen sei. Auch Vorgänge, die konkret erst der Vorbereitung des Ingangsetzens des Kraftfahrzeugs dienen, können Gebrauch des Fahrzeugs sein, jedenfalls dann, wenn sich dabei die besonderen Gefahren des Fahrzeugs auswirken.

Im vorliegenden Fall habe das Zurückstellen des Fahrersitzes durch den Kläger der Vorbereitung des anschließenden Losfahrens mit dem Fahrzeug gedient. Die Rechtsprechung habe in der Vergangenheit auch das Beladen und Entladen noch zum „Gebrauch“ eines Kfz gezählt. Wenn sogar das Be- und Entladen als Vorbereitungshandlung dem Gebrauch zuzuordnen sei, dann jedenfalls auch das vorbereitende Einstellen des Sitzes. Dabei habe sich auch die spezifische Gefahr des Fahrzeugs verwirklicht, da der Laptop gerade durch ein Fahrzeugteil, den Fahrersitz, unmittelbar beschädigt wurde. Dabei sei diese Gefahr auch vom Sitz und nicht unmittelbar vom Kläger ausgegangen, auch wenn dieser natürlich hinter der Handlung gestanden habe.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Urteil des AG München vom 28.10.2010 – Az: 222 C 16217/10