§ 88 StVollzG erlaubt als eine besondere Sicherungsmaßnahme auch die Fesselung des Strafgefangenen. Allerdings nur unter besonderen Umständen, wenn nämlich „nach seinem Verhalten oder auf Grund seines seelischen Zustandes in erhöhtem Maß Fluchtgefahr oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr des Selbstmordes oder der Selbstverletzung besteht“.
Dazu nimmt jetzt das OLG Hamm, Beschl. v. 16.06.2011 – III-1 Vollz (Ws) 216/11 Stellung. Besondere Fluchtgefahr i.S.v. § 88 Abs. 1 StVollzG setzt danch eine an konkreten Anhaltspunkten belegte und individuelle zu beurteilende Fluchtgefahr voraus, die über die allgemein bei Gefangenen naheliegende Fluchtvermutung hinaus geht und auch die gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG der Gewährung von Vollzugslockerungen entgegenstehende Fluchtgefahr übersteigt. Das hat das OLG verneint.
„Eine solche mit konkreten Anhaltspunkten belegbare erhöhte Fluchtgefahr bestand vorliegend nicht. Soweit die Strafvollstreckungskammer, der Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt L folgend, die Fluchtgefahr mit dem Verhalten der Betroffenen vor ihrer Selbststellung begründet, belegt schon die Selbststellung, dass sich die Betroffene der Vollstreckung der Strafe gerade nicht mehr entziehen wollte. Soweit die Kammer die Annahme besonderer Fluchtgefahr auf die erlebten ersten Hafterfahrung der Betroffenen stützt, stellt sie hiermit ausschließlich auf die bei Gefangenen allgemein naheliegende Fluchtvermutung ab. Diese reicht indes, wie ausgeführt, für die Annahme erhöhter Fluchtgefahr gerade nicht aus.“
Insgesamt sind Anhaltspunkte, welche eine erhöhte Fluchtgefahr i.S.v. § 88 Abs. 1 StVollzG begründen könnten, nicht festgestellt, von der Justizvollzugsanstalt nicht behauptet und auch sonst nicht im Ansatz erkennbar.
Zum Sachverhalt ist nachzutragen: Die Verurteilte war dreimal in ein Krankenhaus ausgeführt worden. U.a.
„der Transport in das JVK Fröndenberg wurde als Liegendtransport durchgeführt. Bei diesem wurde die Betroffene mit Gurten auf der Liege fixiert und zusätzlich mit Fußfesseln gefesselt. Während der gesamten Fahrt waren Justizvollzugsbeamte zugegen. Auf der Fahrt wurde der Krankenwagen in einen Verkehrsunfall verwickelt. Aufgrund dessen musste die Fahrt ca. 1 1/2 Stunden unterbrochen werden. Auch während dieser Zeit blieb die Betroffene an die Liege festgegurtet und mit Fußfesseln gefesselt.“
Anhand des vorliegenden Sachverhaltes dürfte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wohl hinreichend ausser Acht gelassen worden sein. Die Tatsache,dass die Selbststellerin – jemand der sich der Strafvollstreckung aus freier Entscheidung nicht entzieht – bei der Ausführung gefesselt wurde, dürfte für die Betroffene demnach ein einschneidendes Erlebnis hinsichtlich des Empfinden der Rechtsstaatlichkeit darstellen.
Dass StVKen immer noch in Haftsachen entscheiden, ist ja lustig.
Wissen die immer noch nicht, dass die JVAen diese Beschlüsse in die Rundablage legen?
Oder deutlicher: Seit wann ist denn eine JVA an Recht und Gesetz gebunden?
ME ist die Entscheidung des OLG nicht ganz nachvollziehbar. Das Verhalten der reisefähigen, aber angeblich haftunfähigen Betroffenen vor der Selbststellung
„setzte sich die Betroffene im Jahr 2009 nach P ab und legte von dort medizinische Gutachten vor, die ihre Haftunfähigkeit belegen sollten. Einem hierauf gestellten Auslieferungsersuchen der BRD gab die Republik P statt. Als dieses schließlich auch zwangsweise durchgesetzt werden sollte, tauchte die Betroffene zunächst unter“
ist also durch eine anschließende Selbststellung wieder auf „Null“ gesetzt und es müssen dann erst wieder neue Tatsachen vorliegen, die eine Fluchtgefahr-Prognose erlauben? (welche denn, die müssten sich ja während der Haftzeit ergeben: Flucht(versuch) bei Ausführung ins Krankenhaus?)
Es hat ja auch schon Fälle gegeben, in denen weibliche Gefangene vor den Augen von JVA-Beamten gefesselt gebähren mußten. Mit der Würde eines demokratischen Rechtsstaates ist das sicher nicht vereinbar. Ich stelle mir immer vor, wie man sich wütend und gruselnd abwendete, sähe man solche Szenen in einem Film. Liest es sich hingegen in einer Akte, scheint es vielen Entscheidungsträgern ein völlig normaler Vorgang zu sein, den es gegen Beschwerden zu verteidigen gilt.
Und Gerichtsentscheide, mit denen solche Praktiken für rechtswidrig erklärt werden (wenn sie denn einmal für rechtswidrig erklärt werden), sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind, solange solche schweren Verstöße gegen Menschenrechte ohne dienstrechtliche Folgen für die handelnden Beamten und ohne (hohe) finanzielle Folgen für den Dienstherrn bleiben. Amtshaftungsklagen bleiben regelmäßig erfolglos oder enden mit lächerlich kleinen Entschädigungen. Mitunter könnte man den Eindruck gewinnen, daß es großen Teilen der Richterschaft nur darum geht, um jeden Preis Schaden von Behörden abzuwenden.