Nach einer PM vom 14.01.2010 hat inzwischen auch das OLG Jena in einem Beschluss vom 6. 1. 2010 – 1 Ss 291/09 zur Frage des Beweisverwertungsverbots bei der Videomessung Stellung genommen. Nach der PM hat das OLG Jena ein Beweisverwertungsverbot verneint (s. aber auch das OLG Oldenburg zur verdachtsunabhängigen Messung) . Der Betroffene hatte sein Rechtsbeschwerde maßgeblich auf den Beschluss des BVerfG vom 08.11.2009 gestützt worden; der mit Fotoaufnahmen geführte Nachweis, zu schnell gefahren zu sein, verstoße gegen Verfassungsrecht. in der PM heißt es:
„Dieser Argumentation ist das THOLG nicht gefolgt und hat die Rechtsbeschwerde verworfen. Zur Begründung heißt es in der Entscheidung des Bußgeldsenats, Videoaufzeichnungen oder Fotoaufnahmen seien nur dann verfassungswidrig erhobene und deshalb unzulässige (verbotene) Beweismittel, wenn kein „konkreter Anfangsverdacht“ für einen Verkehrsverstoß vorgelegen habe. Den Fall verdachtsabhängiger Aufzeichnungen oder Aufnahmen habe das BVerfG „nicht angesprochen“. Es habe sich (nur) mit dem Sachvortrag des Beschwerdeführers befasst, wonach sämtliche Fahrzeuge verdachtsunabhängig gefilmt und die Aufzeichnungen anschließend auf Verkehrsverstöße ausgewertet worden seien.In dem vom THOLG entschiedenen Fall lag der Sachverhalt anders. Hier war die Geschwindigkeitsüberschreitung zunächst maschinell festgestellt worden. Erst dann wurde die Fotoaufnahme ausgelöst und so eine Zuordnung zu Fahrzeug und Fahrer ermöglicht. Damit sei „die Entscheidung des BVerfG vom 11.08.2009 nicht einschlägig; ein verdachtsunabhängiger Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung findet nicht statt.“
M.E. nicht so überraschend, weil sich wohl alle einig sind, dass der Beschluss des BVerfG nicht für die verdachtsabhängige Überwachung gilt. Allerdings: Was ist mit der Ermächtigungsgrundlage für die Überwachung. Ist das wirklich § 100h StPO, wie das OLG Bamberg meint. Ich wage das zu bezweifeln.
Die Entscheidung ist jetzt online unter: : http://www.strafrecht.jurion.de/inhalte/strafrechtliche-entscheidungen/aktuelle-urteile/olg-jena-beschl-v-06012010-1-ss-29109/
Das ist meiner Ansicht nach schon vom Ansatz her falsch gedacht. Wenn man § 100h StPO als Rechtsgrundlage heranzieht, ist dessen Abs. 2 zu beachten: „Die Maßnahmen dürfen sich nur gegen einen Beschuldigten richten.“ Zum Zeitpunkt der automatischen Fertigung des Lichtbildes hat der „Geblitzte“ aber noch nicht die Beschuldigteneigenschaft. Diese kann ihm auch nicht von der Software der Blitzanlage als Ergebnis der Messung verliehen werden. Denn, so die einhellige Auffassung in der Rechtsprechung: die Beschuldigteneigenschaft kann nur durch einen menschlichen Willensakt begründet werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage, Einl. Rn. 76 m.w.N.). Eine Maschine kann das nicht. Eine Blitzanlage kann keinen menschlichen Willensakt entfalten. Die Software kann keine Einzelfallentcheidung treffen.
Und dieser Willensakt kann ihr auch nicht vorwegnehmend durch die OWi-Behörde für alle Fälle eingepflanzt werden. Nach dem Motto: „Jeder, der von diesem Apparat gemessen wird, wird zwischen Messung und Fotoauslösung kraft unseres allgemeinen behördlichen Willens zum Beschuldigten/Betroffenen erklärt.“ Notwendig ist immer eine individuelle Ermessensentscheidung eines Menschen. Wenn man den Wortlaut des § 100h StPO ernst nimmt, müßte also erst gemessen und dann von einem Menschen entschieden werden, ob auch „geblitzt“ wird.
Praktisch ist das natürlich nicht durchführbar. Aber das ist nicht das Problem der Betroffenen. Dann muß eben eine passende Rechtsgrundlage geschaffen werden, die es zur Zeit nicht gibt.
man muss mal schauen, wie das OLG das im Einzelnen begründet hat. ich habe gegen den § 100h StPO auch meine Bedenken. Unabhängig von den von Ihnen angesprochenen Fragen: Es sind damit doch ganz andere Fälle gemeint (gewesen).
So ist es. Wenn man heute § 100h StPO als Rechtsgrundlage anführt, muß man sich auch fragen lassen, auf welcher Rechtsgrundlage denn vor Einführung dieser Norm und deren Vorgängerregelung „geblitzt“ worden ist. Die Entstehungsgeschichte dieser Normen zeigt eindeutig, daß damit nicht „Starenkästen“ legitimiert werden sollten. Es ist aus meiner Sicht ziemlich an den Haaren herbeigezogen, eine Regelung als Ermächtigungsgrundlage anzuführen, die weder vom Wortlaut noch vom Zweck der Norm paßt.
Fakt ist: niemand ist es bislang aufgefallen, daß die Herstellung von Lichtbildern durch „Blitzanlagen“ in ein Grundrecht eingreifen könnte. Nunmehr, da seit Jahrzehnten überall im Land „Starenkästen“ stehen, kann man doch nicht zum Ergebnis kommen, daß die Messungen mangels Rechtsgrundlage alle rechtswidrig sind. Schon aus fiskalischen Gründen und der öffentlichen Ordnung wegen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Also wird irgendeine Rechtsgrundlage gesucht und „passend gemacht“.
M. E. kann 100 h StPO i.V.m 46 OwiG schon aus Gründen der verfassungskonformen Auslegung nicht für Fälle herangezogen werden, in denen vollautomatisch (!) die Begehung einer Ordnungswidrigkeit festgestellt wird und dann ebenfalls automatisch ein Beweisfoto des „Verdächtigen“ gefertigt wird. Damit würde im Bereich der Ordnungswidrigkeiten (!) der flächendeckenden Videoüberwachung und automatischen Verfolgung von Owis Tür und Tor geöffnet. Die technischen Voraussetzungen mal angenommen (und das ist gar nicht mal abwegig) könnte der gesammte öffentliche Raum mit Kameras zugepflastert werden und bei jeder automatisch festgestellten Owi wird ein Foto gemacht. Falschparken, Zigarette auf der Straße fallen gelassen, den Hund nicht an der Leine geführt, ein Papiertaschentuch nicht im Mülleimer entsorgt, alles könnte automatisch festgestellt, bearbeitet und geahndet werden. Mit dieser Folge wäre 100 h StPO m. E. unverhältnismäßig und außerdem zu unbestimmt. Da wurde mal wieder passend gemacht, was schlicht nicht passte. Es lebe der Rechtsstaat!
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