Das BMJ „meldet“: Der Rat der Europäischen Union (Formation: Justiz und Inneres) hat sich am 23.10.2009 auf einen Fahrplan geeinigt, mit dem europaweit Mindeststandards für Beschuldigtenrechte in Strafverfahren eingeführt werden sollen. Zugleich haben die Justizminister und -ministerinnen sich politisch auf einen Rahmenbeschluss geeinigt, der das Recht auf Übersetzung und Verdolmetschung in Strafverfahren garantiert. In der PM des BMJ heißt es:
„Auf europäischer Ebene stand bei der strafrechtlichen Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren vor allem die Optimierung der Ermittlungstätigkeit durch Verbesserung staatlicher Eingriffsrechte sowie die Sicherung des Verfahrens und seiner Ergebnisse im Vordergrund. Grenzüberschreitende justizielle Zusammenarbeit auf Basis gegenseitiger Anerkennung setzt aber nicht zuletzt Vertrauen in die Rechtssysteme der anderen Mitliedstaaten voraus.
(Ex-; Ergänzung vom Verfasser)Bundesjustizministerin Brigitte Zypries machte deutlich, dass Grundlage dieses Vertrauens gemeinsame Mindestgarantien seien, die den Bürgerinnen und Bürgern Europas die Gewissheit geben, dass in allen Mitgliedstaaten die gleichen hohen rechtlichen Standards gelten. Deshalb sei es notwendig, dass die Europäische Union mit denselben rechtlichen Instrumenten, mit denen sie Eingriffsbefugnisse regele, auch die Schutzrechte der Betroffenen festlege. Dabei könne die Frage, welche Rechte man in einem Strafverfahren habe, für jede und jeden ganz schnell sehr konkrete praktische Bedeutung erlangen, unterstrich die Ministerin weiter. Bisher gab es je nach Mitgliedstaat Unterschiede, wie mit Verdächtigen oder Beschuldigten umgegangen wurde, die die Sprache des Mitgliedstaats nicht oder nur unzureichend sprechen. Zukünftig werden die Bürgerinnen und Bürger in Europa darauf vertrauen können, in allen Mitgliedstaaten ein gemeinsames Mindestmaß an Dolmetscher- und Übersetzungsleistungen gewährleistet zu bekommen, erläuterte Zypries abschließend.
Die Regelungen des am 23.10.2009 getroffenen Rahmenbeschlusses Übersetzung und Verdolmetschung sehen EU-einheitliche Mindeststandards für die Verdolmetschung und Übersetzung in Strafverfahren vor. Um eigene Rechte wahrnehmen und sich sachgerecht verteidigen zu können, muss man in der Lage sein zu verstehen, mit welchen Vorwürfen und Maßnahmen man konfrontiert wird. Zudem muss man sich verständlich machen und die eigene Sicht der Dinge schildern können. Damit dies möglich ist, verpflichten sich die Mitgliedstaaten, zukünftig bei allen Vernehmungen, z. B. auf der Polizeiwache oder vor einem Staatsanwalt oder Richter, einen Dolmetscher auf Kosten des Staates zur Verfügung zu stellen; auch entsprechende Verteidigergespräche werden gedolmetscht. Darüber hinaus erhält der Beschuldigte eine Übersetzung der wesentlichen Unterlagen, wie z. B. des Haftbefehls oder der Anklageschrift.
Deutschland hatte bereits während seiner Ratspräsidentschaft 2007 den Vorstoß unternommen, europaweit Mindeststandards für Beschuldigte in Strafverfahren einzuführen. Damals waren die Bemühungen für einen umfassenden Rahmenbeschluss noch an wenigen Mitgliedsstaaten gescheitert. Auf Vorschlag der schwedischen Ratspräsidentschaft ist es nun im Rat der Europäischen Union (Formation: Justiz und Inneres) gelungen, sich auf eine schrittweise Einführung EU-weiter Mindestgarantien in Strafverfahren zu verständigen. Zur stufenweisen Implementierung von Einzelmaßnahmen hat der Rat einen Fahrplan beschlossen. Dieser Fahrplan trifft politische Festlegungen und legt folgende konkrete Bereiche für die europaweite Vereinheitlichung und Verbesserung von Rechten fest:
Übersetzung und Dolmetschung,
Belehrung über die Rechte und Unterrichtung über die Beschuldigung,
Rechtsbeistand und die Prozesskostenhilfe,
die Benachrichtigung von Verwandten, dem Arbeitgeber und Konsularbehörden,
besondere Schutzmaßnahmen für Beschuldigte, die z. B. aufgrund von Erkrankung einer besonderen Fürsorge bedürfen sowie
Diskussionspapier („Grünbuch“) zur Untersuchungshaft.
Für die ebenfalls im Fahrplan vorgesehene Maßnahme der Belehrung über die Rechte und Unterrichtung über die Beschuldigung hat das Bundesministerium der Justiz ein Forschungsprojekt zur europaweiten Einführung einer einheitlichen schriftlichen Beschuldigtenbelehrung („Letter of Rights“) in Auftrag gegeben, das von der Europäischen Kommission gefördert und wissenschaftlich von der Universität Maastricht geleitet wird. Die Ergebnisse dieser Studie, die für das Jahr 2010 zu erwarten sind, sollen zügig zu einer EU-weiten Verständigung über die Notwendigkeit und die Inhalte eines solchen Informationsblattes führen. Deutschland wird auch die folgenden Präsidentschaften dabei unterstützen, weitere Verfahrensrechte europaweit zu verankern.
Der Rahmenbeschluss wird durch eine Entschließung des Rates begleitet, die Qualitätsstandards für die Dolmetscher- und Übersetzungsleistungen festschreibt. Ein hohes Niveau auf diesem Gebiet ist unerlässlich, damit das Recht auf Übersetzung und Dolmetschung in Strafverfahren zugunsten von Beschuldigten seine volle Wirkung entfalten kann und der Beschuldigte in die Lage versetzt wird, seine Verteidigungsrechte effektiv ausüben zu können.“
Na, da darf man gespannt sein, was Schwarz/Gelb daraus macht.
Eigentlich ist der EU-Rahmenbeschluss nicht nur längst überfällig. Mindeststandards sind nämlich angesichts zunehmender Europäischen Haftbefehle notwendig. Immer mehr Bundesbürger (oder auch Ausländer mit dauerhaftem Status hier) werden aufgrund Europäischer Haftbefehle in EU-Länder ausgeliefert, die keine, der bundesdeutschen StPO gleichwertigen Standards haben.
Dabei werden nicht einmal hierzulande die vom EU-Rat festgelegten Dolmetschung-Standards (welch ein Wort!) eingehalten, wenn es z.B. um die schriftliche Übersetzung von Dokumenten geht. Der EU-Rahmenbeschluss vom 23.10.2009 ist daher nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Der schwedischen Ratspräsidentschaft ist dafür zu danken. Es fehlt aber noch vieles:
Denn die bestehende Möglichkeit, die EuHb-Auslieferung mit der völkerrechtlichen Bedingung zu verknüpfen, eine Strafe in Deutschland verbüßen zu können (Rücküberstellung), ist unzureichend.
Es müssen weitere Schritte folgen: Weil zurzeit die Strafe des ausländischen Staates grundsätzlich vollständig, also 1:1 zur Verbüßung übernommen werden muss, ist eine zwingende Umwandlungsmöglichkeit der ausländischen Rechtsfolge in eine nationale (deutsche) notwendig. Denn es gibt bereits Fälle, in denen Staatsanwaltschaften eigene Ermittlungen einstellen, weil dem Beschuldigten in einem anderen EU-Land eine höhere Strafe droht.
Die Generalstaatsanwaltschaften müssen angehalten, also im Zweifel gesetzlich verpflichtet werden, weitere Bedingungen zum Schutz der Betroffenen völkerrechtlich vorzuschreiben. In einem Verfahren habe ich diese -jetzt durch den EU-Rahmenbeschluss teilweise vereinbarten- Konditionen gefordert:
Dazu hat die Verteidigung folgende Auslieferungsbedingungen beantragt und wiederholt dies:
1. Unterbringung des Verfolgten in einer renovierten Einzelzelle mit WC in einer Justizvoll-zugsanstalt,
2. Jederzeitiger Kontakt des Verfolgten zu einem Verteidiger seiner Wahl in Ungarn mit kostenfreier Gestellung eines Dolmetschers seiner Wahl und jederzeitiger telefonischer Kontakt des Verfolgten zu seinem Verteidiger in Deutschland,
3. Kostenfreie Übersetzung aller gerichtlichen Verfahren bzw. Termine in die deutsche Sprache durch einen vereidigten Dolmetscher seiner Wahl,
4. Erlaubnis für Telefonate des Verfolgten mit seiner Ehefrau und seinen Kindern,
5. Einhaltung der Erledigungsfristen nach § 121 StPO,
6. Rücküberstellung des Verurteilten zur Vollstreckung binnen eines Monats ab Abschluss
des Verfahrens,
7. Umwandlungsvorbehalt der ungarischen Rechtsfolgenentscheidung in ein deutsches Urteil.
Die Bewilligungsentscheidung hat sicherzustellen, dass diese, in der Verfassung und den Menschenrechten verankerten Mindeststandards eingehalten werden
Die Liste enthält eigentlich nur Selbstverständliches und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Wie zu lesen, ging es um eine EuHb-Auslieferung nach Ungarn. Weder das OLG noch die Generalstaatsanwaltschaft habe aber die von mir geforderten Bedingungen an die Auslieferung geknüpft. Der Mann ist seit vier Wochen in Ungarn. Kontakte zu mir als seinem deutschen Verteidiger werden überwacht. Kontakte zur Familie hat er nicht. Wie die Zustände in dem Gefängnis in Ungarn sind, weiß ich nicht.
Mein Fazit: EuHb-Betroffene werden wie ein Postpaket durch Europa verschubt, ohne Chance darauf, die Auslieferung zu verhindern, indem sie sich zB hierzulande einem Verfahren stellen. Das ist alles 18. Jahrhundert, bloß dass damals die Landesherren ihre Untertanen nicht auslieferten. Eine schreckliche Entwicklung!