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Vorsicht bei der Absprache – es gibt kein instanzübergreifendes Verwertungsverbot

Bei der Absprache/Verständigung ist im Hinblick auf die Frage der Verwertbarkeit der Angaben des Angeklagten, die dieser im Rahmen seines Geständnisses macht, besondere Vorsicht geboten, wenn es um die Frage geht, ob diese ggf. in späteren Verfahrensabschnitten gegen ihn verwendet werden können. Also z.B., wenn der Angeklagte gegen ein ihn verurteilendes Urteil Berufung einlegt. Greift dann § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO?

Das OLG Nürnberg, Beschl. v. 29.02.2012 – 1 St OLG Ss 292/11 sagt: Nein. Es gibt kein  instanzübergreifendes und vom Loslösungstatbestand unabhängiges allgemeines Beweisverwertungsverbot. § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO erfasst nur die in Satz 1 und 2 der Vorschrift geregelten Fälle.  Das Geständnis kann also verwertet werden.

Lesenswert der Beschluss, auch wegen der revisionsrechtlichen Fragen.

Der telefonische Hinweis des Strafkammervorsitzenden an den Verteidiger…

Ergänzend führt der BGH im BGH, Beschl. v.20.12.2011 – 3 StR 426/11 aus:

„Der telefonische Hinweis des Strafkammervorsitzenden an den Verteidiger, der Angeklagte könne im Falle einer geständigen Einlassung mit einer Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung rechnen, hat nicht zu einer Bindung der Strafkammer geführt. Eine solche ergibt sich erst aus einer Verständigung nach § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO, nicht jedoch aus den verschiedenen, zuvor möglichen Formen der Kommunikation des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten (§§ 202a, 212, 257b StPO).
Auch ein berechtigtes Vertrauen des Angeklagten oder eines anderen Verfahrensbeteiligten dahin, dass von der Einschätzung der Bewährungsfrage nicht abgewichen wird, solange kein entsprechender Hinweis erteilt worden ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 – 3 StR 39/11, NJW 2011, 3463), konnte durch dieses erkennbar im Rahmen der Terminsvorbereitung geführte Telefonat nicht entstehen.“

Man fragt sich natürlich: Warum wird dann angerufen und was soll ein solcher Hinweis?

Auch ein „nur „schlankes“ Geständnis“…

…konnte der BGH in dem landgerichtlichen Urteil, das seinem Beschl. v. 22.09.2011 – 2 StR 383/11 zugrunde gelegen hat, nicht finden.

Der BGH beanstandet, das Fehlen einer Beweiswürdigung im Sinne des § 261 StPO:

„Ausweislich der Urteilsgründe beruhen die Feststellungen zur Sache allein „auf der Anklageschrift“, welcher der Angeklagte D. sowie die Mitangeklagten P. und M. „nach Maßgabe“ der getroffe-nen Verständigung „nicht entgegengetreten“ sind (UA S. 26).

Das Urteil genügt damit nicht den Mindestanforderungen, die an die richterliche Überzeugungsbildung auch dann zu stellen sind, wenn die Entscheidung, wie hier, nach einer Verständigung ergangen ist. Auch bei einer Verständigung hat das Gericht von Amts wegen den wahren Sachverhalt aufzuklären (§ 257c Abs. 1 S. 2, § 244 Abs. 2 StPO). Die Bereitschaft eines Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet nicht von dieser Pflicht (vgl. BGH, NStZ 2009, 467; NStZ-RR 2010, 54; Senat, NStZ-RR 2010, 336; Beschluss vom 9. März 2011 – 2 StR 428/10). Nur ein Sachverhalt, der auf einer Überzeugungsbildung des Gerichts unter vollständiger Ausschöpfung des Beweismaterials beruht, kann die Grundlage einer Verurteilung bilden. Eine An-klageschrift kann auch dann nicht Grundlage sein, wenn ihr neben dem Angeklagten, wie vorliegend, seine wegen gemeinschaftlichem Handelns angeklag-ten Mittäter ebenfalls nicht entgegengetreten sind. Diesem Einlassungsverhalten lässt sich ein irgendwie geartetes – auch nur „schlankes“ – Geständnis, das einen als glaubhaft bewertbaren inhaltlichen Gehalt hätte, auf den einen Schuldspruch tragende Feststellungen gestützt werden könnten, nicht entnehmen (vgl. BGH, NStZ 2004, 509, 510). Es fehlt schon an einem tatsächlichen Einräumen des dem Anklagevorwurf zu Grunde liegenden Sachverhalts.“

Ähnlich bereits ja auch das OLG Celle, vgl. hier.

Welchen Sinn hat eine Erörterung im Strafverfahren?

Allmählich bekommen die Regelungen zur Verständigung (§ 257c StPO) aber auch die sie begleitenden Vorschriften, wie z.B. die §§ 160b, 202a, 212 oder § 243 Abs. 4 StPO Konturen durch die Rechtsprechung. So gerade mal wieder § 243 Abs. 4 StPO.

Das OLG Celle, Beschl. v.30.08.2011 – 32 Ss 87/11 setzt sich mit dem Sinn und Zweck der dort normierten Mitteilungspflicht auseinander und der Frage: was passiert, wenn die Pflicht nicht erfüllt worden ist. Das OLG sagt, dazu:

  1. Der Zweck der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 S. 1 StPO besteht in der Sicherung der Transparenz des Verständigungsverfahrens und der Gewährleistung des Öffentlichkeitsgrundsatzes. Die Pflicht bezweckt nicht die Unterrichtung des Angeklagten über das Bestehen der gesetzlichen Möglicheit der Verfahrensverständigung als solche.
  2. Die Verletzung der Pflicht aus § 243 Abs. 4 S. 1 StPO begründet keinen absoluten, sondern lediglich einen relativen Revisionsgrund.
  3. Der Angeklagte hat kein subjektives Recht auf Information über die gesetzliche Möglichkeit der Urteilsabsprache. Ein nicht auf eine Verständigung (§ 257 c StPO) zurückgehendes Urteil kann nicht darauf beruhen, dass der Angeklagte durch den Vorsitzenden über diese Möglichkeit nicht unterrichtet worden ist.“

Ähnlich vor kurzem ja auch schon der BGH.

Watschen für die Strafkammer und den Verteidiger – 5. Strafsenat des BGH macht seinem Unmut Luft

Wie macht ein Strafsenat des BGH seinen Unmut gegenüber einer Strafkammer und einem Verteidiger Luft? Wer es wissen will, der lese BGH, Beschl. v. 22.06.2011 – 5 StR 226/11, in dem der 5. Strafsenat die Vorgehensweise m.E. sehr deutlich macht.

In der Sache ging es um die Verurteilung eines Angeklagten wegen schweren Raubes. Der Angeklagte hatte im Ermittlungsverfahren in seiner verantwortlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren geltend gemacht, er leide an Schizophrenie und benötige Medikamente. Damit stand eine Maßregel nach § 63 StGB im Raum. Zu deren Anordnung ist es aber nicht gekommen, wohl aufgrund der getroffenen Verständigung (§ 257c StPO). Der BGH hat diese Vorgehensweise der Strafkammer – der Angeklagte hatte die Aufklärungsrüge erhoben – mit m.E. harschen Worten kritisiert. Es heißt im Beschluss:

Die Aufklärungsrüge ist offensichtlich begründet. Die Strafkammer war nach der letztgenannten Vorschrift wegen der zweifelhaften Schuldfähigkeit des Angeklagten und einer im Raum stehenden Maßregel nach § 63 StGB an einer Verständigung – nicht anders als auch die Staatsanwaltschaft – gehindert. Es musste sich ihr aufgrund der eigenen, in die Anklageschrift aufgenommenen Hinweise des Angeklagten auf eine schwere psychische Erkrankung aufdrängen, ihn zur Frage der Schuldfähigkeit begutachten zu lassen. Dass das Tatbild der dem Angeklagten zur Last gelegten Verbrechen auf den ersten Blick eine Einschränkung seiner Schuldfähigkeit nicht nahelegt, ändert hieran angesichts des begründeten massiven Krankheitsverdachts nichts.
Die Rüge muss angesichts der alleinigen Beweisgrundlage des Geständnisses eines möglicherweise Geisteskranken zur umfassenden Aufhebung des angefochtenen Urteils führen.“

Und dem Verteidiger gibt der Senat mit auf den Weg:

Das neue Tatgericht wird zu erwägen haben, ob dem Angeklagten ein neuer Verteidiger zu bestellen ist, nachdem der bisherige sich auf die vom Gericht initiierte grob sachwidrige Verständigung eingelassen hat. Die Erwägung, dass der Verteidiger womöglich zum vermeintlich Besten seines Mandanten handeln wollte, indem er ihm einen unbefristeten Freiheitsentzug infolge einer Unterbringung nach § 63 StGB zu ersparen suchte, verbietet sich angesichts der jetzt durchgeführten Revision (vgl. § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).“

Das letzte ist dann wohl: Venire contra factum proprium. „Grob sachwidrige Verständigung“ und der Rat zur Entpflichtung: Das ist schon was.