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StPO II: Vollmachtsvorlage durch den Verteidiger, oder: Zustellung an den Betroffenen wirksam?

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Die zweite Entscheidung kommt dann ebenfalls vom OLG Brandenburg. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Gegen die Betroffene ergeht am 10.02.2021 ein Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen die Wartepflicht an einem Bahnübergang als Führerin eines Kraftfahrzeuges gemäß §§ 24, 25 StVG, §§ 19 Abs. 2, 49 StVO, § 4 BKatV, Ziff. 89b2 BKat. Mit Schriftsatz vom 24.02.2021 meldet sich Rechtsanwalt K.  unter Vorlage einer Vollmachtsurkunde vom selben Tag als Verteidiger und legt gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt.

Durch Urteil vom 04.04. 2022 wird de rEinspruch der Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Mit Verfügung vom 04.04.2022 wird die förmliche Zustellung des Verwerfungsurteils an die Betroffene verfügt, nicht hingegen an den bevollmächtigten Rechtsanwalt. Das Urteil wird der Betroffenen am 08.04.022 zugestellt. Mit dem bei Gericht am 14.04.2022 eingegangenen Schreiben legte die Betroffene gegen das Verwerfungsurteil „Beschwerde“ ein.

Das AG verwirft als unzulässig, da nicht fristgemäß. Gegen den dem Verteidiger 15.06.2022 förmlich und der Betroffenen formlos zugestellten Beschluss hat die Betroffene am 2106.2022 eingegangenen Schreiben „erneute Beschwerde“ eingelegt. Die ist erfolglos geblieben.

Das OLG führt im OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.09.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 399/22 – aus:

„a) Die von der Betroffenen erhobene „Beschwerde“ ist gem. § 300 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG als „Antrag auf gerichtliche Entscheidung“ gemäß § 346 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 2 OWiG als der einzig statthafte Rechtsbehelf auszulegen. Dieser ist im Übrigen form- und fristgerecht eingelegt worden.

b) In der Sache hat der Rechtsbehelf jedoch keinen Erfolg.

aa) Die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde beträgt bei einem Abwesenheitsurteil – wie im vorliegenden Fall – gemäß § 341 Abs. 1, 2 iVm. 79 Abs. 3 OWiG eine Woche ab Zustellung der Entscheidung. Dem schließt sich die Begründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG an, die einen Monat beträgt.

Im vorliegenden Fall wurde das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 4. April 2022 der Betroffenen am 8. April 2022 wirksam förmlich zugestellt. Die Zustellungsurkunde weist dies gem. § 1 Brb VwZG iVm. §§ 2, 3 VwZG und § 182 ZPO nach. Sie ist eine öffentliche Urkunde gem. § 415 ZPO, die volle Beweiskraft gem. § 418 ZPO entfaltet. Soweit nach § 415 Abs. 2 ZPO der Nachweis der Unrichtigkeit der durch zu Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen möglich ist, ist ein solcher Nachweis nicht geführt worden. Auch erfolgte die Zustellung auf Anordnung der Gerichtsvorsitzenden (§ 36 Abs. 1 S. 1 StPO iVm. § 71 OWiG). Mithin endete die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gemäß § 43 Abs. 1, 2 StPO iVm. § 71 OWiG mit Ablauf des 15. April 2022 und die Monatsfrist zur Begründung der Rechtsbeschwerde mit Ablauf des 16. Mai 2022, da der 15. Mai 2022 auf einen Sonntag fiel.

Zwar erfolgte die Einlegung der Rechtsbeschwerde durch die Betroffene am 14. April 2022, fristgerecht, jedoch ist eine Begründung der Rechtsbeschwerde weder frist- noch formgerecht bei Gericht eingegangen. Das am 21. Juni 2022 bei Gericht eingegangene, selbst verfasste Schreiben der Betroffenen erfolgte nicht innerhalb der Begründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG und auch nicht in der Form des § 345 Abs. 2 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG, wonach die Begründung in einer von einem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgen muss. Zweck dieser Zulässigkeitsvoraussetzung für die Rechtsbeschwerde ist, dass die Anträge und die Begründung von sachkundiger Seite stammen und daher gesetzmäßig und sachgerecht sind; die Rechtsbeschwerdegerichte, mithin die Oberlandesgerichte, sollen dadurch vor Überlastung durch unsachgemäßes Vorbringen Rechtsunkundiger bewahrt werden (vgl. BVerfGE 46, 135, 152; BGHSt 25, 272, 273; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 345 Rdnr. 10).

bb) Die förmliche Zustellung des Verwerfungsurteils an die Betroffene ist auch wirksam. Zwar hatte der Verteidiger der Betroffenen bereits im Verwaltungsverfahren eine Vollmachtsurkunde zu den Akten gereicht, so dass er gemäß § 145a Abs. 1 StPO iVm. § 71 OWiG als ermächtigt gilt, Zustellungen im Empfang zu nehmen. Von daher wäre das Bußgeldgericht gehalten gewesen, das Urteil dem Verteidiger zuzustellen und die Betroffene davon formlos zu unterrichten (vgl. § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO, Nr. 154 Abs. 1 RiStBV). Die Vorschrift des § 145a Abs. 1 StPO ist jedoch eine bloße Ordnungsvorschrift und begründet keine Rechtspflicht, Zustellungen für die Betroffene an deren Verteidiger zu bewirken (allgemeine Ansicht, statt vieler: vgl. KG, Beschluss vom 27. November 2020, (5) 161 Ss 155/20 (47/20), in: StraFo 2021, 69 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 8. Mai 2007, 4 Ws 210/07). Daher sind auch an die Betroffene vorgenommene Zustellungen wirksam und setzen Rechtsmittelfristen in Gang (vgl. BVerfG NJW 2001, 2532; BGHSt 18, 352, 354; BayObLG VRS 76, 307; OLG Düsseldorf NStZ 1989, 88; OLG Frankfurt StV 1986, 288; OLG Karlsruhe VRS 105, 348; OLG Köln VRS 101, 373; KG a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 145a Rn 6). Die Rechtsbeschwerde ist daher unzulässig, weil Rechtsbeschwerdebegründung verfristet und nicht formgerecht eingelegt worden ist. Mithin hat das Amtsgericht das Rechtsmittel zu Recht nach § 346 Abs. 1 StPO iVm. § 79 Abs. 3 OWiG verworfen.

cc) Es besteht auch keine Veranlassung, der Betroffenen von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zwar kann die unterlassene Zustellung der Entscheidung oder das Unterlassen einer entsprechenden Benachrichtigung von der Zustellung an den Betroffenen oder Verteidiger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen, wenn die Fristversäumung auf diesem Unterlassen beruht und nicht besondere Umstände vorliegen, die der Betroffenen Anlass geben mussten, für die Einhaltung der Frist auch selbst Sorge zu tragen (vgl. KG a.a.O.), jedoch hatte der Verteidiger spätestens mit der Zustellung des Beschlusses vom 23. Mai 2022, die 15. Juni 2022 erfolgt ist, von dem Verwerfungsurteil vom 4. April 2022 Kenntnis, was wiederum die Wiedereinsetzungsfrist des § 45 Abs. 1 StPO ausgelöst hat, innerhalb der gemäß § 45 Abs. 2 Satz StPO die versäumte Handlung in der gesetzlichen Form nachzuholen gewesen wäre, was nicht geschehen ist.“

Verteidiger III: Wenn der Verteidiger keine Info über eine Zustellung erhält, oder: Wiedereinsetzung

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In der dritten und letzten Entscheidung des Tages, dem LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 31.10.2019 – 5/9 Qs OWi 70/19 -, über den auch schon der Kollege Gratz berichtet hat, geht es um die Wiedereinsetzung nach einem Verstoß gegen § 145a Abs. 3 StPO.

Ergangen ist der Beschluss in einem Bußgeldverfahren. In dem wurde dem Betroffenen der Bußgeldbescheid förmlich zugestellt, nicht aber zugleich der Verteidiger des Betroffenen nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO von der erfolgten Zustellung in Kenntnis gesetzt. Der erhält erst später Kenntnis und legt dann umgehend – verspätet – Einspruch ein. Das LG gewährt – anders als das AG – Wiedereinsetzung:

„Der Betroffene war indes ohne eigenes Verschulden daran gehindert die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen- den Bußgeldbescheid einzuhalten (§§ 46 Abs. 1, OWiG 44 StPO). Zwar wurde dem Betroffenen auch ohne die gleichzeitige Benachrichtigung des Verteidigers der Bußgeldbescheid wirksam zugestellt. Denn bei der in § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO normierten Unterrichtungspflicht handelt es sich nach allgemeiner Meinung nur um eine Ordnungsvorschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 145a Rn. 14; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 11.12.1981 – 3 Ws 820/81 – beck-online; KG, Beschluss vom 09.01.2014- 2 Ws 2/14141 AR 692/13 – beck-online BeckRS 2014, 1 0367), so dass der Lauf der Einspruchsfrist in Gang gesetzt wurde.

Der hier vorliegende Verstoß nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO begründet jedoch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid vom 26.06.2019. Diese Vorschrift dient dem gesetzlichen Zweck, dem bevollmächtigten Verteidiger die Fristenkontrolle zu übertragen, so dass sich der Betroffene darauf verlassen können soll, dass der Verteidiger Kenntnis von der Zustellung der Entscheidung erhält, nach der er sich ohne zusätzliche Rückfragen bei dem Betroffenen richten kann (vgl. KG, Beschluss vom 09.01.2014- 2 Ws 2/14141 AR 692/13 – beck-online BeckRS 2014, 10367 – m.w.N.; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 11 .12.1981 – 3 Ws 820/81 – beck-online). Demgemäß begründet das Unterbleiben der Benachrichtigung des Verteidigers die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn die Fristversäumnis darauf beruht und nicht besondere Umstände vorliegen, die dem Betroffenen Anlass geben mussten, für die Einhaltung der Frist auch selbst Sorge zu tragen (KG, Beschluss vom 09.01.2014 – 2 Ws 2/14141 AR 692/13 – beck-online BeckRS 2014, 10367; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 11.12.1981 – 3 Ws 820/81 – beck-online; OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.07.2009 – 4 Ws 127/09 – beck-online BeckRS 2009, 20732; Karlsruher Kommentar – Willnow, StPO § 145a Rn. 6).

Vorliegend sind keine Umstände ersichtlich, wonach der Betroffene die Fristversäumnis selbst mitverschuldet haben könnte und für die Einhaltung der Frist selbst hätte Sorge tragen müssen. Denn aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass die Versäumung der Einspruchsfrist ausschließlich auf der fehlerhaften Unterrichtung des Verteidigers beruht und diesem die nachgeholte Benachrichtigung vom 12.07.2019 – gedruckt am 16.07.2019 – ausweislich des Kanzleieingangsstempels erst am 22.07.2019 zugegangen ist. Die Unterrichtung des Verteidigers erfolgte damit – entgegen der Auffassung des Amtsgerichts – erst nach Ablauf der Einspruchsfrist, die am 18.07.2019 endete, so dass nach § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO auch ohne vorherigen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen zu gewähren war.“