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Berichterstattung der StA über Anklageerhebung, oder: Richtiger Zeitpunkt und Wiederholungsgefahr

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Die zweite Entscheidung, die ich heute vorstelle, das VG Saarland, Urt. v. 12.05.2022 – 1 K 966/20 – hat nichts mit Verkehrsrecht zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine Entscheidung im Nachgang zu einem Strafverfahren. Es geht nämlich um den Zeitpunkt von staatsanwaltlichen Pressemitteilungen, hier zu einer Anklageschrift, und zur Frage der Wiederholungsgefahr.

Gegenstand des Klageverfahrens ist die Beantwortung einer Presseanfrage durch eine Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit einem gegen den Kläger geführten Strafverfahren. Am 06.12.2019 erhob die Staatsanwaltschaft u. a. gegen den Kläger Anklage zur Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts A-Stadt wegen gemeinschaftlicher wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen in sieben Fällen jeweils in Tateinheit mit besonders schwerer Bestechung (Az. 8 KLs 5 Js 135/14 (29/19)). Der Kläger befand sich zu diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft.

Am 04.12.2019 war dem Verteidiger/Klägervertreter umfassend (elektronisch) Einsicht in die mehrere tausend Blatt umfassenden Strafakten gewährt worden. Mit E-Mail vom 09.12.2019, einem Montag, um 12.28 Uhr fragte ein Journalist des Saarländischen Rundfunks beim  Pressedezernenten der Staatsanwaltschaft nach dem aktuellen Sachstand des gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahrens, so insbesondere, ob Anklage erhoben wurde, welche konkreten Vorwürfe gemacht werden und ob zwischenzeitlich eine Schadenssumme ermittelt werden konnte.

Mit E-Mail vom 09.12.2019 um 14.16 Uhr informierte der Pressedezernent die Verteidiger des Klägers – u. a. den hiesigen Klägervertreter – wie folgt:

„[…] aufgrund einer vorliegenden Presseanfrage darf ich Sie gemäß Nr. 23 RiStBV darüber unterrichten, dass in der Sache 05 Js 135/14 – wie aus der Anlage ersichtlich – gegen Ihre Mandanten Anklage zum Landgericht A-Stadt erhoben wurde. Ich beabsichtige die vorliegende Presseanfrage in Kürze zu beantworten.“

Der E-Mail angefügt war die 51-seitige Anklageschrift als PDF, die dem Kläger oder seiner Verteidigung bis dato noch nicht zugegangen war.

Mit E-Mail vom 09.12.2019 um 14.30 Uhr erklärte der vormalige Mitverteidiger des Klägers – dessen zweiter Sohn am Abend des 08.12.2019 geboren worden war und der sich am Nachmittag des 09.12.2019 im Stationszimmer seiner Ehefrau im Krankenhaus aufhielt – gegenüber dem Pressedezernenten, dem die vorgenannten Umstände nicht bekannt waren, dass er beabsichtige, im Laufe des Tages Stellung zu nehmen, und beantragte, bis dahin zuzuwarten.

Mit E-Mail vom 09.12.2019 um 15.04 Uhr antwortete der Pressedezernent dem vormaligen Mitverteidiger, dass er die Presseanfrage um 15.30 Uhr beantworten werde. Mit E-Mail vom 09.12.2019 um 15.45 Uhr antwortete der Pressedezernent dem Journalisten des Saarländischen Rundfunks u. a. wie folgt:

„[…] Mit Anklage vom 06.12.2019 wurden der 67-jährige deutsch-französische Staatsangehörige S., der 61-jährige französische Staatsangehörige L. sowie der 68-jährige deutsche Staatsangehörige H. wegen gemeinschaftlichen wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Ausschreibungen in sieben Fällen jeweils in Tateinheit mit besonders schwerer Bestechung (S.) bzw. Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (L. und H.) zur Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts A-Stadt angeklagt. […]“

Am 09.12.2019 um 19.34 Uhr teilte der Verteidiger dem Pressedezernenten per E-Mail Folgendes mit:

„[…] haben Sie verbindlichen Dank für die Mitteilung. Umgekehrt bin ich Ihnen dankbar für die Information, welche Presseanfrage auf welcher Grundlage Ihnen vorliegt. Meine Pflicht tue ich, darauf hinzuweisen, dass aus sicher gut nachvollziehbaren Gründen unser Mandant an einer identifizierenden Berichterstattung nicht interessiert ist […].“

Am 09.12.2019 um 19.54 Uhr war ein entsprechender Bericht auf der Homepage der „Saarbrücker Zeitung“ online. Um 20.00 Uhr antwortete der Pressedezernent dem Klägervertreter per E-Mail: „[…] ich bedaure Ihnen mitteilen zu müssen, dass eine Übersendung der Presseanfrage nicht der geübten Praxis der Staatsanwaltschaft A-Stadt entspricht. Die Beauskunftung erfolgte auf Grundlage des saarländischen Mediengesetzes. Gleichwohl kann ich Ihnen versichern, dass hiesige Behörde stets darauf achtet, eine angemessene Anonymisierung zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte vorzunehmen.“

Der Kläger/Angeklagte hat in Bezug auf die vorgenannte Presseerklärung der Staatsanwaltschaft Feststellungsklage erhoben. Die hatte keinen Erfolg:

„Die Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist bereits unzulässig.

Sie ist zwar als Feststellungsklage statthaft i. S. d. § 43 Abs. 1 Halbsatz 1 VwGO, dem Kläger fehlt jedoch das erforderliche (allgemeine) Rechtsschutzbedürfnis. Er möchte – wie sich insbesondere aus seinem Antrag unzweifelhaft ergibt – festgestellt wissen, dass die Staatsanwaltschaft nicht berechtigt war, die benannte Presseerklärung vom 09.12.2019 zum streitgegenständlichen Zeitpunkt abzugeben. Das diesbezügliche Rechtsschutzbedürfnis ist jedoch entfallen, nachdem der Beklagte dem Begehren des Klägers insofern Rechnung getragen hat, als dass er jedenfalls mit Schriftsatz vom 03.05.2022 ausdrücklich zugestanden hat, „dass die Frist zwischen der Bekanntgabe der beabsichtigten proaktiven Presseerklärung an den Klägervertreter und deren anschließende Veröffentlichung, auch im Hinblick auf die Komplexität des Sachverhalts und den Inhalt und Umfang der Anklageschrift, zu knapp bemessen“ war. Nachdem der Beklagte damit selbst – und vom Klägervertreter mit Schriftsatz vom 06.05.2022 noch einmal ausdrücklich begrüßend – eingeräumt hat, dass die zeitliche Ausgestaltung der streitgegenständlichen Pressearbeit der Staatsanwalt rechtswidrig war, besteht für eine entsprechende gerichtliche Entscheidung kein Bedürfnis. Durch eine solche könnte die Rechtsstellung des Klägers nicht (mehr) verbessert werden (vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 13.12.2021, 2 A 178/21, juris Rn. 39).

2. Darüber hinaus verfügt der Kläger auch nicht über das von § 43 Abs. 1 Halbsatz 2 VwGO vorausgesetzte berechtigte Interesse an einer baldigen Feststellung.

Für Rechtsverhältnisse, die sich – wie das vorliegend zu prüfende – auf einen vergangenen Zeitpunkt beziehen, bestimmt sich dieses berechtigte Feststellungsinteresse anhand der zur Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entwickelten Fallgruppen (BeckOK VwGO/Möstl, 59. Ed. (Stand: 01.10.2021), VwGO § 43 Rn. 25). Danach können insbesondere eine Wiederholungsgefahr, ein tiefgreifender Grundrechtseingriff, ein Rehabilitationsinteresse und eine Präjudizwirkung für Staatshaftungsprozesse ein solches Interesse begründen (VG Regensburg, Urteil vom 23.07.2019, RO 4 K 17.1570, juris Rn. 27). Die gerichtliche Entscheidung muss dabei geeignet sein, die Position des Klägers zu verbessern; als Sachentscheidungsvoraussetzung muss das Fortsetzungsfeststellungsinteresse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Übrigen (noch) vorliegen (siehe BVerwG, Urteil vom 16.05.2013, 8 C 14/12, juris Rn. 20, und Urteil vom 20.06.2013, 8 C 39/12, juris Rn. 19, zu § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Vorliegend lässt sich für den benannten Zeitpunkt jedoch mit keiner der benannten und fallbezogen allein in Betracht kommenden Fallgruppen ein berechtigtes Feststellungsinteresse begründen.

a) Der Kläger hat zunächst nicht zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass er aufgrund bestehender Wiederholungsgefahr ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung hat. Wiederholungsgefahr setzt die konkrete Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten rechtlichen und tatsächlichen Umständen eine vergleichbare Verwaltungsmaßnahme getroffen wird (BVerwG, Urteil vom 16.05.2013, 8 C 14/12, juris Rn. 21, und Urteil vom 20.06.2013, 8 C 39/12, juris Rn. 19 f.). Eine solche ist vorliegend nicht anzunehmen.

Zwar ist das der streitgegenständlichen Presseerklärung vom 09.12.2019 zugrundeliegende Strafverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, auch führt die Staatsanwaltschaft noch weitere Ermittlungsverfahren gegen den Kläger und ist damit weiterhin potentiellen Presseanfragen ausgesetzt. Dennoch geht das Gericht nicht von einer konkreten Gefahr einer Wiederholung der beanstandeten Pressearbeit aus. Denn der Beklagte hat nachvollziehbar vorgetragen, die Staatsanwaltschaft habe den vorliegenden Fall zum Anlass genommen, ihre zuvor geübte Praxis zu ändern. Bereits seit etwa März 2020 würden Presseinformationen im Zusammenhang mit der Erhebung von Anklagen – sei es in Form der Beantwortung von Presseanfragen, sei es in Form proaktiver Presseerklärungen – frühestens vorgenommen, nachdem diese dem Beschuldigten bzw. seinem Verteidiger – anders als im vorliegenden Fall – seit mindestens einem Werktag vorliegen. Hierüber werde der Verteidiger in Fällen, in denen die Übermittlung der Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft vor der gerichtlich angeordneten Zustellung erfolgt, mit dieser Übermittlung hingewiesen, so dass er in der Lage sei, Umstände geltend zu machen, die ein längeres Zuwarten erforderlich erscheinen lassen könnten. Diese geänderten Vorgaben stehen im Einklang mit Nr. 23 RiStBV i. V. m. § 5 SMG und sind nicht zu beanstanden – was auch der Kläger nicht in Abrede stellt.

Es bestehen des Weiteren keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Staatsanwaltschaft sich nicht an diese geänderten Vorgaben halten würde. Soweit der Kläger anführt, die Staatsanwaltschaft (oder Polizei) habe auch in anderen Strafverfahren und auch in einem früheren Stadium des der streitgegenständlichen Presseerklärung zugrundeliegenden, gegen ihn geführten Verfahrens gegen presserechtliche Vorgaben verstoßen, so betreffen diese Vorwürfe – unabhängig davon, ob sie zutreffen oder nicht – entweder nicht gänzlich den Kläger, stehen nicht im Zusammenhang mit einer Anklageerhebung oder liegen bereits länger als März 2020 zurück. Entgegen der Ansicht des Klägers lassen diese – von ihm angeführten – Einzelfälle jedenfalls nicht darauf schließen, die Staatsanwaltschaft würde (in vergleichbaren Fällen) presserechtliche Vorschriften grundsätzlich nicht hinreichend beachten, so dass auch hinsichtlich des Klägers eine Wiederholung der beanstandeten Pressearbeit konkret drohen würde. Soweit der Kläger im Übrigen behauptet, es ergäben sich – auch im Zusammenhang mit einem nichtöffentlichen Haftprüfungstermin des Klägers im Juli 2020 – Anhaltspunkte dafür, dass Informationen durch die Staatsanwaltschaft unzulässigerweise an die Presse „durchgestochen“ worden seien, so sind diese diesseits nicht ersichtlich. Die im durch den Kläger benannten Artikel der „Saarbrücker Zeitung“ über den Hauptverhandlungstermin vom 09.10.2020 zitierten Äußerungen der Staatsanwaltschaft gehen offensichtlich nicht auf eine entsprechende Presseauskunft zurück, sondern beruhen auf einer Schilderung der öffentlichen Hauptverhandlung. Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus dem durch den Kläger vorgetragenen Umstand, dass der Generalbundesanwalt die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft noch im Rahmen des Revisionsverfahrens verteidigt haben soll. Denn dessen Einschätzung ist für das vorliegende verwaltungsgerichtliche Verfahren ohne Belang.

b) Der Kläger hat durch die streitgegenständliche Pressearbeit der Staatsanwaltschaft auch keinen tiefgreifenden Grundrechtseingriff i. S. d. § 432 Halbsatz 2 VwGO erlitten. In Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe gebietet es das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gem. Art. 19 Abs. 4 GG, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, auch dann die Rechtmäßigkeit des Eingriffs gerichtlich klären zu lassen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. Ursprünglich wurde diese Fallgruppe zwar entwickelt, um Grundrechtseingriffe durch Anordnungen zu erfassen, die unter Richtervorbehalt stehen – worauf der Beklagte zu Recht hinweist -, sie ist aber nicht hierauf beschränkt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 07.12.1998, 1 BvR 831/89, juris Rn. 25, und Beschluss vom 30.04.1997, 2 BvR 817/90 u. a., juris Rn. 49 ff.).

Hinsichtlich des Klägers ist eine solche Situation dennoch nicht gegeben. Zwar mag er durch das staatsanwaltschaftliche Vorgehen im Zusammenhang mit der Presseerklärung vom 09.12.2019 in seinen Grundrechten – namentlich in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und in seinem Recht auf ein faires Verfahren gem. Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 1 Abs. 1 GG – betroffen worden sein. Die vom Kläger erlittene Beeinträchtigung ist aber nicht derart schwerwiegend, dass eine Klärung der Rechtslage auch noch nach Ende der unmittelbaren Belastung durch das hoheitliche Vorgehen – hier das Informationshandeln der Staatsanwaltschaft – erforderlich wäre……“

Ausgeliehenes Fahrzeug und Fahrtenbuchauflage, oder: Erfüllung der Mitwirkungspflicht

Am Beginn des 2. Adventswochenendes heute dann im „Kessel Buntes“ zwei verkehrsverwaltungsrechtliche Entscheidungen. In der ersten, dem VG Saarland, Urt. v. 11.11.2020 – 5 K 715/20 – geht es mal wieder um eine Fahrtenbuchauflage (§ 31a StVZO).

Die Klägerin wendet sich gegen eine angeordnete Fahrtenbuchauflage, die für die Dauer von 6 Monaten angeordnet worden ist. Sie ist Halterin des Pkw mit einem amtlichen Saison-Kennzeichen (März bis November) pp. Für dieses Fahrzeug wurde durch eine Geschwindigkeitsüberwachungsanlage eine am 26.03.2019 um 20:01 Uhr begangene Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften um 33 km/h festgestellt. Auf dem „Beweisfoto“ war eine männliche Person mit Vollbart abgebildet.

Mit dem „Zeugenfragebogen“ vom 09.04.2019 teilte die Zentrale Bußgeldbehörde der Klägerin mit, dass der Fahrer des Kraftfahrzeuges die Ordnungswidrigkeit begangen habe, sie wurde gebeten, den Namen und die Anschrift des Fahrzeugführers auf der Rückseite des Schreibens anzugeben. Der Zeugenfragebogen wurde wie folgt zurückgesandt: „Das Fahrzeug wurde zur Tatzeit geführt von pp.“ mit Adresse und Geburtsdatum. Die Antwort trägt das Datum 13.04.19 und eine unleserliche Unterschrift.

Daraufhin hörte die Zentrale Bußgeldbehörde Herrn pp. mit Schreiben vom 30.04.2019 als Betroffenen zur Ordnungswidrigkeitenanzeige und von der Fahrzeughalterin als Fahrzeugführer benannt an, ohne dass eine Reaktion erfolgte. Als nächstes führte die Bußgeldbehörde einen Lichtbildabgleich mit dem Personalausweisfoto von Herrn pp. durch, der zu Zweifeln an dessen Verantwortlichkeit für den Verstoß führte. Daraufhin bat die Bußgeldbehörde die Polizeiinspektion pp. um Feststellung des Fahrzeugführers, bei dem es sich wohl nicht um Herrn pp. handele. Die Polizeiinspektion pp. gab folgende Ermittlungsübersicht: „Sachverhalt nicht geklärt. Die durchgeführten Ermittlungen verliefen bisher ergebnislos. Fahrer konnte nicht ermittelt werden. Person pp. wurde bislang nicht angetroffen. Fahrerfoto mit BPA des Herrn pp. nicht identisch. Hinweise auf Fahrer liegen nicht vor.“

Die Zentrale Bußgeldbehörde stellte daraufhin das Ordnungswidrigkeitsverfahren am 04.07.2019 ein und teilte das der Klägerin mit. Am 09.07.2019 teilte sie der Klägering mit, da nicht habe festgestellt werden können, wer das Fahrzeug zur fraglichen Zeit gefahren habe, sei beabsichtigt, ihr die Führung eines Fahrtenbuchs für die Dauer von sechs Monaten für das Fahrzeug oder ein Ersatzfahrzeug aufzuerlegen (§ 31a StVZO), und gab ihr Gelegenheit zur Äußerung (§ 28 SVwVfG). Eine Reaktion erfolgte nicht. Am 11.09.2019 wird dann die Anordnung getroffen.

Dagegen richtet sich die Klage, die keinen Erfolg hatte. Das VG führt zur Unmöglichkeit der Feststellung aus:

„Die Feststellung des für den Verkehrsverstoß verantwortlichen Fahrers war vorliegend auch im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn die Ermittlungsbehörden nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage waren, den Täter innerhalb der Verjährungsfrist (hier der dreimonatigen Verfolgungsverjährung nach § 26 Abs. 3 StVG i.V.m. §§ 31 ff. OWiG) zu ermitteln, obwohl die angemessenen und zumutbaren Ermittlungsmaßnahmen unternommen worden sind. Für die Beurteilung der Angemessenheit des erforderlichen Ermittlungsaufwands kommt es wesentlich darauf an, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei dürfen Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde sich an den Erklärungen des Fahrzeughalters ausrichten. Ist der Fahrzeughalter erkennbar nicht gewillt, an der Aufklärung der Verkehrszuwiderhandlung mitzuwirken, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben. Weitere Ermittlungen können in einer solchen Situation nur ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn Verdachtsmomente vorliegen, die in eine bestimmte Richtung deuten und eine Aufklärung auch ohne Mitwirkung des Fahrzeughalters aussichtsreich erscheinen lassen.10

Davon ausgehend hat die Bußgeldbehörde im konkreten Fall alle ihr nach den Gegebenheiten zumutbaren und auch angemessenen Versuche zur Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers zum Tatzeitpunkt unternommen.

Der an die Klägerin übersandte und als Zeugenanhörung bezeichnete Anhörungsbogen wurde beantwortet und als verantwortlicher Fahrer Herr pp. bezeichnet. Die von der Bußgeldbehörde veranlassten Ermittlungen der Polizei ergaben indes, dass Herr pp. nicht der auf dem Beweisfoto abgebildete und gut erkennbare Fahrzeugführer war.

Damit hat die Bußgeldbehörde an den Erklärungen des Fahrzeughalters ausgerichtet alle „angemessenen und zumutbaren“ Maßnahmen ergriffen, die im Regelfall gewöhnlich zur Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers führen. Dass es letztlich nicht hierzu gekommen ist, ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass die Klägerin ihrer Verpflichtung, als Halterin des Fahrzeugs aktiv bei der Ermittlung des Fahrzeugführers mitzuwirken, nicht nachgekommen ist.11 Dabei ist es von Rechts wegen unerheblich, dass sie den Zeugenanhörungsbogen ihrem Vorbringen zufolge gar nicht zu Augen bekommen hat, dieser vielmehr von ihrem Vater und Mitarbeiter in ihrem Betrieb ausgefüllt und (unleserlich) unterschrieben zurückgesandt wurde. Denn der an ihre Adresse gesandte Zeugenanhörungsbogen ist nachweislich dort und damit in ihrem Wirkungskreis angekommen. Deshalb geht es mit ihr und nicht mit der Bußgeldbehörde heim, wenn Dritte wie vorliegend ihr im Betrieb mitarbeitender Vater den allein an sie adressierten und gerichteten Anhörungsbogen ausfüllen und so unleserlich unterschreiben, dass die Bußgeldbehörde davon ausgehen muss, sie persönlich habe diese Erklärungen abgegeben. Die Bußgeldbehörde musste deshalb davon ausgehen, dass die Klägerin ausschließlich Herrn pp. als den auf dem Beweisfoto gut erkennbaren Fahrzeugführer bezeichnet hat und dieser aufgrund der Ermittlungen der Polizei als verantwortlicher Fahrer nicht in Betracht kam. Damit stand und steht fest, dass die Klägerin an der Ermittlung des Fahrers nicht in der Weise mitgewirkt hat, dass der verantwortliche Fahrer ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Insbesondere ist es für die Bußgeldbehörde von Rechts wegen nicht geboten, die Fahrzeughalterin erneut zur Sache zu vernehmen, wenn diese einer auf einem Beweisfoto gut erkennbaren Person einen Namen und eine Adresse zuordnet, die sich im Nachhinein als falsch erweist. Wird einem Fahrzeughalter ein Zeugenanhörungsbogen mit einem gut erkennbaren Beweisfoto übersandt, reicht es – wie der vorliegende Fall offenkundig zeigt – zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht nicht aus, in einer Datei nachzuschauen, wer sich das Fahrzeug auf dem Papier „ausgeliehen“ hat. Vielmehr erfordert die Mitwirkungspflicht darüber hinaus, zu überprüfen, ob der „Papierausleiher“ auch die Person auf dem Beweisfoto ist. Wird dieser Pflicht nicht nachgekommen, fehlt es an der gebotenen Mitwirkungspflicht. Handelt ein Mitarbeiter des Fahrzeughalters an dessen Stelle, ist dem Halter diese Pflichtverletzung im Rahmen des Organisationsverschuldens zuzurechnen.“