Schlagwort-Archive: Versäumung

Zählen müsste man können

denkt man sofort, wenn man den ersten Satz aus der Beschlussbegründung des BGH im Beschl. v. 09.12.2010 – 5 StR 485/10 – liest. Dort geht es mal wieder um die verpasste Frist zur Urteilsabsetzung (§ 275 Abs. 5 StPO). Er erstaunt dann schon, wenn der BGH schreibt:

Die verspätete Absetzung des Urteils beruht maßgeblich auf einem Irrtum über die Dauer der Hauptverhandlung; dies kann eine Überschreitung der Frist nicht rechtfertigen…..“

Daraus kann man m.E. doch nur schließen: Die Kammer hat die Hauptverhandlungstage falsch gezählt. Wie geht das? 🙁

Im Übrigen scheint der BGH das Urteil o.k. gefunden zu haben, wenn es am Ende heißt:

„Dieser Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des – sehr sorgfältig begründeten – Urteils.“

Tja. So ist das eben bei absoluten Revisionsgründen.

Der Einzelanwalt und die Sicherstellung der Vertretung

Für jeden Rechtsanwalt der Alptraum: Er wird krank und es sind unerledigte Fristen auf dem Schreibtisch. Noch schlimmer, wenn es sich um einen Einzelanwalt handelt. Schnell stellt sich dann, wenn eine Frist versäumt wird, die Frage: Hätte der Rechtsanwalt Vorkehrungen treffen und ggf. sogar müssen, dass das nicht hätte passieren können. Das OLG Naumburg hat diese Frage in seinem Urt. v. 17.06.2010 – 2 U 19/10 – bejaht. Danach muss der Einzelanwalt Vorkehrungen in der Kanzlei für Fall seiner plötzlichen Verhinderung treffen, um Wahrnehmung wichtiger Termine zu gewährleisten (§§ 85, 345 ZPO). Die Entscheidung ist zwar im Zivilrecht ergangen; sie kann aber auch Auswirkungen auf das Strafverfahren haben. Zwar wird da i.d.R. dem Beschuldigten/Betroffenen ein Verteidigerverschulden nicht zugerechnet, aber eben nur „i.d.R.“. Zur Zurechnung kann es z.B. im Klageerzwingungsverfahren kommen.

Also auch das aufgepasst; denn das OLG Naumburg geht recht weit. Im Urteil heißt es:

„a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der sich der Senat anschließt, hat insbesondere ein Einzelanwalt die ihm zumutbaren Maßnahmen zu treffen, die sicherstellen, dass in einem Notfall unaufschiebbare Prozesshandlungen vorgenommen werden können (vgl. BGH, Beschluss v. 6. März 1990, VI ZB 4/90VersR 1990, 1026; Beschluss v. 2. Februar 1994, XII ZB 175/93VersR 1994, 1207; Bechluss v. 17. März 2005, IX ZB 74/04 – zitiert nach juris, m.w.N.). Dies umfasst auch die Vorsorge für den Fall, dass der Anwalt selbst bei Vorliegen des Notfalls keine Einzelanweisungen mehr geben kann. Mit anderen Worten: Das Büropersonal muss allgemein angewiesen sein, sich um eine Übernahme unaufschiebbarer Termine durch einen vertretungsbereiten Rechtsanwalt zu bemühen. Die Vorsorgepflicht unterscheidet sich von der gesetzlichen Verpflichtung zur Bestellung eines offiziellen ständigen Vertreters (§ 53 Abs. 1 BRAO), die erst bei voraussichtlich längeren Verhinderungszeiträumen begründet ist.

b) Der Prozessbevollmächtigte des Klägers war, wie er im Termin der mündlichen Verhandlung des Senats im Rahmen der Erörterung dieser Frage bekräftigt hat, Einzelanwalt. Im Januar 2010 existierte nach seinen eigenen Angaben keinerlei allgemeine Anweisung für die Büromitarbeiter über Verhaltensmaßregeln bei seiner plötzlichen, unerwarteten Verhinderung und auch keine allgemeine Vertretungsabrede mit einer Kollegin bzw. einem Kollegen. Die konkreten Anweisungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers am Terminstag beschränkten sich darauf, dem Gericht und eventuell auch der Prozessbevollmächtigten der Beklagten Nachricht von seiner Verhinderung zu geben. Sie umfassten jedoch keine Maßnahmen zur Sicherstellung der Vertretung des Klägers in diesem Termin. Die getroffenen Anordnungen waren nicht ausreichend. Unter diesen Umständen war nicht gewährleistet, dass prozessual zulässige und für den Kläger im Ergebnis nachteilige Verfahrenshandlungen der Beklagten und des Gerichts unterblieben.“