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Anfängerfehler – dann Grundkurs beim BGH: Die Verlesung der polizeilichen Vernehmung

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Es ist nie gut/schön für das Tatgericht, wenn das Revisionsgericht die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zur Begründung der Aufhebung einer Entscheidung „einrückt“ = selbst zu dem Rechtsproblem nichts mehr schreibt. Meist handelt es sich dann um einen so eindeutigen Fehler in der Tatsacheninstanz, dass dem Revisionsgericht dazu dann auch nichts Besseres mehr einfällt. Das Ganze ist dann eben ein kleiner „Grundkurs“ bzw. wir haben es mit einem Anfängerfehler zu tun. So auch im BGH, Beschl.- v. 18.03.2013 – 3 StR 26/13, der eine Verlesungsproblematik zum Inhalt hat. Worum es geht, ergibt sich aus den knappen Gründen des BGH – mehr musste man aber auch nicht schreiben:

Die Rüge, die Verlesung der polizeilichen Vernehmung des Mitangeklagten sei nach § 253 Abs. 1, § 254 Abs. 1 StPO unzulässig gewesen, hat Erfolg. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:

Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auf den Inhalt des Protokolls der polizeilichen Vernehmung des seinerzeitigen Beschuldigten (Verurteilten) C. L. gestützt, der in der Hauptverhandlung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat (UA S. 5). Der Angeklagte hat den gegen ihn erhobenen Tatvorwurf in der Hauptverhandlung bestritten (UA S. 5). Das Protokoll der polizeilichen Vernehmung vom 21. November 2008, in der der Verurteilte C. L. die Tat gestanden und seinen Bruder, den Angeklagten, als Mittäter benannt hatte, wurde dem Vernehmungsbeamten, […] der an den Inhalt der Vernehmung keine Erinnerung mehr hatte, gemäß § 253 Abs. 1 StPO zur Stütze des Gedächtnisses vollständig vorgehalten.

Diese Verfahrensweise begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Erklärt ein Vernehmungsbeamter, er könne sich an den Inhalt der Vernehmung nicht erinnern, kommt eine Verlesung der von ihm gefertigten polizeilichen Vernehmungsniederschrift gemäß § 253 Abs. 1 StPO nicht in Betracht. Diese Vorschrift gilt nicht im Rahmen der Vernehmung von Verhörspersonen, die in der Hauptverhandlung über Bekundungen aus-sagen, die andere vor ihnen gemacht haben (vgl. BGH StV 1994, 637). Die Vorschrift ist nur anwendbar, wenn es sich bei dem Zeugen, dessen Gedächtnis unterstützt werden soll, um dieselbe Person handelt, deren Aussage in dem zu verlesenden Protokoll festgestellt wurde (BGH NStZ 1984, 17). Ein Anwendungsfall des § 253 StPO liegt deshalb hier nicht vor. Verhörspersonen können die darüber aufgenommenen Niederschriften zwar vorgehalten werden, sie dürfen aber nicht, wie hier, zum ergänzenden Urkundenbeweis bei Erinnerungsmängeln benutzt werden (vgl. BGH NStZ 1984, 17; Diemer in KK StPO, 6. Aufl. § 253 Rdn. 3). – 4 –

 Da sich die Überzeugung des Landgerichts von der Täterschaft des An-geklagten maßgeblich auf die polizeiliche Beschuldigtenvernehmung des Verurteilten C. L. gründet, beruht das Urteil auch auf dem Verfahrensverstoß (§ 337 Abs. 1 StPO).“

Dem schließt sich der Senat an.“

„sieben eng beschriebene Seiten“ – die kann man kaum vorhalten

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Für das strafrechtliche Urteil darf nur das verwertet werden, was „Inbegriff der Hauptverhandlung“ gewesen ist (§ 261 StPO). Damit gibt es immer wieder Schwierigkeiten bei der Verwertung von Erkenntnissen , die nicht oder nicht vollständig Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen sind. So häufig, wenn es um die Verwertung von Vernehmungsprotokollen aus dem Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit der Bewertung von Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung geht. Dann stellt sich die Frage: Waren die Gegenstand der Hauptverhandlung und wenn ja, wie sind sie es geworden. Die Frage spielte auch in dem dem BGH, Beschl. v. 25.04.2012 – 4 StR 30/12 – zugrunde liegenden Verfahren beim LG Frankenthal eine Rolle. Da hatte die Strafkammer ein (umfangreiches) Vernehmungsprotokoll der Nebenklägerin im Rahmen der Beweiswürdigung verwertet. Der BGH stellt die Frage: Inbegriff der Hauptverhandlung geworden ggf. durch Vorhalt? und verneint sie:

Wie sich aus dem schon durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesenen Vortrag des Revisionsführers ergibt, wurde die Vernehmungsniederschrift nicht in der Hauptverhandlung verlesen und auch die vernehmende Ermittlungsrichterin nicht als Zeugin gehört. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht seine Überzeugung vom Inhalt der ermittlungsrichterlichen Vernehmung durch Vorhalte gewonnen hat, die der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung gemacht worden sind.

 Durch seine Feststellung, dass die Angaben der Nebenklägerin bei ihrer ermittlungsrichterlichen Einvernahme weitgehend der im Rahmen ihrer ur-sprünglichen polizeilichen Vernehmung gemachten Aussage entsprachen (UA S. 11), die ihrerseits nur in Randdetails von den die Verurteilung tragenden Bekundungen der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung abwich (UA S. 10), hat das Landgericht zu erkennen gegeben, dass es den gesamten das Tatgeschehen betreffenden Vernehmungsinhalt zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat. Dies ergibt sich auch aus den wörtlichen Zitaten und der zusammen-fassenden Bewertung ganzer Aussageabschnitte als „relativ knapp“ oder „oberflächlich“. Das Protokoll der ermittlungsrichterlichen Vernehmung vom 15. Februar 2011 besteht aus sieben eng beschriebenen Seiten. Wie sich aus den übereinstimmenden dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden und der Berichterstatterin sowie der Gegenerklärung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft ergibt, wurden der Nebenklägerin nur von der Verteidigung Vorhalte aus diesem Protokoll gemacht. Dabei ging es vornehmlich darum, Widersprüche und Unstimmigkeiten aufzuzeigen. Der Umfang der Vernehmungsniederschrift und die Zielrichtung der Vorhalte schließen aus, dass sich das Landgericht auf diesem Wege die Überzeugung verschafft haben kann, die seine umfassenden Feststellungen zu dem Inhalt der ermittlungsrichterlichen Vernehmung und dessen Übereinstimmung mit früheren Aussagen tragen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1991 – 5 StR 164/91, MDR 1991, 704 bei Holtz; Beschluss vom 11. August 1987 – 5 StR 162/87, StV 1987, 421).“

Hätte also ggf. verlesen werden müssen.