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OWi II: „Ich habe das Verkehrsschild übersehen“, oder: Wenn das AG der Einlassung des Betroffenen glaubt

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den KG, Beschl. v. 31.7.2020 – 3 Ws (B) 174/20. Thematik: Amtsgerichtliche Beweiswürdigung in Bezug auf Wahrnehmung von Verkehrszeichen.

Gegen den Betroffenen war wegen einer vorsätzlich begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit eine Geldbuße von 500 EUR und ein zweimonatiges Fahrverbot verhängt worden. Dem Betroffenen war vorgeworfen worden, als Führer eines (unbeladenen) Sattelzugs die K-Brücke in Berlin befahren zu haben und hierdurch wissentlich gegen ein durch das Zeichen 251 und sog. Verkehrseinrichtungen angeordnetes Verkehrsverbot verstoßen zu haben. Auf seinen Einspruch ist der Betroffene dann durch das AG Tiergarten nur wegen fahrlässiger Tatbegehung zu einer Geldbuße von 75 EUR verurteilt worden; ein Fahrverbot ist nicht angeordnet worden. Das AG hat dem auswärtigen Betroffenen geglaubt, unkonzentriert gewesen zu sein und sowohl das an der Autobahnausfahrt mit Zusatzzeichen „7,5 t“ und Zeichen 1000-11 (Richtungspfeil nach links) als auch das an der Brücke angebrachte Zeichen 251 sowie die rot-weißen Baken an der Brücke übersehen zu haben.

Da gegen die auf die Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin, die einen Darstellungsmangel geltend macht und die Beweiswürdigung beanstandet.

Die Rechtsbeschwerde hatte beim KG keinen Erfolg:

„2. Das Rechtsmittel hat jedoch keinen Erfolg.

a) Die Feststellungen des Urteils tragen die Verurteilung wegen fahrlässiger Tatbegehung. Der durch die Amtsanwaltschaft geltend gemachte Darstellungsmangel besteht nicht. Das Amtsgericht hat im Einzelnen dargelegt, wo Verkehrszeichen angebracht waren und dass der Betroffene diese Zeichen möglicherweise infolge Unaufmerksamkeit übersehen hat.

Die Beanstandung der Rechtsbeschwerdeführerin, das Urteil verhalte sich nicht zu „den weiteren Ankündigungszeichen und der übrigen Ausschilderung des Verkehrsverbots“ (RB S. 1), bleibt ohne Erfolg. Denn dass am Tattag, dem 28. Oktober 2019, weitere Verkehrszeichen vorhanden und sichtbar waren, ist urteilsfremd und weder allgemein- noch senatsbekannt.

b) Auch die Würdigung der Beweise deckt keinen sachlich-rechtlichen Fehler auf.

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (ständige Rspr. des BGH, vgl. zuletzt Beschluss vom  28. April 2020 – 2 StR 494/19BeckRS 2020 11446 m. w. N.).

Einen derartig sachlich-rechtlichen Fehler weist das angefochtene Urteil nicht auf. Das Amtsgericht hat die bestehenden Möglichkeiten, dass der Betroffene die Verkehrszeichen nämlich gesehen und dass er sie übersehen haben könnte, erkannt und in der Folge abgewogen, was für das eine und was für das andere spricht. Dabei hat das Amtsgericht die Einlassung des Betroffenen, er sei ortsfremd und „auf die Straße“ konzentriert gewesen und er habe sich auf die Routenplanung seines Navigationsgerätes verlassen (UA S. 3), als jedenfalls nicht zu widerlegen angesehen. Dies ist ebenso wenig  zu beanstanden wie die Würdigung des Tatrichters, die Beschilderung sei bei „durchschnittlicher Aufmerksamkeit wahrnehmbar“ gewesen, es sei aber auch “nachvollziehbar“, dass der Betroffene sie übersehen habe (UA S. 4). Eine solche Bewertung stellt sich als Kernbereich freier richterlicher Beweiswürdigung dar, die ausschließlich dem Tatrichter obliegt und der Bewertung durch das Rechtsbeschwerdegericht entzogen ist.

Indem es die Amtsanwaltschaft, die keinen Vertreter in die Hauptverhandlung entsandt hat, als „lebensnah“ bezeichnet, „dass ein Kraftfahrer in fremder Umgebung den Verkehrszeichen besondere Aufmerksamkeit schenkt“ (RB S. 2), versucht  sie erfolglos, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch ihre eigene zu ersetzen. Der von der Amtsanwaltschaft offenbar gemeinte Erfahrungssatz, Ortsunkenntnis bedinge erhöhte Konzentration und Normbeachtung, führt auch nicht dazu, dass das Amtsgericht zur ausdrücklichen Darlegung veranlasst gewesen wäre, dass und warum die Verkehrszeichen trotzdem übersehen worden seien. Denn der Senat erkennt schon einen solchen Erfahrungssatz nicht an: Ortsunkenntnis kann ebenso zu Überforderung und Ablenkung führen wie es im Einzelfall erhöhte Konzentration und Normbeachtung zur Folge haben kann. Vor diesem Hintergrund gab der Umstand der Ortsunkenntnis dem Bußgeldrichter zu keiner vertieften Befassung und Auseinandersetzung Anlass.

Schließlich wiederholt die Amtsanwaltschaft mit ihrem Hinweis, das Verkehrsverbot habe „bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit“ nicht übersehen werden können, nur die Einschätzung des Amtsgerichts (UA S. 4), entkräftet aber nicht dessen Würdigung, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene gerade diese Aufmerksamkeit vermissen ließ.“

Eine Verkehrsschild ist ein Verkehrsschild, und es gilt, basta

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Ein Verkehrsschild ist ein Verkehrsschild, und es gilt und ist zu beachten, basta, auch wenn es möglicherweise nicht mehr wirksam ist. Etwa so lässt sich der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 07.11.2014 – IV-2 RBs 115/14 – überschreiben, in dem es um die (weitere) Wirksamkeit von Verkehrsschildern auf einer BAB ging, deren Wirksamkeit nicht verlängert worden war.

Die als Aufklärungsrüge erhobene Rüge der Ablehnung des Antrages auf Einholung einer Auskunft der „Landesbehörde Straßen NRW“ (Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen) ist nicht begründet. Der Antrag ist als Beweisantrag vom Amtsgericht behandelt und mit der Begründung abgelehnt worden, ein Verkehrszeichen sei auch dann verbindlich, wenn die ursprüngliche Anordnung nicht verlängert bzw. widerrufen worden sei. Das Amtsgericht hat sich damit ohne Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf den Ablehnungsgrund der Bedeutungslosigkeit der zu beweisenden Tatsache gestützt (§§ 71 Abs. 1 OWiG, 244 Abs. 3 Satz 2, 2. Variante, StPO). Zutreffend ist das Amtsgericht dabei auch von der Verbindlichkeit eines aufgestellten Verkehrsschildes unbeschadet der etwaigen verwaltungsgerichtlichen Anfechtbarkeit der daraus hervorgehenden Anordnung ausgegangen.

Von der Straßenverkehrsbehörde aufgestellte Vorschriftzeichen sind Verwaltungsakte in Form einer Allgemeinverfügung (st. Rspr.; BVerwG, NJW 1980, 1640). Ein fehlerhafter Verwaltungsakt ist zwar im Verwaltungsrechtsweg anfechtbar, aber grundsätzlich bis zu seiner Aufhebung zu befolgen. Unwirksam ist ein Verwaltungsakt nur, wenn er nichtig ist (§§ 43 Abs. 3, 44 VwVfG). Ein Verwaltungsakt ist nach § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist, darüber hinaus nur unter den Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 VwVfG (vgl. auch OLG Düsseldorf NZV 1991, 204 m.w.N.). Die Beweisbehauptung aus dem abgelehnten Antrag, nämlich dass die Entfernung der Schilder nach Beendigung einer Baustelle vergessen worden sei, füllt die Voraussetzungen des § 44 VwVfG jedoch nicht aus.

Die Frage der möglichen Rechtswidrigkeit der Anordnung war auch für die Beurteilung der Schuldform ohne Bedeutung. Auf die optischen Wahrnehmungen und das Wissen des Betroffenen von der vorhandenen Beschilderung hat die Frage der Rechtswidrigkeit der Anordnung keinerlei Auswirkung. Dass der Betroffene – aufgrund eines vermeidbaren Rechtsirrtums (Verbotsirrtums) – zur Tatzeit davon ausgegangen wäre, dass die Anordnung aus der vorhandenen Beschilderung nicht zu befolgen gewesen wäre, was im Übrigen ohne Auswirkung auf die vom Amtsgericht angenommene vorsätzliche Begehung der Ordnungswidrigkeit bliebe (vgl. § 11 OWiG), macht er mit der Rechtsbeschwerde nicht geltend.

Schließlich ist die Frage der Rechtswidrigkeit auch kein zwingend bei der Zumessung der Rechtsfolgen zu berücksichtigender Aspekt gewesen. Auf die erhobene Rechtsbeschwerde ist die vom Tatrichter vorgenommene Zumessung der Rechtsfolgen nur eingeschränkt dahin zu prüfen, ob die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, der Tatrichter von einem falschen Sanktionsrahmen ausgegangen ist oder die ihm – hinsichtlich der Bemessung der Geldbuße nach § 17 Abs. 3 und 4 OWiG – obliegende Pflicht zur Abwägung der für und gegen den Täter sprechenden Umstände verletzt, insbesondere rechtlich anerkannte Sanktionszwecke nicht beachtet hat, sich von Gesichtspunkten hat leiten lassen, die der Zumessung der Rechtsfolgen nicht zugrunde gelegt werden dürfen, oder ob sich die Rechtsfolge so weit nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, dass sie nicht mehr innerhalb des Spielraums liegt, der dem Tatrichter bei ihrer Zumessung eingeräumt ist (OLG Düsseldorf NStZ 1988, 325 m.w.N.). Die dadurch gezogenen Grenzen hat das Amtsgericht mit der Außerachtlassung des Aspekts der möglichen Rechtswidrigkeit der Anordnung über die Höhe der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten. Unbeschadet der vom Senat hier nicht zu entscheidenden Frage, ob der Verstoß gegen eine rechtswidrige, aber zu befolgende Anordnung über eine zulässige Höchstgeschwindigkeit regelmäßig ein solch geringeres Gewicht beizumessen ist, dass dies eine minderschwere Sanktion rechtfertigt oder sogar erzwingt, war das Amtsgericht im hier vorliegenden Einzelfall unter Berücksichtigung aller übrigen in die Abwägung eingestellten Aspekte, insbesondere der erheblichen verkehrsrechtlichen Vorbelastung des Betroffenen jedenfalls nicht zur Meidung eines Rechtsfehlers gezwungen, diesen Gesichtspunkt mildernd zu berücksichtigen.“

Ok, so weit h.M. im Verkehrsrecht. Allerdings meine ich, dass man bei den Rechtsfolgen die Frage vielleicht doch hätte berücksichtigen müssen. Denn es handelt sich letztlich ja nur um formelles Handlungsunrecht dar. Also hätte man die Frage, ob nicht ggf. außergewöhnliche Tatumstände (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 BKatV) vorliegen diskutieren und ggf. von den Regelfolgen abweichen können.

Heute kein Sonntagswitz, sondern ein Ausflug nach Schilda

Ein Blog lebt ja auch ein wenig von seinen Lesern, die auf interessante Themen/Entscheidungen hinweisen oder aber auch Bildmaterial zur Verfügung stellen, über das man berichten kann. Daher habe ich mich über die Mail eines Kollegen sehr gefreut, der mir eine kleine Ausbeute von Bildern zu unsinnigen Verkehrsschildern bzw. Verkehrsschilderkombinationen zur Verfügung gestellt hat. Die will ich heute dann anstelle des sonst üblichen Sonntagswitzes bringen, verbunden mit dem Aufruf: Wer auch über solche „Schmankerl“ verfügt: Ich nehme sie hier gerne. Wo der Kollege die Bilder geschossen hat, verschweigen wir lieber. Sonst muss sich die Gemeinde noch umbenennen in „Schilda“.

Ich würde ja gerne ein Voting veranstalten oder eine Hitliste anlegen mit einem „High-Score“. Geht aber technisch leider nicht. Nur so viel: Meine persönlichen Favoriten sind die Treppe und der Fuß- oder Radweg – ja, was ist es denn nun? 🙂 🙂

Das verdrehte Verkehrsschild – dadurch verwirrt? – bringt nichts

Wir kennen ja alle den „verdrehten Kopf“, aber ein verdrehtes Verkehrsschild? Damit musste sich jetzt das VG Münster befassen, und zwar mit einem verdrehten Halteverbotsschild. Das hatte ein Kraftfahrzeugführer, weil nicht bzw. kaum  sichtbar, nicht beachtet. Folge: Er wurde abgeschleppt und sollte dann 89 € zahlen. Das hat er verweigert.

Das VG Münster hat – wie in der Presse an verschiedenen Stellen heute gemeldet wird (vgl. u.a. die WN) der Stadt Recht gegeben bzw. geben wollen. Der Kraftfahrzeugführer hat seine Klage zurückgenommen. In der PM der WN heißt es dazu.

„Halteverbotsschild verdreht: Autofahrer muss trotzdem zahlen

Münster – Ein verdrehtes Halteverbotsschild verliert nicht automatisch seine Gültigkeit. Das hat das Verwaltungsgericht Münster am Freitag klargestellt. Ein Autofahrer hatte die Stadt Münster verklagt, weil sein Wagen 2009 abgeschleppt worden war. Die Kosten von 89 Euro wollte er nicht bezahlen. Begründung: Das Schild sei um 90 Grad gedreht und deshalb kaum noch sichtbar gewesen. Dieser Argumentation folgten die Richter jedoch nicht. Der Aufohahrer könne bei dieser Schildersituation nicht eigenmächtig darauf schließen, dass das Halteverbot aufgehoben war. Der Mann zog darauf seine Klage wegen Aussichtslosigkeit zurück. (AZ 1K 802/09).“

Wochenspiegel für die 22. KW., oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand

Wir berichten,

  1. Über das zeitweise alles beherrschende Theme Kachelmann, und hier, hier, hier und hier; und dies ist nur eine kleine Auswahl.
  2. Über die Lehren aus dem Fall Kachelmann, wobei ich Zweifel habe, ob die Vorschläge wirklich etwas bringen, vgl. auch hier, hier, hier und hier.
  3. Über ein Anwaltstaxi.
  4. Über den Hitlergruß im Gerichtssaal.
  5. Über die Gestaltung von Verkehrsschildern.
  6. Über die Bedeutung der Haltelinie beim Rotlichtverstoß, wird immer wieder übersehen.
  7. Über den Eigenbedarf beim Drogenkonsum.
  8. Über den Urlaub des Rechtsreferendars.
  9. Über die Rückkehr zur Vernunft (?) beim Jura-Studium.
  10. Und bei dem Wetter der letzen Tage etwas zum Grillen.