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Mal wieder Befreiung vom sog. Verhüllungsverbot, oder: Tragen einer Niqab

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Author Manuelfb55

Und als zweite Entscheidung dann OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 13.08.2024 – 7 A 10660/23.OVGzur Frage der Befreiung vom Verhüllungsverbot im Straßenverkehr zum Tragen eines Gesichtsschleiers/Niqab.

Darüber habe ich ja schon ein paar Mal berichtet, so dass m.E. die Leitsätze des OVG reichen:

1. Gegen das Verhüllungs- und Verdeckungsverbot des § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

2. Zur Ablehnung des Antrags einer Niqab-Trägerin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO (hier: nicht beanstandet).

Rest dann bitte in der umfangreich begründeten Entscheidung selbst lesen.

OWi I: Verhüllungsverbot und Tragen eines Niqabs, oder: Religionsfreiheit im Straßenverkehr

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Heute dann ein bisschen OWi. Derzeit ist es in dem Bereich recht ruhig. Hoffentlich ist das nicht die Ruhe vor dem berühmten/berüchtigten Stum (?).

Den Opener mache ich mit dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 07.06.2022 – IV-2 RBs 73/22. Das AG hat die Betroffene wegen „vorsätzlichen Führens eines Kraftfahrzeugs mit verdecktem Gesicht“ zu einer Geldbuße verurteilt. Bei der Betroffenen handelt es sich um eine gläubige Muslima. Sie trug zur Tatzeit beim Führen ihres Pkw einen Niqab, d. h. eine das Gesicht bis auf die Augenpartie verhüllende Vollverschleierung. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die das OLG zugelassen hat, die dann aber ohne Erfolg geblieben ist:

„Die allein auf die Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler auf.

Gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO darf, wer ein Kraftfahrzeug führt, sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken, dass es nicht mehr erkennbar ist. Gegen das Gesichtsverhüllungsverbot hat die Betroffene vorsätzlich verstoßen, indem sie als Kraftfahrzeugführerin einen Niqab getragen hat.

a) Diese Verbotsnorm ist wirksam. Sie verstößt auch unter Berücksichtigung der durch Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG geschützten Religionsfreiheit und Religionsausübung nicht gegen den Wesentlichkeitsvorbehalt, wonach der parlamentarische Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen in allen grundlegenden normativen Bereichen selbst zu treffen hat (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 26. November 2020, 6 L 2150/20, bei juris = BeckRS 2020, 33205; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 8. Januar 2021, 14 L 1537/20, bei juris = BeckRS 2021, 55).

Das VG Düsseldorf hat dazu ausgeführt:

„Die Verpflichtung, beim Führen von Kraftfahrzeugen das Gesicht weder zu verhüllen noch sonst zu verdecken, führt zu keiner gezielten oder unmittelbar den Schutzbereich der Religionsfreiheit betreffenden Beschränkung. Sie stellt vielmehr eine generelle Anordnung dar, die nur in seltenen Fällen mit der Religionsfreiheit kollidieren kann. Auch in etwaigen Konfliktfällen ist die Intensität des Eingriffs in der Regel gering, weil das Verhüllungsverbot nur das Führen eines Kraftfahrzeuges betrifft und die Religionsausübung damit nur in einer eng begrenzten und für die Religionsfreiheit typischerweise nicht wesentlichen Lebenssituation eingeschränkt sein kann.“

Aus diesen Erwägungen, denen sich der Senat anschließt, bedarf das Gesichtsverhüllungsverbot für Kraftfahrzeugführer ebenso wenig einer unmittelbaren Ausgestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber wie etwa die Schutzhelmpflicht für Motorradfahrer (§ 21a Abs. 2 Satz 1 StVO), die auch für Personen gilt, die aus religiösen Gründen einen Turban tragen (vgl. hierzu: BVerwG NJW 2019, 3466).

b) Die Regelung des § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO verstößt auch sonst nicht gegen höherrangiges Recht und ist mit dem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG vereinbar.

Durch das Gesichtsverhüllungsverbot wird niemand an der Ausübung seines Glaubens gehindert. Bei Befolgung der von ihr als verbindlich erachteten Vollverschleierungspflicht (Niqab) muss die Betroffene, die nicht über eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO verfügt, allerdings auf das Führen eines Kraftfahrzeugs verzichten. Die Regelung des § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO kann sie daher mittelbar in ihrer Religionsausübung beeinträchtigen.

Zwar enthält Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG keinen Gesetzesvorbehalt, so dass sich Einschränkungen aus der Verfassung selbst ergeben müssen. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählen indes die Grundrechte Dritter und Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang (vgl. statt aller: BVerfG NJW 2020, 1049, 1051 m.w.N.). Die Sicherheit des Straßenverkehrs stellt einen solchen Gemeinschaftswert von Verfassungsrang dar (vgl. BVerfG BeckRS 2018, 3247 = ZfS 2018, 230; OVG Münster NJW 2021, 2982, 2984; VG Düsseldorf BeckRS 2020, 33205).

Das durch § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO angeordnete Gesichtsverhüllungsverbot dient in repressiver Hinsicht dem Ziel, die Erkennbarkeit und damit die Feststellbarkeit der Identität von Kraftfahrzeugführern bei automatisierten Verkehrskontrollen zu sichern, um diese bei Verkehrsverstößen heranziehen zu können. Dazu heißt es in der Begründung des Verordnungsgebers (Bundesrat-Drucksache 556/17, S. 2):

„In Deutschland ist der Halter für ein schuldhaftes Fehlverhalten des Kraftfahrzeugführers nicht verantwortlich. Die Verantwortlichkeit des Kraftfahrzeugführers bei einer automatisierten Verkehrsüberwachung („Blitzerfoto“) nachzuweisen fällt immer dann schwer, wenn das Gesicht verdeckt oder verhüllt ist. Zur Gewährleistung einer effektiven Verkehrsüberwachung, die mehr und mehr automatisiert durchgeführt wird, ist es daher geboten, für die das Kraftfahrzeug führende Person ein Verbot der Verhüllung und Verdeckung wesentlicher Gesichtsmerkmale auszusprechen, welches die Feststellbarkeit der Identität von vornherein gewährleistet.“

Damit kommt der Regelung zugleich eine präventive Schutzfunktion zu. Denn ein Kraftfahrzeugführer, der damit rechnen muss, dass er anhand eines automatisiert erstellten Messfotos für einen Verkehrsverstoß (insbesondere bei Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, Missachtung des Rotlichtes oder Nichteinhaltung des Sicherheitsabstands) zur Verantwortung gezogen wird, wird sich eher verkehrsgerecht verhalten als derjenige, der unter Verhüllung seines Gesichts unerkannt am Straßenverkehr teilnimmt. Mit dieser Zielsetzung dient § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, Eigentum) anderer Verkehrsteilnehmer (vgl. BVerfG BeckRS 2018, 3247 = ZfS 2018, 230; OVG Münster NJW 2021, 2982, 2984; VG Düsseldorf BeckRS 2020, 33205).

Der Verordnungsgeber erfüllt durch das Gesichtsverhüllungsverbot eine staatliche Schutzpflicht. Die Regelung des § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO ist schon mit Blick auf den bezweckten präventiven Schutz hochrangiger Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, Eigentum) anderer Verkehrsteilnehmer gerechtfertigt.

Die Tragfähigkeit weiterer Gesichtspunkte (Gewährleistung von Rundumsicht und nonverbaler Kommunikation), die in der Verwaltungsrechtsprechung zur Rechtfertigung des Gesichtsverhüllungsverbots ergänzend angeführt worden sind (vgl. VG Düsseldorf BeckRS 2020, 33205; kritisch: Rebler/Huppertz NZV 2021, 127, 128 f.), bedarf daher keiner Erörterung.

c) Besonderen individuellen Gründen des Kraftfahrzeugführers kann im Einzelfall durch Erteilung einer Ausnahmegenehmigung (§ 46 Abs. 2 Satz 1 StVO) Rechnung getragen werden. Über eine solche Ausnahmegenehmigung verfügte die Betroffene zur Tatzeit (und auch danach) nicht.“

Niqab am Steuer II, oder: Ist die Vollverschleierung am Steuer erlaubt?

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Ich hatte am 23.01.2021 über den VG Düsseldorf, Beschl. v. 26.11.2020 – 6 L 2150/20 – berichtet (vgl. hier: Niqab am Steuer, oder: Ist die Vollverschleierung am Steuer erlaubt?). Zu der Entscheidung liegt jetzt der Rechtsmittelbeschluss des OVG Münster vor, und zwar der OVG Münster, Beschl. v. 20.05.2021 – 8 B 1967/20.

Ich erinnere an den Sachverhalt: Gestritten wird um die Genehmigung, beim Führen eines Kraftfahrzeuges das Tragen des “Niqab” (Nikab) zu erlauben. Das hatte das VG abgelehnt, das OLG hat die Entscheidung – im Eilverfahren – bestätigt.

Hier die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Das in § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO angeordnete Gesichtsverhüllungs- und -verdeckungsverbot soll die Erkennbarkeit und damit die Feststellbarkeit der Identität von Kraftfahrzeugführern bei automatisierten Verkehrskontrollen zu sichern, um diese bei Verkehrsverstößen heranziehen zu können. Der Vorschrift kommt (auch) eine präventive Funktion zu. Mit dieser Zielrichtung dient die Vorschrift der allgemeinen Sicherheit des Straßenverkehrs und dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, Eigentum) anderer Verkehrsteilnehmer.
  2. Durch die den Straßenverkehrsbehörden in § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO eingeräumte Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung soll besonderen Ausnahmesituationen Rechnung getragen werden, die bei strikter Anwendung der Bestimmungen nicht hinreichend berücksichtigt werden könnten und eine unbillige Härte für den Betroffenen zur Folge hätten.
  3. Das Ermessen der Straßenverkehrsbehörden bei der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO von dem in § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO geregelten Verbot ist nicht bereits deshalb auf Null reduziert, weil ein religiös begründetes Bedürfnis nach einer Verhüllung des Gesichts besteht (hier: Gesichtsschleier in Form eines Niqabs).
  4. Ein in der Hauptsache möglicherweise bestehender Neubescheidungsanspruch, der im weitergehenden Verpflichtungsantrag enthalten ist, kann grundsätzlich auch im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nach § 123 Abs. 1 VwGO durch Verpflichtung des Antragsgegners zur Neubescheidung gesichert werden.

Niqab am Steuer, oder: Ist die Vollverschleierung am Steuer erlaubt?

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Heute ist Samstag und damit „Kessel Buntes-Zeit“. Und in dem „schwimmen“ heute zwei verwaltungsrechtliche Entscheidungen.

Zunächst stelle ich den VG Düsseldorf, Beschl. v. 26.11.2020 – 6 L 2150/20. Ergangen ist er in einem Verfahren, in dem eine einstweilige Anordnung beantragt worden ist. Es geht um folgenden Sachverhalt:

Die Antragstellerin beantragte am 14.02.2020 bei der Bezirksregierung, ihr eine Ausnahme gem. § 46 Abs. 2 StVO vom Verhüllungsverbot des § 23 Abs. 4 StVO zu erteilen. Hierzu füllte sie einen Vordruck aus, der von dem eingetragenen Verein (e.V.) „G. J. V. “ im Internet zum Download angeboten wird (https://xxxxxxxxxxxxxxx.de/media/downloads/). Die Ausnahme sollte sich auf die Fahrerlaubnis Klasse B beziehen und für die gesamte Bundesrepublik gelten.

Die Antragstellerin beantragte, ihr zu genehmigen, beim Führen eines Kraftfahrzeuges das Tragen des „Niqab“ (Nikab) zu erlauben. Sie erläuterte diese Kopfbedeckung anhand zweier beigefügter Zeichnungen. Diese zeigen aus der Front- und Seitenansicht eine Frau, deren Kopf, Hals und Oberkörper von einem undurchsichtigen dunklen Stoff bedeckt ist. Nur ein wenige Zentimeter breiter horizontaler Sehschlitz für die Augen bleibt von ihm unbedeckt. Der Sehschlitz läuft auf der Höhe der äußeren Augenwinkel im Schläfenbereich spitz zu. Sichtbar bleiben lediglich die Augen, die Augenbrauen und der obere Teil der Nasenwurzel.

Die Antragstellerin begründete ihren Antrag damit, dass sie seit Mai 2007 praktizierende Muslima sei und sich bedecke. Der Koran schreibe vor, dass die gläubigen Frauen ihre Blicke niederschlagen, ihre Scham hüten und ihre Reize nicht zur Schau tragen sollen (Sure 24, Vers 31 sowie Sure 33, Vers 53 und 59). Sie bedecke sich freiwillig und sehe es als sexuelle Nötigung an, wenn man sie dazu zwinge, ihren Niqab am Steuer abzulegen.

Die Bezirksregierung forderte die Antragstellerin auf, näher darzulegen a) warum sie auf die Pkw-Nutzung zwingend angewiesen sei, b) warum das Verhüllungsverbot sie in ihrer Glaubensfreiheit verletze, c) welcher schwere Nachteil entstehe, wenn sie unverschleiert ein Fahrzeug führen müsse und d) darzulegen, dass trotz der Verhüllung eine ungehinderte Rundumsicht gewährleistet sei. Des Weiteren wies sie darauf hin, dass ggf. ihre und die Bereitschaft des Kfz-Halters, ein Fahrtenbuch zu führen, die Ausnahmegenehmigung ermöglichen könnte.

Mehr als fünf Monate später verlangte die Antragstellerin dann die Bescheidung ihres Antrags, ohne die aufgeworfenen Fragen der Bezirksregierung zu beantworten. Die Führung eines Fahrtenbuchs lehnte sie ab bzw. erklärte sich nur hilfsweise damit einverstanden. Zugleich legte sie eine Ablichtung ihrer im Jahr 2012 ausgestellten Führerscheinkarte vor, die sie mit einem Hidschab zeigt. Es sind nur die Haare und der Hals vom Stoff bedeckt, das Gesicht ist von der Stirn bis zur Kinnspitze sichtbar.

Die Bezirksregierung hat die Erteilung der Ausnahmegenehmigung abgelehnt. Dagegen dann die Klage auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung und zugleich der Antrag auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Das VG hat den Antrag abgelehnt. Wegen der Begründung verweise ich auf den verlinkten Volltext. Hier nur die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Eine Muslima, die aus religiösen Gründen einen Niqab trägt, hat keinen Anspruch auf eine Ausnahme von dem am Steuer eines Kraftfahrzeugs geltenden Verhüllungsverbots (§ 23 Abs. 4 StVO).
  1. Das Verhüllungsverbot des § 23 Abs. 4 StVO ist mit der Religionsfreiheit nach Art. 4 GG vereinbar. Autos bieten einen Schutzraum in der Öffentlichkeit, der den Zweck, dem der Niqab dienen soll, weitgehend erfüllt. Außerdem lässt § 46 Abs. 2 StVO Ausnahmen in Härtefällen zu.
  1. Eine Vollverschleierung gefährdet die Verkehrssicherheit, weil Verkehrszuwiderhandlungen nicht mehr wirksam verfolgt werden können, weil er die Rundumsicht beeinträchtigen kann und die mimische Verständigung im Straßenverkehr einschränkt.
  1. Zuständig für die Erteilung einer Ausnahme nach § 46 Abs. 2 StVO ist die Landesbehörde und nicht das Bundesverkehrsministerium, auch wenn die Ausnahme bundesweit gelten soll.