Ich mache heute dann einen „Hafttag“, und zwar mit zwei verfassungsgerichtlichen Entscheidungen und einem OLG-Beschluss zur Telefonerlaubnis.
Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 17.01.2024 – 2 BvR 1756/23. Ergangen ist der Beschluss in einem in Schleswig-Holstein anhängigen Verfahren.In dem wird dem Angeklagten, der sich seit dem 04.05.2023 aufgrund eine auf Fluchtgefahr gestützten Haftbefehls ununterbrochen in Untersuchungshaft befindet, in 14 tatmehrheitlichen Fällen, davon in vier Fällen gemeinschaftlich handelnd, jeweils unerlaubt mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben und davon in drei Fällen Betäubungsmittel in nicht geringer Menge eingeführt zu haben.
Die StA hat am 31.05.2023 Anklage zum LG Itzehoe erhoben. Mit Verfügung vom 26.10.2023 legte der Vorsitzende der zuständigen großen Strafkammer die Akten dem OLG zur Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft nach § 121, § 122 Abs. 1 StPO vor. Zur Begründung führte der Vorsitzende aus, die Kammer sei aufgrund einer vorübergehenden Überlastung durch andere Haftsachen, insbesondere vier bereits vor der Anklage in dieser Sache eingegangene umfangreiche Schwurgerichtsverfahren, bereits rein terminlich an der Durchführung einer Hauptverhandlung vor Fristablauf gehindert. Eine Eröffnungsentscheidung sei insbesondere auch deshalb zurückgestellt worden, weil eine Terminierung der Hauptverhandlung im Jahr 2023 nicht durchführbar erschienen sei. Der Beginn der Hauptverhandlung sei ab dem 23.01.2024 vorgesehen.
Der Verteidiger des Angeklagten hat imHaftprüfungsverfahren die Aufhebung des Haftbefehls verlangt, da der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verletzt sei. Aus anderen Verfahren sei bekannt, dass die Strafkammer bereits seit 2022 dauerhaft mit Haftsachen ausgelastet sei. Mit Beschluss vom 10.11.2023 hat das OLG die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Die Haftfortdauer über sechs Monate hinaus sei aus wichtigem Grund gerechtfertigt und auch nicht unverhältnismäßig. Zur Begründung schloss sich das OLG den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft an: Es sei der bei der Jahresgeschäftsverteilung 2023 nicht vorhersehbaren ungewöhnlich hohen Belastung der Kammer geschuldet, dass der Beginn der Hauptverhandlung erst ab dem 23.01.2024 vorgesehen sei. Die Kammer verhandele derzeit zwei umfangreiche Schwurgerichtsverfahren mit 77 beziehungsweise 127 in den Anklagen benannten Zeugen, weshalb Hauptverhandlungstermine nicht mehr zur Verfügung stünden. Bis Jahresende müsse die Kammer eine weitere, bereits länger eingegangene Haftsache gegen einen minderjährigen Angeklagten verhandeln. Die kurzfristige Überlastung der Kammer beruhe nicht auf gerichtsorganisatorischen Gründen, so dass die Verfahrensverzögerung insbesondere angesichts der Schwere der dem Angeschuldigten vorgeworfenen Straftaten keinen durchgreifenden Bedenken begegne. Das OLG führte am Ende seines Beschlusses aus, ein Schriftsatz der Verteidigung vom 09.11.2023 dem Senat vorgelegen habe.
Der Angeklagte hat Verfassungsbeschwerde erhoben und mit der eine Verletzung seines Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgebotes im Zwischenverfahren geügt. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angeommen.
Nach Auffassung des BVerfG ist zwar, soweit der Angeklagte die Haftfortdauerentscheidung des OLG angreift, zwar der Rechtsweg erschöpft, weil eine Anhörungsrüge nur im Falle der Geltendmachung einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) zum Rechtsweg gehört (vgl. BVerfGE 122, 190, 198; 126, 1, 17; 134, 106, 113 Rn. 22). Die Erhebung einer Anhörungsrüge sei hier jedoch mit Rücksicht auf den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde geboten gewesen.
Dazu nur der Leitsatz zu der Entscheidung:
Der Subsidiaritätsgrundsatz (§ 90 Abs 2 S 1 GG) verlangt die Erhebung einer Anhörungsrüge im fachgerichtlichen Verfahren auch dann, wenn mit der Verfassungsbeschwerde zwar keine Verletzung des Gehörsanspruchs (Art 103 Abs 1 GG) gerügt werden soll, den Umständen nach jedoch ein Gehörsverstoß durch die Fachgerichte naheliegt und zu erwarten ist, dass vernünftige Verfahrensbeteiligte mit Rücksicht auf die geltend gemachte Beschwer bereits im gerichtlichen Verfahren einen entsprechenden Rechtsbehelf ergreifen würden.
Nach Auffassung des BVerfG wäre das OLG zu Ausführungen dazu verpflichtet gewesen, weshalb es das substantiierte Kernvorbringen des Verteidigers in dessen Schriftsatz vom 09.11.2023 gegen die Fortdauer der Untersuchungshaft für nicht relevant oder überzeugend hielt. Mit dieser Anhörungsrüge hätte der Angeklagte die Möglichkeit gewahrt, dass eine Grundrechtsverletzung durch dasOLG selbst beseitigt wird.
Zur Sache führt das BVerfG dann aber trotz der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde dennoch aus, und zwar:
„3. Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird den verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht gerecht. Das Verfahren wurde nach Eingang der Anklageschrift beim Landgericht nicht in der durch das Gewicht des Freiheitseingriffs gebotenen Zügigkeit gefördert.
a) Es handelt sich bei der hier eingetretenen Verzögerung nicht um eine nur kleinere Verfahrensverzögerung, die entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen könnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 – 2 BvR 819/18 -, Rn. 29). Das Landgericht hatte trotz Ablaufs von mehr als fünf Monaten seit dem Eingang der Anklage am 31. Mai 2023 noch nicht über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens (§§ 199 ff. StPO) entschieden. Anhaltspunkte dafür, dass jedenfalls nach Ablauf der Frist zur Stellungnahme des Beschwerdeführers am 4. Juli 2023 noch keine Eröffnungsreife vorgelegen haben könnte, sind nicht ersichtlich. Noch ausstehende Ermittlungen sind nicht genannt. Die Bezeichnung dieser Verzögerung im angefochtenen Beschluss als „kurzfristig“ ist nicht nachvollziehbar.
b) Die vom Oberlandesgericht für die Verzögerung im Zwischenverfahren angeführten Gründe rechtfertigen den Eingriff in das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG nicht.
Die „ungewöhnlich hohe Belastung der Kammer“ durch bereits vor der Anklage des Beschwerdeführers eingegangene Schwurgerichtsverfahren stellen vom Beschwerdeführer nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte Umstände dar. Diesen Umständen kann zur Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nicht allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung entgegengehalten werden (vgl. BVerfGK 7, 140 <155 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 – 2 BvR 2090/19 -, Rn. 51; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. April 2020 – 2 BvR 225/20 -, Rn. 61; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 1853/20 -, Rn. 28). Da die Überlastung eines Gerichts in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft fällt, kommt es jedenfalls angesichts der hier gegebenen, nicht nur kurzfristigen Überlastung auf deren Vorhersehbarkeit nicht an (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 – 2 BvR 819/18 -, Rn. 30).
Der vom Oberlandesgericht für die Verzögerung zusätzlich angeführte Umstand, der Kammer stünden vor dem Sechsmonatstermin keine Hauptverhandlungstermine mehr zur Verfügung, stellt bereits keine schlüssige Begründung dafür dar, weshalb zumindest eine Eröffnung des Hauptverfahrens noch nicht hatte erfolgen können. Auch im Zwischenverfahren muss das Verfahren mit der gebotenen Zügigkeit gefördert werden, um bei Entscheidungsreife über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung zu beschließen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2781/10 -, Rn. 15; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 1853/20 -, Rn. 27 m.w.N.). Jedenfalls kann allein die Üblichkeit, die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens mit der Verfügung des Vorsitzenden über die Terminierung der Hauptverhandlung zeitlich zusammen vorzunehmen, keine Verzögerung einer Eröffnungsentscheidung rechtfertigen, sollte eine Terminierung der Hauptverhandlung noch nicht möglich sein.“