Ja, unverschämt ist m.E. das, was die mit R 2 doch recht gut gepolsterte Einzelrichterin des 2. Strafsenats des OLG Frankfurt da im OLG Frankfurt, Beschl. v. 10.02.2016 – 2 ARs 56/15 – einem Pflichtverteidiger in einem Verfahren wegen des Vorwurfs mitgliedschaftlicher Beteiligung an terroristischen Vereinigungen im Ausland u. a. zugemutet hat. Der Pflichtverteidiger hatte nach Abschluss des Verfahrens eine Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 RVG beantragt. Die Eckdaten des Verfahrens: Schon im Vorverfahren „knapp 24.400 Blatt“ Akten, umfangreiche weitere Tätigkeiten des Pflichtverteidigers wie Haftbesuche usw. und dann Teilnahme an 23 HV-Tagen. Dafür hatte der Pflichtverteidiger eine Pauschgebühr von 15.000 € für das Vorverfahren und von 12.000 € für das Hauptverfahren beantragt.
Bekommen hat er nichts. Ja, richtig gelesen: NICHTS. Und das ist in meinen Augen unverschämt/unfassbar, zumindest was das Vorverfahren betrifft, über das Hauptverfahren kann man streiten. Jedenfalls bleibt es so für den Pflichtverteidiger für das Vorverfahren bei 162 € (Nr. 4100, 4101 VV RVG a.F.) und wenn man zu Gunsten des OLG dann noch die 4104, 4105 VV RVG a.F. hinzunimmt noch einmal bei 137 €, also bei maximal 299 €. Und die Beträge sind nach Auffassung der Einzelrichterin – man glaubt es nicht – zumutbar.
Begründung der Einzelrichterin dazu u.a.:
„Soweit der Antragsteller den erheblichen Aktenumfang anführt, hat der Senat dieser Besonderheit des vorliegenden Verfahrens bereits dadurch Rechnung getragen, dass dem Angeklagten zwei Pflichtverteidiger beigeordnet worden sind. Insoweit fallen durch die Doppelpflichtverteidigung bereits Pflichtverteidigergebühren in doppelter Höhe an, obgleich bei natürlicher Betrachtung die Arbeitsbelastung der Pflichtverteidiger aufgeteilt werden kann und dadurch für den Einzelnen geringer wird. Dies mag zwar im Einzelfall auch eine zusätzliche Abstimmung verlangen, trägt aber im Ergebnis zur Verminderung des Aufwandes bei, der vorliegend insbesondere in der Durchsicht der Akten lag. Im Übrigen erlaubte diese Handhabung auch eine leichtere Einarbeitung in die rechtlichen Besonderheiten, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens waren….“
M.E. falsch. Denn was interessiert es den einen Pflichtverteidiger, dass es einen zweiten Pflichtverteidiger gibt? Das bedeutet doch nicht, dass die Pflichtverteidiger sich nicht in die gesamten Akten einarbeiten = diese lesen müssen. Oder will die Einzelrichterin etwa sagen, dass auch die Kenntnis nur der halben Akte ausreicht, um zu verteidigen. Das Ganze liest sich an der Stelle auch ein wenig weinerlich, so als ob man von einem „Sonderopfer“ der Staatskasse ausgehe, weil man ja zwei Pflichtverteidiger beigeordnet hat.
Im Übrigen: Im Beschluss kein Wort zu der anderen Ansicht des OLG Düsseldorf, das im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.06.2015 – III-3 AR 65/14 (vgl. dazu Wie viel Seiten muss ein (Pflicht)Verteidiger für eine Grundgebühr lesen?) davon ausgeht, dass der Pflichtverteidiger nicht mehr als 500 Blatt Akten für eine Grundgebühr lesen muss. Entweder kennt man die Rechtsprechung nicht oder man will sich mit ihr nicht auseinandersetzen, weil man es besser zu wissen meint. Aber vielleicht hat man ja auch nur keine Argumente gegen diese Ansicht, mit der man sich als OLG schon auseinander setzen sollte/muss.
Der Pflichtverteidiger hat m.E. auf diesen Beschluss richtig reagiert. Er hat Verfassungsbeschwerde eingelegt. Ja, ich weiß, Einzelfallfehlentscheidung (da bin ich mir beim OLG Frankfurt nicht so sicher) und das BVerfG ist keine Superrechtsmittelinstanz. Wenn aber nicht in einem solchen Fall wie in diesem, wann soll denn dann Verfassungsbeschwerde eingelegt und dem BVerfG Gelegenheit gegeben werden, seine Rechtsprechung zur „Unzumutbarkeit“ i.S. des § 51 Abs. 1 RVG vielleicht doch noch mal zu prüfen? Bei der Gelegenheit: Ich behaupte: Wenn die Expertenkommission zum RVG 2002/2003 gewusst/geahnt hätte, was die OLG aus dem § 51 RVG machen würden, dann wäre er so nicht Gesetz geworden. Ich habe schon damals in der Kommission gegen die Aufnahme des Begriffs „unzumutbar“ argumentiert, aber hatte keinen Erfolg. Das Ergebnis sehen wir jetzt. Die OLG haben den § 51 RVG praktisch abgeschafft.
Den letzten Ausschlag für den Pflichtverteidiger, Verfassungsbeschwerde einzulegen, hat übrigens der Umgang des OLG mit seiner Gegenvorstellung gegeben. Darauf ist ihm nämlich von der Einzelrichterin in einer Verfügung (!) mitgeteilt worden:
„….ist in der von Ihnen angestrengten Pauschvergütungssache das. Verfahren mit der Entscheidung des Senats vom 10. Februar 2016 abgeschlossen. Soweit mit der Gegenvorstellung vom 26.02.2016 gegen diese Entscheidung das Ziel verfolgt wird, aufgrund einer Neubewertung oder aufgrund neuen Vortrags eine abweichende Beurteilung der Begründetheit des bisherigen Antrags zu erreichen, wird darauf hingewiesen, dass der außerordentliche Rechtsbehelf in der Gegenvorstellung nach Auffassung des Senats seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30.04.20103 (Az.: I PBvU 1/02 BVerfGE 107, 395 ff., = NJW 2003, 1924 ff.) nicht mehr gegeben ist…“
Kannte ich so bisher auch noch nicht. Aber man lernt ja nie aus. Der Verteidiger hat es anders kommentiert: „Hinzu kam als Movens die Behandlung meiner Gegenvorstellung, die erkennen lässt, dass sich jedenfalls der zuständige Senat des OLG Frankfurt am Main regelrecht eingemauert hat, um ja nicht durch vernünftige Argumente behelligt zu werden.“ Der Eindruch ist so falsch wohl nicht.