Die zweite Entscheidung stammt auch vom LG Saarbrücken. Das hat im LG Saarbrücken, Urt. v. 13.11.2020 – 13 S 92/20 – über einen Verkehrsunfall im Bereich einer Bushaltestelle entschieden.
Dem lag folgendes Geschehen zugrunde:
„Die Klägerin parkte mit ihrem Fahrzeug auf dem Gehweg der pp.. im Bereich einer mit Haltstellenzeichen ausgewiesenen Bushaltestelle. Der Beklagte zu 1) fuhr mit dem Linienbus der Beklagten zu 2) diese Haltestelle an. Beim Verlassen der Örtlichkeit fuhr er an einem vor ihm stehenden weiteren Bus links vorbei und berührte hierbei mit seiner hinteren rechten Karosserie das parkende Fahrzeug der Klägerin auf dessen linker Seite. Auf den von der Klägerin vorgerichtlich geltend gemachten Schaden von insgesamt 9.617,40 € zahlte die Beklagte zu 2) ausgehend von einer eigenen Haftungsquote von 75 % einen Betrag von 6.200,76 € sowie weitere 1.008,54 €. Auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten leistete die Zweitbeklagte einen Betrag von 650,34 €.
Die Klägerin ist von einer Alleinhaftung der Beklagten ausgegangen und hat Klage erhoben. Das AG hat der Klage stattgegeben. Das LG ist von einer Haftungsverteilung von 25 % zu 75 % ausgegangen:
„1. Vorliegend hat neben den Beklagten auch die Klägerin grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des §§ 17 Abs. 3 StVG darstellte.
a) Ein im Verkehrsraum geparktes Fahrzeug befindet sich im Betrieb, solange es den Verkehr irgendwie beeinflussen und für diesen eine Gefahr darstellen kann (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2020 – VI ZR 286/19, NJW 2020, 2116). Vorliegend stellte das verbotswidrig auf dem Gehweg neben der Bushaltestelle abgestellte Fahrzeug der Klägerin ein Hindernis im öffentlichen Verkehrsraum dar. Die damit einhergehende Gefahr einer Kollision anderer Verkehrsteilnehmer mit diesem Hindernis hat sich hier durch den Anstoß des die Bushaltestelle verlassenden Linienbusses verwirklicht, so dass der erforderliche Haftungszusammenhang gegeben ist.
b) Weiterhin hat die hierfür darlegungs- und beweisbelastete Klägerin den Unabwendbarkeitsnachweis nicht zu führen vermocht. Unabwendbar nach § 17 Abs. 3 StVG ist ein Ereignis nur dann, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt – gemessen an den Anforderungen eines Idealfahrers, die erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i.S.v. § 276 BGB hinausgehen (BGH, Urteil vom 18. Januar 2005 – VI ZR 115/04, NZV 2005, 305) – nicht abgewendet werden kann (Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, a.a.O., § 17 StVG, Rn. 14 f. m.w.N.). Die besondere Sorgfalt des Idealfahrers muss sich dabei nicht nur in der konkreten Gefahrensituation, sondern auch bereits im Vorfeld manifestieren. Ein Idealfahrer hätte vorliegend eine mögliche Behinderung des Busverkehrs in seine Überlegungen mit einbezogen und sein Fahrzeug erst gar nicht verbotswidrig unmittelbar neben der Bushaltestelle auf dem Gehweg geparkt. Dass ein Bus an der Haltestelle rangieren oder diese wie vorliegend aufgrund Blockierung der Fahrspur schrägwinklig verlassen und dabei in den Bereich des angrenzenden Bürgersteigs geraten könnte, liegt im Bereich des Vorhersehbaren. Das Zuparken der in der Nähe befindlichen Behindertenparkplätze durch Nichtberechtigte stellte aus Sicht der Klägerin zwar verständlicherweise ein Ärgernis dar, zwang diese jedoch keinesfalls, verbotswidrig im Bereich der Bushaltestelle zu parken.
2. In die danach gebotene Haftungsabwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG hat die Erstrichterin einen den Beklagten zuzurechnenden, unfallursächlichen Verstoß gegen die allgemeinen Sorgfaltspflichten nach § 1 Abs. 2 StVO eingestellt. Dies ist zutreffend und wird von der Berufung auch nicht in Abrede gestellt.
3. Nicht zu folgen vermag die Kammer der erstinstanzlichen Entscheidung, soweit diese einen unfallursächlichen Verkehrsverstoß auf Seiten der Klägerin nicht berücksichtigt.
a) Zutreffend ist allerdings, dass sich der Verstoß der Klägerin gegen das aus § 12 Abs. 4 Satz 2, Abs. 4a StVO folgende allgemeine Parkverbot auf Gehwegen im Rahmen der Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG nicht zu deren Lasten auswirkt. Denn das Verbot dient ausschließlich dem hier nicht berührten Schutz des Gehwegbenutzers. Ein Verstoß gegen ein Halte- oder Parkverbot begründet daher dann keine Mithaftung, wenn es – wie hier – nicht dem Schutz des Geschädigten dient (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Mai 2012 – 9 U 128/11, NJW-RR 2012, 1237; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 26. Juli 2007 – 8 O 2722/07, DAR 2007, 709).
b) Gleiches gilt, soweit § 20 Abs. 5 StVO dem Linienverkehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Schulbussen den Vorrang vor dem fließenden Verkehr einräumt. Zum einen handelte es sich bei dem parkenden Fahrzeug der Klägerin nicht um fließenden, sondern um ruhenden Verkehr, zum anderen dient die Vorschrift dem Schutz von Fußgängern, die im räumlichen Bereich eines solchen Verkehrsmittels auf die Fahrbahn treten (vgl. (Spelz in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 20 StVO, Rn. 9).
c) Eine Mithaftung der Klägerin lässt sich vorliegend auch nicht aus dem Umstand herleiten, dass im Bereich der streitgegenständlichen Haltestelle auch das Verkehrszeichen 283 (§ 41 StVO, Anlage 2) ein absolutes Halteverbot ausspricht. Denn dieses Zeichen bezieht sich lediglich auf die Fahrbahn, nicht aber auf den angrenzenden Gehweg (vgl. Lafontaine in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 41 StVO (Stand: 09.06.2020), Rn. 271 mwN).
d) Unstreitig hat die Klägerin hier aber ebenfalls gegen das aus § 41 Abs. 1 StVO i.V.m. Verkehrszeichen 224 folgende Parkverbot innerhalb einer Strecke von 15 Metern vor und hinter einer Bushaltestelle verstoßen. Zwar dient das Zeichen 224 in erster Linie dem Zweck, die Fahrbahn der Haltestelle für das öffentliche Verkehrsmittel freizuhalten, um diesem ein ungehindertes An- und Abfahren i.S.v. § 20 Abs. 5 StVO zu ermöglichen (vgl. z.B. LG Karlsruhe, Urteil vom 20. Februar 2002 – 1 S 140/01, DAR 2003, 321). Es bezieht sich allerdings auch auf den Seitenstreifen, um das unbeeinträchtigte Ein- und Aussteigen von Fahrgästen zu gewährleisten (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 12 StVO, Rn. 51). Des Weiteren muss der Bereich neben den Haltebuchten auch deshalb freigehalten werden, da z.B. Gelenkbusse Überhänge haben, die beim Ein- und Ausfahren erfahrungsgemäß über die Bordsteinkante hinausragen können (vgl. LG Essen, Urteil vom 20. Februar 1980 – 1 S 27/80, VersR 1981, 963; Freymann in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Auflage, Kap. 27, Rn. 361). Dass ein Linienbus, wie vorliegend, aufgrund eines weiteren vor ihm haltenden Busses die Haltestelle schrägwinklig verlässt, dabei ein Teil des Hecks auf den Gehweg ausschwenkt und ein dort in unmittelbarer Nähe zur Bordsteinkante abgestelltes Fahrzeug berührt, gehört zu den vorhersehbaren Gefahren in einem Haltestellenbereich, vor denen das Parkverbot gerade auch schützen soll. Anders als die Klägerin meint, geht diese Ausweitung des Schutzbereichs des Parkverbotes auch nicht mit einer unkontrollierbaren Gefährdung von Fußgängern im Bereich der Bushaltestelle einher. Wie häufig, wenn im Straßenverkehr verschiedene Teilnehmer aufeinandertreffen, kann ein Ausschluss jeglicher denkbaren Gefahren für sämtliche Beteiligte nicht garantiert werden. Dies gilt insbesondere für den Schutz vor Gefahren, die auf die Beschaffenheit der am Verkehr teilnehmenden Fahrzeuge sowie deren Abmessungen zurückzuführen und für jedermann gut erkennbar sind. Dass ein zu nahes Herantreten an einen an- oder abfahrenden Kraftomnibus für einen Fußgänger im Bereich der Haltestelle mit Gefahren verbunden sein kann und er deshalb einen angemessenen Sicherheitsabstand zu dem Gefährt einhalten muss, versteht sich von selbst. Im Gegensatz zu einem abgestellten Fahrzeug ist ein Mensch in der konkreten Situation auch in der Lage, einer etwaigen Gefährdung durch ein vorhersehbares Ausschwenken eines Linienbusses vorzubeugen bzw. auszuweichen, zumal an der konkreten Haltestelle ausreichend Raum für Fußgängerverkehr bzw. wartende Fahrgäste vorhanden ist.
e) Bei der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist der Sorgfaltsverstoß der Klägerin mit 25 % gegenüber einer akzeptierten Mithaftung der Beklagten von 75 % angemessen berücksichtigt, weshalb die erstinstanzlich angenommene Alleinhaftung der Beklagten nicht aufrechterhalten bleiben kann. Dies gilt selbst dann, wenn man hier einen Verkehrsverstoß der Klägerin verneinen wollte. Denn das Abstellen eines Fahrzeugs unmittelbar neben einer Linienbushaltestelle begründet ein Hindernis, welches bereits aus sich heraus die Gefahr birgt, dass es zu Beschädigungen im Zusammenhang mit dem Personentransportverkehr kommt. Diese Gefahr hat sich vorliegend gerade verwirklicht, so dass auch gegen die Gewichtung der reinen Betriebsgefahr mit 25 % keine Bedenken bestehen.“