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Die Entschädigung nach dem StrEG für Zwangsmaßnahmen, wie geht das beim Rechtsanwalt?

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Bei Jurion bin ich auf das OLG Frankfurt, Urt. v. 18.03.2013, 1 U 179/12 – gestoßen, das sich mit der Ersatzfähigkeit des Zeitaufwandes eines  Verfolgungsmaßnahmen geschädigten Rechtsanwalts zur Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen Zustandes befasst. Das OLG sagt. Kann grundsätzlich ersatzfähig sein. Der Kläger des Verfahrens ist Rechtsanwalt und ehrenamtlich Vorstand des A e.V., eines gemeinnützigen Vereins. Seit dem Jahre 2004 führten zunächst die Staatsanwaltschaft bei dem LG Marburg, dann die Staatsanwaltschaft bei dem LG Gießen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Betruges und Untreue im Zusammenhang mit der Einwerbung und der Verwendung von Vereinsmitteln. Im Zuge dieses – später eingestellten – Ermittlungsverfahrens führte die Staatsanwaltschaft eine Vielzahl strafprozessualer Zwangsmaßnahmen gegen den Kläger durch.

Das OLG hat den Beklagten in einem ersten Rechtsstreit rechtskräftig zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 15.000 € für die Verletzung des Klägers in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und zur Erstattung von Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.902,95 € verurteilt sowie festgestellt, dass der Beklagte gegenüber dem Kläger zum Ersatz der materiellen Schäden aus folgenden Handlungen der Bediensteten des Beklagten verpflichtet ist: Freiheitsentziehung zulasten des Klägers am 28. 9. 2004, erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers am 28. 9. 2004, Aufrechterhaltung der Speicherung der bei der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers erhobenen Daten in den Dateien und den Unterlagen der Ermittlungsbehörden im Zeitraum vom 28. 09. 2004 bis zur Datenlöschung im Laufe des Monats November 2007, Beschlagnahme, Öffnung und Auswertung der an den Kläger gerichteten Post im Zeitraum vom 28. 09. 2004 bis 13. 05. 2005, Durchsuchungen am 28. 09. 2004, Arrestanordnungen am 30. 09. 2004, Beschlagnahmen im Eigentum des Klägers stehender Unterlagen und sonstiger Gegenstände, insbesondere am 28. 09. 2004. Die Generalstaatsanwaltschaft hat den Entschädigungsantrag des Klägers unter dem 20. 12. 2010 insgesamt abgelehnt.

Das OLG nimmt auf das Urteil des ersten Rechtsstreits Bezug und verurteilt noch einmal zu rund 16.000 € Entschädigung. Die Leitsätze zur Schadensberechnung:

1. Für die Ersatzfähigkeit von Arbeitszeit, die der Geschädigte nach dem Schadensereignis aufwendet, ist eine differenzierende Beurteilung geboten, die insbesondere berücksichtigt, für welche Art von Arbeiten der Geschädigte seine Zeit verwendet hat.

a) (Arbeits-) Zeit, die der Geschädigte zur Ermittlung des Schadens und zur außergerichtlichen Abwicklung des Schadensfalles aufwendet, ist – abgesehen von Ausnahmefällen außergewöhnlichen zeitlichen Umfangs oder wirtschaftlich bedrohlicher Auswirkungen – nicht als Vermögensschaden ersatzfähig.

b) (Arbeits-) Zeit, die der Geschädigte zur Beseitigung des Schadens selbst aufwendet, zur Wiederherstellung eines Zustandes, der dem vor Eintritt des schädigenden Ereignisses nahe kommt, ist grundsätzlich als Vermögensschaden ersatzfähig.

2. Die Regel, dass Unternehmer oder andere selbstständig Erwerbstätige ihren Schaden nicht nach den Kosten einer hypothetisch beschäftigten Ersatzkraft berechnen können, sondern als Schaden ihren bilanziellen Verlust nachzuweisen haben, ist nicht auf den Fall zu übertragen, dass der Geschädigte arbeitsfähig ist und seine Arbeitskraft zur Beseitigung des Schadens einsetzt, jedenfalls dann nicht, wenn der Unternehmer Tätigkeiten erbracht hat, die er hätte delegieren können.

3. Für die Bewertung der von einem selbstständigen Rechtsanwalt zur Schadensbeseitigung aufgewendeten, dem Grunde nach ersatzfähigen Arbeitszeit kann im Rahmen einer Schadensschätzung auf die regelmäßig in den BRAK-Mitteilungen veröffentlichten STAR-Untersuchungen zurückgegriffen werden.

 

Nach (zu langer) Sicherungsverwahrung kein StrEG

Folgende Ausgangskonstellation: Mit Urteil vom 19.12.1991 wird der Verurteilte vom LG wegen versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls in sechs Fällen und des versuchten Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und gleichzeitig wird Sicherungsverwahrung angeordnet. Die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe hatte der Verurteilte am 12.6.2001 vollständig verbüßt. In der Folgezeit befand er sich  in Sicherungsverwahrung, wobei das Ende des zehnjährigen Vollzugs für den 11.06.2011 vorgemerkt war.  Mit Beschluss vom 03.06.2011 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts die mit Urteil vom 19.12.1991 angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach der Vollstreckung von zehn Jahren ab 01.07.2011 für erledigt erklärt. Erst an diesem Tage wurde der Verurteilte aus der Sicherungsverwahrung entlassen.

Er hat Entschädigung nach dem StrEG geltend gemacht, die verweigert worden ist. Dazu jetzt abschließend der OLG Nürnberg, Beschl. v. 23.02.2012 –   2 Ws 320/11 – mit folgenden Leitsätzen:

1. Wird aufgrund einer Nachfolgeentscheidung im Vollstreckungsverfahren eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu Unrecht vollstreckt, besteht kein Entschädigungsanspruch nach StrEG.

 2. In diesem Fall ist die Grundlage für die Vollstreckung weiterhin die Entscheidung, die die Maßregel angeordnet hat und nicht die Nachfolgeentscheidung. Nur wenn die Rechtskraft der Ausgangsentscheidung durchbrochen wird, kann ein Entschädigungsanspruch nach § 1 Abs. 1 StrEG gegeben sein. Eine Nachfolgeentscheidung im Vollstreckungsverfahren durchbricht diese Rechtskraft jedoch nicht.

 3. Auch die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (NJW 2011, 1931) lässt die Rechtskraft von Entscheidungen, die eine Sicherungsverwahrung angeordnet haben, grundsätzlich unberührt.

 4. Eine analoge Anwendung des StrEG auf Sachverhalte, die darin nicht ausdrücklich geregelt sind, ist nicht möglich, weil die Vorschriften dieses Gesetzes Entschädigungsansprüche nicht abschließend regeln.  

Eine etwas abgelegenere Materie, mit der Verteidiger wahrscheinlich nicht jeden Tag zu tun haben werden.

Vergessene Entscheidung

In Rechtsprechung und Literatur umstritten ist die Frage, wie zu verfahren ist, wenn das Tatgericht im Urteil eine erforderliche Entscheidung über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen nach dem StrEG vergessen hat. Dann gibt es zwei Möglichkeiten, das zu reparieren:

  • Man kann davon ausgehen, dass die Entscheidung dann im Revisions- oder Beschwerdeverfahren nachzuholen ist.
  • Man kann aber auch davon ausgehen, dass das Tatgericht die Entscheidung auf Antrag nachholen kann/muss.

Der OLG Celle, Beschl. v. 08.09.2011 – 32 Ss 207/09 geht den zweiten Weg und schließt sich damit der m.E. überwiegenden Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung an. Das OLG hat seinen Beschluss folgenden Leitsatz gegeben:

Unterlässt es das Tatgericht im Urteil eine Entscheidung über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen zu treffen, ist diese Entscheidung nicht im Revisions? oder Beschwerdeverfahren nachzuholen. Das Schweigen des Urteils in diesem Punkt stellt keine Versagung der Entschädigung dar, so dass es an einer beschwerdefähigen Entscheidung mangelt. Das Tatgericht hat in einem solchen Fall nach § 8 Abs. 1 Satz 2 StrEG eine nachträgliche Entscheidung im Beschlussweg herbeizuführen.

 

 

Entschädigung nach dem StrEG

Der Beschl. des OLG Celle v. 16.02.2011 – 1 Ws 78/11 nimmt Stellung zur Entschädigung nach dem StrEG für eine einstweilige Unterbringung. Das LG hatte einen Anspruch der Beschuldigten verneint wegen grob fahrlässigen Verschuldens. Das OLG sagt:

Bei der Prüfung, ob eine Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen infolge grob fahrlässigen Verschuldens derselben nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen ist, ist auch zu berücksichtigen, ob die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten im Zeitpunkt des ursächlichen Verhaltens erheblich eingeschränkt war; die bei vorsätzlicher Verursachung einer Strafverfolgungsmaßnahme regelmäßig genügende natürliche Einsichtsfähigkeit reicht für die Annahme grober Fahrlässigkeit nicht aus.“

Wie errechnet sich der Nutzungsausfall beim beschlagnahmten Computer?

In den vergangenen Tagen war ja schon hier, hier und hier zur Entschädigung nach dem StrEG nach einer rechtswidrigen Beschlagnahme eines Computers berichtet worden. Die Fragen werden uns sicherlich in Zukunft noch häufiger beschäftigen, da die Beschlagnahme von Computern in der Praxis sicherlich weiter zunehmen wird. Ganz interessant, dass vor einiger Zeit sich auch das LG Stuttgart mit der Frage auseiander gesetzt hat (vgl. NStZ-RR 2009, 128). Es rechnet etwas anders als das OLG München. Zur Berechnung des Schadens gilt:

Zur Höhe des entstandenen Schadens wird i.d.R. geschätzt (§ 287 ZPO). Herangezogen wird der marktübliche Mietpreis eines Computers, dieser wird jedoch um die Gewinnspanne des Vermieters und die bei privater Nutzung nicht anfallenden Kosten bereinigt. Das OLG München geht von einer Schadensschätzung auf 40 % der üblichen Miete aus. Es schätzt den täglichen Nutzungswert für ein Gerät, das mit den Computern der Antragstellerin vergleichbar wäre, auf eine Größenordnung von etwa 2,30 €/Tag. Dies würde einer monatlichen Bruttomiete von ca. 200 € entsprechen. Für 77 Tage Beschlagnahmedauer errechnet das OLG München hieraus ein Entschädigungsbetrag von 177 €. Das LG Stuttgart (a.a.O.) geht demgegenüber von einem Langzeitmietpreis zwischen 3 und 4 € täglich aus. Davon zieht es den nicht erstattungsfähigen Gewinn ab und berücksichtigt u.a., dass die beschlagnahmten Computer bereits mehrere Jahre alt waren. Auf der Grundlage setzt es einen täglichen Nutzungswert von (nur) 1,50 € an.

OLG München, Beschl. v. 23.03.2010 – 1 W 2689/09