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Strafzumessung: Dem Angeklagten hätte es „oblegen, die Taten zu unterlassen“

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Das LG wertet bei einer Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern schulderhöhend, „dass zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten ein intensives und freundschaftliches Verhältnis bestand, was diesen eher zum Schutz der Geschädigten hätte veranlassen müssen. Auch habe dem Angeklagten als einem bereits seit zwei Jahren volljährigen Erwachsenen die Verantwortung oblegen, die Taten zu unterlassen. Der Angeklagte habe indes nicht nur den Wunsch der Mutter der Geschädigten, weiteren Geschlechtsverkehr wegen des zwischen ihm und der Geschädigten bestehenden großen Altersunterschieds zu unterlassen, ignoriert, sondern auch den Willen des Gesetzgebers „zum Schutze von Kindern auf eine sexuell unbelastete Entwicklung„.

Das beanstandet der BGH, Beschl. v. 05.06.2013 – 2 StR 189/13, weil:

b) Mit diesen Erwägungen stellt das Landgericht indes rechtsfehlerhaft darauf ab, dass der Angeklagte die Taten überhaupt begangen hat.

und gibt noch Hinweise, wie eine ggf. bestehende Liebesbeziehung zwischen Angeklagtem und Geschädigter zu werten ist:

Das Gericht hat es zudem versäumt, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob nicht die Schuld des Angeklagten wegen des zwischen ihm und der Geschädigten bestehenden besonderen Verhältnisses gemindert sein könnte. Hierzu bestand insofern Anlass, als nach den Feststellungen „zumindest“ aus Sicht der Ge-schädigten eine Liebesbeziehung bestand, zwischen beiden stets einvernehm-licher und geschützter Geschlechtsverkehr stattfand, die Geschädigte zur Tat-zeit bereits 13 Jahre alt war und es sich bei dem Angeklagten um einen erst 20jährigen jungen Erwachsenen handelte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 5. April 2005 – 4 StR 96/05, StV 2005, 387; Urteil vom 26. Juli 2006 – 1 StR 150/06, NStZ-RR 2006, 339; Beschluss vom 12. November 2008 – 2 StR 355/08, NStZ-RR 2009, 72). So hat zwar die Strafkammer festgestellt, dass die Geschädigte in ihrer Entwicklung nicht anders als der Durchschnitt von Mäd-chen bis zu 14 Jahren zu beurteilen sei. Allein aber der Umstand, dass die vor-liegende Fallkonstellation damit nicht exakt der in den Gesetzesmaterialien zu § 176a StGB als Beispiel eines minderschweren Falls genannten Konstellation einer „Liebesbeziehung zwischen einem körperlich und geistig-seelisch weit über den altersgemäßen Zustand hinaus entwickelten Kind (etwa einem knapp 14 Jahre alten Mädchen) und einem jungen (etwa 21 Jahre alten) Erwachse-nen“ entspricht (BT-Drucks. 13/8587 S. 32), entbindet nicht von der Erörterung ähnlich gelagerter schuldmindernder Umstände.

Strafzumessung: „Schon aus dem nemo-tenetur-Grundsatz…“

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Manchmal versteht man nicht, warum eigentlich im Grunde einfache Strafzumessungsgrundsätze, die sich wie ein roter Faden durch die Rechtsprechung des BGH ziehen, auf die der BGH also immer wieder hinweist, von den Tatgerichten nicht beachtet werden. So in einem Urteil des LG Essen, das der BGH, Beschl. v. 22.05.2013 – 4 StR 151/13 aufgehoben hat.

Es geht um die Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und die Frage: Minder schwerer Fall, ja oder nein?  Den hatte das LG abgelehnt mit der Erwägung „für die Annahme eines minder schweren Falles spreche zwar das teilweise Geständnis des Angeklagten; es könne allerdings nicht übersehen werden, dass dieser zugleich versucht habe, durch seine Einlassung die Folgen seiner Tat zu verharmlosen, indem er entgegen den späteren Feststellungen im angefochtenen Urteil behauptet habe, er hätte das Kokain wegen der (angeblich) schlechten Qualität wieder zurückerhalten. In Bezug auf alle festgestellten Taten hat das Landgericht ferner ausgeführt, gegen die Annahme minder schwerer Fälle spreche „letztlich“ der Umstand, dass der Angeklagte äußerst konspirativ vorgegangen sei. Die Strafkammer sei aufgrund einer Gesamtschau davon überzeugt, dass der Angeklagte offenbar von Anfang an beabsichtigt habe, die Ermittlungsmaßnahmen der Polizei in eine falsche Richtung zu lenken. Die polizeilichen Ermittlungen seien dadurch erheblich erschwert worden. Beispielsweise habe die wahre Identität des Angeklagten erst am 1. Februar 2012 durch die Polizei festgestellt werden können, nachdem der Telefonanschluss des Angeklagten für etwa 14 Tage überwacht und die Koordinaten seines Wohnsitzes unter Auswertung der Gesprächsinhalte aufwändig festgestellt worden seien.“

Dass das nicht gut gehen konnte, liegt m.E. auf der Hand. Der BGH hebt dann auch ohne viel Hin und Her den Strafausspruch auf:

„2. Schon aus dem nemo-tenetur-Grundsatz (§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4 Satz 2, 243 Abs. 5 Satz 1 StPO) folgt, dass der Beschuldigte in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht verpflichtet ist, aktiv die Sachaufklärung zu fördern und an seiner eigenen Überführung mitzuwirken (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 364/03, BGHSt 49, 56, 59 f.). Dem-entsprechend darf ihm mangelnde Mitwirkung an der Sachaufklärung nicht strafschärfend angelastet werden (BGH, Beschluss vom 8. November 1995 – 2 StR 527/95, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 17 mwN). Darüber hinaus kann auch Prozessverhalten, mit dem der Angeklagte – ohne die Grenzen zulässiger Verteidigung zu überschreiten – den ihm drohenden Schuldspruch abzuwenden versucht, grundsätzlich nicht straferschwerend berücksichtigt werden, da hierin – unbeschadet einer Verletzung des nemo-tenetur-Grundsatzes – eine Beeinträchtigung seines Rechts auf Verteidigung läge. Dies gilt nicht nur dann, wenn er eine unrichtige Einlassung unverändert aufrechterhält, sondern auch, wenn er dem Anklagevorwurf mit jedenfalls teil-weise wahrheitswidrigem Vorbringen zu begegnen sucht (BGH, Beschluss vom 8. November 1995 aaO).

Gemessen daran kann der Senat vor dem Hintergrund des Gesamtzusammenhangs der Strafzumessungserwägungen nicht ausschließen, dass die Strafrahmenwahl des Landgerichts im Hinblick auf beide Umstände maßgeblich durch eine unzulässige Bewertung des Verteidigungsverhaltens des Angeklagten beeinflusst ist. Dies gilt umso mehr, als die von der Strafkammer herangezogene Erwägung, durch die äußerst konspirative Vorgehensweise des Angeklagten seien die polizeilichen Ermittlungen erheblich erschwert worden, mit dem bloßen Hinweis auf eine zweiwöchige Telefonüberwachung und die darauf gestützte Bestimmung der Wohnsitz-Koordinaten nicht hinreichend mit Tatsachen belegt ist.“

Hätte man drauf kommen können, oder? Die Formulierung „Schon aus dem nemo-tenetur-Grundsatz…“ zeigt sehr deutlich, was der BGH von landgerichtlichen Erwägungen hält. Wenn ein Revisionsgericht mit „schon“ formuliert, ist das schon nie so schön :-).

Strafzumessung II: Die Verurteilung des Rechtsanwalts – welche Folgen hat sie?

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Eröffnen wir die neue Woche mit einem „Strafzumessungsposting“ – in Anknüpfung an: Strafzumessung I: Fehler ja, aber Ausgang wie beim “Horneberger Schießen”. Das LG Bonn hat den Angeklagten, einen Rechtsanwalt, wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der BGH hebt im BGH, Beschl. v. 11.04.2013 – 2 StR 506/12 – auf, weil das LG nicht beachtet hat bzw. der BGH nicht ausschließen kann, dass diese Verurteilung nach § 114 BRAO für den Angeklagten fatale Folgen haben kann. Danach können nämlich berufsrechtliche Maßnahmen bis hin zum Ausschluss aus der Anwaltschaft folgen . Der BGH führt aus:

„Die Zumessungserwägungen des Landgerichts lassen nicht erkennen, ob es bei der Strafbemessung die (möglicherweise) drohenden anwaltsgerichtlichen Sanktionen gemäß § 114 Abs. 1 BRAO in den Blick genommen hat. Die beruflichen Nebenwirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung auf das Leben des Täters sind jedenfalls dann (als bestimmender Strafzumessungsgrund) ausdrücklich anzuführen, wenn dieser durch sie seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verliert (vgl. nur BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 – 4 StR 514/09, StV 2010, 479 f.; Beschluss vom 26. März 1996 – 1 StR 89/96, NStZ 1996, 539, jeweils mwN). Dass dies hier der Fall sein könnte, lässt sich unter Berücksichtigung der zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten bis-her getroffenen Feststellungen jedenfalls nicht ausschließen.

Der Angeklagte war bis zu seiner Verhaftung als freiberuflicher Rechtsanwalt im IT-Recht tätig. Nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft nahm er eine Angestelltentätigkeit bei seiner früheren Hauptmandantin auf. Was mit der Anwaltszulassung des Angeklagten zwischenzeitlich geschehen ist, ob sie ruht, der Angeklagte im Hinblick auf drohende Maßnahmen nach § 114 Abs. 1 BRAO auf sie verzichtet hat oder sie (notwendige) Grundlage der jetzt ausgeübten Tätigkeit ist, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Unter Berücksichtigung dessen ist es jedenfalls denkbar, dass der Angeklagte, der in Folge seiner strafgerichtlichen Verurteilung grundsätzlich mit anwaltsgerichtlichen Maßnahmen bis hin zu einem zeitlich befristeten Vertretungsverbot (§ 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO) oder sogar einer Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft (§ 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO) rechnen muss, dadurch seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verloren hat bzw. verliert.“

Strafzumessung I: Fehler ja, aber Ausgang wie beim „Horneberger Schießen“.

Strafzumesssungsfragen spielen in der Rechtsprechung des BGH m.E. eine verhältnismäßig große Rolle. Immer wieder beanstandet der BGG die Strafzumessungserwägungen der LG. So im BGH, Beschl. v. 03.05.2013 – 1 StR 66/13. Im dem Verfahren ging es um die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs. Da hatte der Angeklagte

„zu Recht beanstandet, dass das Landgericht zum Nachteil des Angeklagten „- wenn auch nur eingeschränkt – straferschwerend berücksichtigt“ hat, „dass der Angeklagte in einem weiteren Fall mit R. P. den vaginalen Geschlechtsverkehr kurz nach ihrem 14. Geburtstag vollzogen hat, auch wenn insoweit zu seinen Gunsten davon ausgegangen wurde, dass er dabei keinen Straftatbestand erfüllt hat.“ Die Strafkammer hat damit ein etwa fünf Jahre nach der abgeurteilten Tat liegendes Verhalten des Angeklagten strafschärfend herangezogen, obgleich sie die-ses Verhalten gleichzeitig als nicht strafbar beurteilt hat. Ein nach der Straftat liegendes Verhalten des Angeklagten darf aber in der Regel nur dann berücksichtigt werden, wenn es Schlüsse auf den Unrechtsgehalt der Tat zulässt oder Einblick in die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat gewährt (BGH, Urteil vom 24. Juli 1985 – 3 StR 127/85, NStZ 1985, 545). Solches liegt bei einem Verhalten, welches Jahre nach der abgeurteilten Tat liegt, nicht ohne Weiteres vor und ist vorliegend auch nicht ersichtlich.“

Gebracht hat der Fehler dem Angeklagten aber nichts, denn die Strafzumessung des LG war nach Auffassung des BGH  trotz dieses Strafzumessungsfehlers angemessen i.S. § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO. Wie war das noch mit dem Horneberger Schießen?

„…dein Bruder ist Polizeibeamter…“ – deshalb höhere Strafe?

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Ich hatte ja heute Morgen schon über den verfahrensrechtlichen Teil des BGH, Beschl. v. 14.05.2013 – 1 StR 122/13, berichtet unter dem Posting: Saalräumung und “Abriegelung” des Sitzungssaals – da muss man als Verteidiger handeln. Der  BGH, Beschl. v. 14.05.2013 – 1 StR 122/13 ist aber auch noch wegen einer materiellen rechtlichen Frage, die die Strafzumessung betrifft ganz interessant.

Das LG hat den Angeklagten wegen von ihm als Teilnehmer an einer Demonstration begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Landfriedensbruch und versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen – zum Nachteil von zwei Polizeibeamten – zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Bei der Bemessung der Jugendstrafe hat das LG zum Nachteil des Angeklagten gewertet, dass sein Bruder Polizeibeamter sei und „von daher hätte erwartet werden können, dass der Angeklagte für andere Polizeibeamte, die pflichtgemäß das tun, was ihnen befohlen wird, etwas Verständnis aufbringt“.

Diese Erwägung hat der BGH beanstandet und den Rechtsfolgenausspruch aufgehoben:

„..Diese Erwägung erweist sich als rechtsfehlerhaft, weil sich aus dem Umstand, dass der Bruder des Angeklagten ebenso Polizeibeamter ist wie die vom Angeklagten angegriffenen Geschädigten, keine gesteigerten Pflichten des Angeklagten für das verletzte Rechtsgut ergeben und sich dieser daher auf das Maß der der Tat innewohnenden Pflichtwidrigkeit nicht auswirkt (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 371/10, NStZ-RR 2011, 5)….