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Rechtsfolgen III: Schadenswiedergutmachung/Zahlung, oder: Strafrahmenverschiebung

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Und zum Schluss des Tages komme ich dann noch einmal auf den KG, Beschl. v. 25.02.2022 – (2) 161 Ss 25/22 (7/22) – zurück. Über den hatte ich schon einmal in Zusammenhang mit einer in der Entscheidung angesprochenen Frage zur Pflichtverteidigung berichtet (vgl. Pflichti II: Diverse Pflichtverteidigungsfragen, oder: Dauer der Bestellung, Bestellung wegen EncroChat?).

Heute weise ich auf die Ausführungen des KG zur Strafrahmenwahl hin:

„Der Strafausspruch hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung durch den Senat nicht stand.

Die Rechtsfolgenentscheidung weist einen grundlegenden Fehler bei der Strafrahmenwahl auf, weil die Berufungskammer die Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung (§ 49 Abs. 1 StGB) aufgrund des vertypten Strafmilderungsgrundes des § 46a StGB unerörtert gelassen hat, obwohl nach den getroffenen Feststellungen hierzu Anlass bestand. In Betracht zu ziehen war die Bestimmung des § 46a Nr. 2 StGB, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Regelung über den Täter-Opfer-Ausgleich an den Ausgleich der durch die Tat entstandenen materiellen Schäden anknüpft (vgl. BGH NJW 2020, 486).

Nach den Feststellungen zahlte der Angeklagte am 30. November 2021 an die geschädigte Firma T. zum Ausgleich des unterschlagenen Betrages in Höhe von 1.703,83 Euro einen Betrag von 1.750,00 Euro. Demgemäß wertete die Strafkammer strafmildernd, dass der Angeklagt den unterschlagenen Betrag mit einem Aufschlag von knapp 3% an die Geschädigte zurückerstattete, wenn auch erst zweieinhalb Jahre nach der Tat.

Erörterungen zu der nach § 46a Nr. 2, § 49 Abs. 1 StGB möglichen Milderung fehlen jedoch und können auch nicht in der erst nach Bestimmung des Strafrahmens erfolgten strafmildernden Berücksichtigung der von dem Angeklagten vorgenommenen Schadenswiedergutmachung gesehen werden.

Die in § 46a Nr. 2 StGB normierte Fallgruppe verlangt, dass der Täter das Opfer ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt und dies erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert. Die Bestrebungen müssen Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein. Verlangt wird, damit die Schadenswiedergutmachung ihre friedensstiftende Wirkung entfalten kann, dass der Täter einen über die rein rechnerische Kompensation hinausgehenden Beitrag erbringt (BT-Drucks. 12/6853 S. 22) Die Erfüllung von Schadensersatzansprüchen allein genügt nicht (vgl. BGH NStZ 1995, 492).

Da eine mögliche Strafrahmenverschiebung unerörtert bleibt, vermag der Senat schon nicht zu beurteilen, ob die Strafkammer die Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB als nicht erfüllt angesehen oder zu hohe Anforderungen an die Milderungsmöglichkeit nach § 46a Nr. 2, § 49 Abs. 1 StGB gestellt hat. Ob die Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB erfüllt sind, kann auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Die bisherigen Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten sprechen allerdings dafür, dass die Entschädigungszahlung an die geschädigte Firma bei diesem zu erheblichen Einbußen im finanziellen Bereich geführt hat und deshalb die Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB gegeben sein könnten. Der Tatrichter hat daher in neuer Verhandlung diese Frage zu prüfen und dabei sicher zu entscheiden, ob die inzwischen geleistete Zahlung Ausdruck der Übernahme von Verantwortung durch den Angeklagten für die Folgen seiner Straftat ist.

Da die allgemeine strafmildernde Berücksichtigung der Zahlung die hier gebotene Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB nicht ersetzen kann, ist über die Strafe neu zu befinden. Die zum Strafausspruch getroffenen tatsächlichen Feststellungen weisen keinen Rechtsfehler auf und bleiben daher aufrechterhalten, da sie lediglich ergänzungsbedürftig sind und durch die lückenhafte Erörterung nicht tangiert werden…..“

Der Alkohol und die Strafrahmenverschiebung, oder: „gesellschaftliches Steuerungselement“

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Schon etwas älter ist der Beschluss des Großen Senats für Strafsachen des BGH betreffend Strafrahmeverschiebung nach §§ 21, 49 StGB, der auf eine Vorlage des 3. Strafsenats des BGG zurückgeht. In dem beim 3. Strafsenat anhängigen Verfahren hatte das LG den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Nach den Feststellungen tötete der Angeklagte mit bedingtem Vorsatz einen Mitbewohner durch Gewalteinwirkung auf den Brust- und Bauchbereich sowie gegen den Kopf, nachdem beide gemeinsam Alkohol konsumiert hatten. Das LG hat weder den Anlass der Tat noch den Grad der Alkoholisierung des Angeklagten festzustellen vermocht. Es ist sachverständig beraten davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei erhalten gebliebener Unrechtseinsicht nicht ausschließbar auf Grund einer mittelgradigen Berauschung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war. Die Strafkammer hat die Strafe dem Strafrahmen des 212 Abs. 1 StGB entnommen. Für einen benannten minder schweren Fall des Totschlags (§ 213 Alternative 1 StGB) hat sie keinen Anhaltspunkt gefunden. Einen sonstigen minder schweren Fall (§ 213 Alternative 2 StGB) hat sie sowohl unter Berücksichtigung allein der allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte als auch unter Hinzuziehung des wegen der Alkoholisierung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt angenommenen vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB abgelehnt. Von einer Strafrahmenmilderung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hatte das LG ebenfalls abgesehen. Es ist davon ausgegangen, dass dies im Fall einer alkoholbedingten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit möglich sei, wenn diese auf verschuldeter Trunkenheit beruht. Eine Alkoholkrankheit oder -überempfindlichkeit des Angeklagten, die ein Verschulden hinsichtlich der Trunkenheit ausgeschlossen hätte, hat die Strafkammer nicht festgestellt.

Der 3. Strafsenat hat die Entscheidung des LG für rechtsfehlerfrei gehalten und wollte die Revision des Angeklagten zu verwerfen. Wegen ggf. entgegenstehender Rechtsprechung anderer Strafsenatehat es dort emäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG angefragt, ob diese an (gegebenenfalls) entgegenstehender Rechtsprechung festhalten (BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2015 – 3 StR 63/15, NStZ 2016, 203). Nach den erhaltenen Antworten hat er dann vorgelegt.

Der Große Senat hat dann dem BGH, Beschl. v. 24.07.2017 – GSSt 3/17 -geantwortet:

Im Rahmen der bei der tatgerichtlichen Ermessensentscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände kann eine selbstverschuldete Trunkenheit die Versagung der Strafrahmenmilderung tragen, auch wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist.

Und jetzt hat dann der 3. Strafsenat im BGH, Beschl. v. 08.03.2018 – 3 StR 63/15 – die Revision verworfen:

„….bb) Nach diesem Maßstab durfte das Landgericht, obwohl die tatbestandlichen Voraussetzungen des 21 StGB vorlagen, in Ausübung seines Ermessens wegen der Vorwerfbarkeit der Alkoholisierung eine Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB ablehnen. Anders als der Beschwerdeführer meint, hing die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht von Feststellungen zur Vorhersehbarkeit der Tat im Zeitpunkt des Sich-Berauschens ab; dazu, ob der Angeklagte erkennbar zu Gewalttaten in alkoholisiertem Zustand neigte, brauchten sich die Urteilsgründe nicht zu verhalten…..“

Man darf gespannt sein, wie sich die Fragen jetzt weiter entwickeln. Wie hat Jahn in der Anmerkung zu dem Beschluss des Großen Senats in der NJW so schön geschrieben: Ein weiterer Schritt zur Abkehr vom Tat- und Schuldstrafrecht hin zu einem gesellschaftlichen Steuerungsinstrument.

Nochmals: Wer säuft, ist selber schuld, oder: Doch nicht?

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Ich hatte ja bereits im Mai 2016 von der sich abzeichnenden Kontroverse zwischen den Strafsenaten des BGH in der Frage der Strafrahmenverschiebung bei verschuldeter/unverschuldeter Trunkenheit berichtet (vgl. hier: Auf dem Weg zum Großen Senat, oder: Wer säuft, ist selber schuld?).

Ausgangspunkt ist der BGH, Beschl. v. 15.10.2015 – 3 StR 63/15, in dem der 3. Strafsenat folgende Frage zur Diskussion gestellt hat:

„Der Tatrichter übt sein Ermessen bei der Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB grundsätzlich nicht rechtsfehlerhaft aus, wenn er im Rahmen einer Gesamtwürdigung der  schuldmindernden Umstände die Versagung der Strafmilderung allein auf den Umstand stützt, dass die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf von diesem verschuldeter Trunkenheit beruht.“

Geantwortet haben inzwischen:

  • Der 5. Strafsenat im BGH, Beschl. v. 01.03.2016 – 5 ARs 50/15 – mit: Ja, und wir halten daran fest.
  • Der 1. Strafsenat im BGH, Beschl. v. 10.05.2016 – 1 ARs 21/15 – mit:
    • Der Umstand, dass die erhebliche Verminderung der Schuld-fähigkeit des Täters auf von diesem zu verantwortender Trunkenheit beruht, rechtfertigt für sich allein die Versagung einer Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht.“
  • Der 4. Strafsenat im BGH, Beschl. v. 28.04.2016 – 4 ARs 16/15
    • „1. Der Senat versteht die Anfrage des 3. Strafsenats wie folgt:

      a) Die Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ist eine Ermessensentscheidung des Tatrichters.

      b) Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung kann im Einzelfall die selbstverschuldete Trunkenheit die Versa-gung der Strafmilderung tragen, auch wenn eine vorher-sehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse nicht festgestellt ist.

      2. Soweit der so verstandenen Anfrage Rechtsprechung des 4. Strafsenats entgegensteht, hält er daran nicht fest.“

Na, da kann man beim Großen Senat schon mal die Griffel anspitzen.

Geständige Einlassung und kooperatives Verhalten – Auswirkungen auf die Strafzumessung

Der BGH, Beschl. v. 15.06.2011 – 4 StR 224/11 erörtert eine Strafrahmenverschiebung im Falle einer geständigen Einlassung und kooperativen Verhaltens und hält diese für notwendig.

Anlass zu einer Erörterung einer Strafrahmenverschiebung bestehe, wenn sich der Angeklagte bereits im Ermittlungsverfahren im Wesentlichen geständig eingelassen und sein kooperatives Verhalten maßgeblichen Anteil an der Ermittlung bislang unbekannter Täter gehabt habe. Ein solcher Anlass liegt auch dann vor, wenn der Täter Taten offenbart, an denen er selbst nicht beteiligt war.

Und: Ein Aussagenotstand ist auch dann zu prüfen, wenn die Beweisperson ein Aussage- bzw. Auskunftsverweigerungsrecht hatte.