Schlagwort-Archive: Störung der Totenruhe

StGB III: (Erst) Beisetzung einer leeren Schmuckurne, oder: Aschekapsel später ==> Störung der Totenruhe?

Bild von Carl S auf Pixabay

Und als letzte Entscheidung dann der OLG Oldenburg, Beschl. v. 29.01.2024 – 1 ORs 258/23. Die Entscheidung hätte auch in einer Rubrik „Kurioses“ veröffentlicht werden können. Denn es handelt sich um einen zumindest nicht alltäglichen Fall, nämlich um die Frage der Störung der Totenruhe, wenn der Bestatter (zunächst) nur eine leere Schmuckurne beisetzt,

Folgender Sachverhalt:

„1, Nach den bezüglich der Verurteilung des Angeklagten getroffenen Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte im maßgeblichen Zeitraum als Mitgeschäftsführer in der Firma BB GmbH tätig. Die Zeugin CC, gegen die ebenfalls ein nach Zahlung einer Geldauflage eingestelltes Ermittlungsverfahren geführt worden ist, absolvierte dort eine Ausbildung zur Bestattungsfachkraft.

Am 18. März 2019 übernahm die Zeugin die Betreuung des Sterbefalles DD, der am TT. MM 2019 verstorben war, und führte das Trauergespräch mit den Hinterbliebenen. Diese wünschten eine Trauerandacht mit Sarg in der Friedhofskapelle, die Einäscherung des Verstorbenen und eine Urnenbeisetzung im Familienkreis auf dem EE Friedhof in Ort2. Als Termine wurden für die Trauerandacht der 27. März 2019 und für die Urnenbeisetzung der 15. April 2019, 11:00 Uhr vereinbart. Zudem wählten die Hinterbliebenen eine im Bestattungshaus vorrätige Schmuckurne aus, die von der Zeugin zunächst auf einem Bord im Sarglager abgestellt wurde. Nach Durchführung der Trauerfeier war die Kremierung des Leichnams durch die FF GmbH in Ort3 vorgesehen.

Etwa zwei Stunden vor dem geplanten Termin für die Urnenbeisetzung wurde der Zeugin durch einen Mitarbeiter des Krematoriums mitgeteilt, dass die Einäscherung noch nicht erfolgt sei, weil die dafür notwendige Sterbeurkunde – offenbar aufgrund einer technischen Störung beim Faxversand durch das Bestattungsunternehmen – noch nicht vorliege. Der Zeugin, der klar war, dass die Urnenbestattung an diesem Tag nicht würde stattfinden können und die deshalb beabsichtigte, die Angehörigen über die notwendige Verschiebung des Termins zu informieren, wandte sich deswegen an den Angeklagten. Dieser forderte die Zeugin auf, die Sache anders zu regeln. Die Urnenbeisetzung solle wie geplant stattfinden. Die Aschekapsel solle dann nachträglich in die Schmuckurne, die er zu diesem Zwecke nachts auf dem Friedhof ausgraben werde, eingesetzt werden. Auf die Frage der Zeugin, wie mit der leeren Schmuckurne zu verfahren sei, nahm der Angeklagte diese an sich. Kurze Zeit später kehrte er mit der verschlossenen, wie sich später herausstellte vorwiegend mit Sand gefüllten Schmuckurne zurück und übergab sie der Zeugin. Sodann begab sich die Zeugin zum EE Friedhof in Ort3 und führte dort mit den Angehörigen die Beisetzung der Schmuckurne durch.

Nachdem am 18. April 2019 die Aschekapsel zusammen mit einer Einäscherungsbescheinigung vom 16. April 2019 eingetroffen war, legte die Zeugin diese entgegen der Übung, wonach Schmuckurnen und Aschekapseln bis zur Beisetzung im Sarglager aufbewahrt wurden, in einen Schrank in ihrem Büro. Die Hinterbliebenen, die die Asche des Verstorbenen in der Grabstelle wähnten, wurden hiervon nicht in Kenntnis gesetzt. In der Folgezeit trat die Zeugin wegen des nachträglichen Einsetzens der Aschekapsel mehrfach an den Angeklagten heran, der die Zeugin indes hinhielt und untätig blieb.

Die Aschekapsel wurde erst Ende September 2019 nach dem Ausscheiden der Zeugin aus dem Betrieb aufgefunden. Nachdem die Zeugin sich gegenüber dem Mitgeschäftsführer GG offenbart und dieser die Polizei informiert hatte, wurde die Schmuckurne auf dem Friedhof ausgegraben und untersucht, wobei sich deren Befüllung mit vorwiegend Sand, daneben auch einer geringen Beimengung von Rückständen aus einer Kremation, ergab. Die im Schrank der Zeugin vorgefundene Aschekapsel wurde sodann am 29. November 2019 auf Kosten des Bestattungsunternehmens nachträglich beigesetzt.“

Das AG hatte den Angeklagten deswegen wegen Anstiftung zur Störung der Totenruhe und wegen Beihilfe zur Störung der Totenruhe verurteilt. Auf die hiergegen eingelegten Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das LG den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Anstiftung zur Störung der Totenruhe zu einer reduzierten Geldstrafe verurteilt:

„3. Die Strafkammer hat das Verhalten des Angeklagten zutreffend als Anstiftung zur Störung der Totenruhe gemäß §§ 168 Abs. 1 Alt. 1, 26 StGB gewertet.

Die Zeugin CC hat durch ihr Handeln, zu dem sie durch den Angeklagten bestimmt worden ist, unbefugt die Asche eines verstorbenen Menschen aus dem Gewahrsam des Berechtigten weggenommen.

a) Gewahrsam des Berechtigten im Sinne von § 168 Abs. 1 Alt. 1 StGB setzt nicht ungehinderte tatsächliche Herrschaft voraus (vgl. KG, Beschluss v. 20.11.1989, 4 Ws 80/89, bei juris Rz. 8). Vielmehr ist der Begriff des Gewahrsams durch die Konnotation mit dem „Berechtigten“ normativ gebunden (Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen-Stübinger, StGB, 5. Aufl., § 168 Rz. 8). Die Definition des Gewahrsams im Sinne von § 168 Abs. 1 Alt. 1 StGB kann daher nicht völlig mit dem (Sach-)Gewahrsam der §§ 242, 246 StGB gleichgesetzt werden. Gemeint ist in § 168 StGB die Obhut über die Leiche im Sinne eines Aufsichts- oder Bewachungsverhältnisses. Auch im Anwendungsbereich des § 168 StGB setzt dieser aber ein tatsächliches Obhutsverhältnis voraus, das über die bloße Berechtigung zur Totensorge hinausgeht und jedenfalls die faktische Möglichkeit eröffnet, über den Leichnam bzw. die anderen Tatobjekte – etwa die Asche des Verstorbenen – zu disponieren (vgl. LK-Radtke, StGB, 13. Aufl., § 168 Rz. 26; MüKo-Hörnle, StGB § 168 Rz. 13).

Hiervon ausgehend liegt jedenfalls Mitgewahrsam im Sinne des § 168 Abs. 1 Alt. 1 StGB vor, wenn der Leichnam in der Leichenhalle aufgebahrt ist (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss v. 29.11.1974, 2 Ws 239/74, NJW 1975, 271). Gleiches gilt in Bezug auf die Leiche und die Asche des Verstorbenen auch bei einer Überführung in ein Krematorium (vgl. OLG Bamberg, Urteil v. 29.01.2008, 2 Ss 125/07, bei juris Rz. 42).

Vor diesem Hintergrund ist das Landgericht zutreffend von dem Bestehen eines Mitgewahrsams der totensorgeberechtigten Angehörigen des Verstorbenen DD ausgegangen.

b) Die Strafkammer hat auch zu Recht eine Wegnahme im Sinne des § 168 Abs. 1 Alt. 1 StGB bejaht.

Die Wegnahme ist mit dem Bruch des Gewahrsams des Berechtigten vollendet, also sobald dessen tatsächliches Aufsichts- oder Bewachungsverhältnis aufgehoben wird. Auf eine Begründung eines neuen Gewahrsams kommt es nicht an (vgl. LK-Radtke, StGB, 13. Aufl., § 168 Rz. 34). Dabei setzte die Aufhebung des Gewahrsams ebenso wie bei § 242 StGB begrifflich jedoch ein Handeln gegen oder ohne Willen des zum Gewahrsam Berechtigten, der tatsächlich auch den Gewahrsam ausübt, voraus (vgl. LK-Radtke, a.a.O. Rz. 23). Da auch der Bruch von (zumindest gleichrangigem) Mitgewahrsam ausreicht, machen sich auch Angestellte des vom Totensorgeberechtigten beauftragten Bestattungsunternehmens strafbar, wenn sie den Leichnam bzw. die Asche oder Teile davon entfernen (MüKo-Hörnle, StGB, 4. Aufl., § 168 Rz. 17).

Dabei ist im Hinblick auf den normativen, maßgeblich auf den aus dem Obhutsverhältnis abgeleiteten Gewahrsamswillen abstellenden Gewahrsamsbegriff des § 168 StGB nicht maßgeblich, ob und wann die Asche des Verstorbenen tatsächlich – vorliegend etwa durch Verbringen der Asche in den Schrank im Büro der Zeugin – der faktischen Zugriffsmöglichkeit der Totensorgeberechtigten entzogen worden ist. Vielmehr ist entscheidend, wann diese einen entsprechenden Gewahrsamswillen aufgegeben und ob sie dies aus freien Stücken getan haben. Dabei gilt Entsprechendes wie für die Abgrenzung des in Bezug auf den Gewahrsamsbegriff engeren Diebstahlstatbestand zum Betrug. Hier ist anerkannt, dass die Annahme einer Vermögensverfügung in Gestalt einer Duldung nur dann in Betracht kommt, wenn auch die Verschaffung von Alleingewahrsam durch den Täter noch von einem freien, der Handlung des Täters zustimmenden Willen des durch Täuschung zur Einräumung von Mitgewahrsam veranlassten Opfers getragen wird. Findet der Ausschluss des Berechtigten von der faktischen Sachherrschaft ohne oder gegen dessen Willen statt, liegt Wegnahme vor (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.1986, 2 StR 537/86, bei juris Rz. 5).

Vorliegend hatten die Totensorgeberechtigten aber nach den Feststellungen überhaupt keine Kenntnis davon, dass mit der Beisetzung der von ihnen ausgewählten Schmuckurne nicht ihr bislang bestehender Mitgewahrsam am Körper des Verstorbenen – nunmehr zusammen mit der Friedhofsverwaltung (vgl. MüKo-Hörnle, StGB, 4. Aufl., § 168 Rz. 13; Kindhäuser/Neumann/ Paeffgen-Stübinger, StGB, 5. Aufl., § 168 Rz. 9) – fortgesetzt werden sollte, sondern stattdessen der Leichnam des Verstorbenen sich noch im Krematorium befand und die Asche nach Durchführung der Kremierung zumindest vorübergehend in den Räumlichkeiten des Bestattungsinstituts verbleiben sollte. Ihr Gewahrsamswille bezog sich nunmehr allein auf den Inhalt der beigesetzten Schmuckurne. Eine freiwillige Aufgabe der den Gewahrsam im Sinne des § 168 Abs. 1 Alt. 1 StGB kennzeichnenden Dispositionsbefugnis in Bezug auf Leichnam und Asche des Verstorbenen und damit angesichts der gebotenen normativen Betrachtung des Mitgewahrsams im Sinne dieser Vorschrift (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss v. 29.11.1974, 2 Ws 239/74, NJW 1975, 271) lag damit nicht vor.

c) Da die Zeugin CC als Auszubildende auf Anweisung des Angeklagten handelte, der als Geschäftsführer ihr gegenüber weisungsbefugt war, hat der Angeklagte sie auch im Sinne von § 26 StGB zu der Tat bestimmt.

d) Dass eine Vollendung der Tat bereits mit der Beisetzung der vermeintlich die Asche des Verstorbenen enthaltenden Schmuckurne und nicht – wie vom Landgericht angenommen – erst mit der nachfolgenden Aufbewahrung der Asche im Bestattungsunternehmen eingetreten ist, steht einer Aufrechterhaltung des Schuldspruchs nicht entgegen. Die prozessuale Tatidentität wird dadurch nicht berührt; dass der Angeklagte sich anders als geschehen verteidigt hätte, ist nicht erkennbar.“

Auch Zahngold ist „Asche“, oder: Klausurproblem erledigt

entnommen wikimedia.org Urheber RosarioVanTulpe

entnommen wikimedia.org
Urheber RosarioVanTulpe

Immer wieder gibt es Meldungen in der Tagespresse bzw. hört man davon, dass aus den Verbrennungsresten von eingeäscherten Verstorbenen Zahngold „entwendet“ worden ist (vgl. u.a. hier: Am Ende bleiben Rauch, Asche und Zahngold). Zu der rechtlichen Problmatik gibt es sogar eine Musterklausur unter dem Titel: „Der Nürnberger Zahngold-Fall“. Und „Bestatterzeitung.de“ berichtet über „Das versteckte Geschäft mit dem Zahngold„.

In der rechtlichen Diskussion geht es um die Frage: Welche Straftatbestände sind ggf. erfüllt: Diebstahl (§ 242 StGB), Verwahrungsbruch (§ 133 StGB)  und ggf. vor allem auch Störung der Totenruhe (§ 168 StGB). Besser formuliert wäre mit: „in der rechtlichen Diskussion ging…“, denn die Frage hat es vor kurzem bis zum BGH geschafft und der hat dazu im BGH, Beschl. v. 30.06.2015 – 5 StR 71/15 Stellung genommen. Der BGH hält die Frage für so wichtig, dass die Entscheidung in BGHSt aufgenommen worden ist.

Der BGH geht davon aus, dass das Entwenden von Zahngold aus den Verbrennungsresten der zuvor eingeäscherten Verstorbenen auch den Tatbestand der Störung der Totenruhe (§ 168 StGB) erfüllen kann:

„Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Entwen-den von Zahngold den Tatbestand der Störung der Totenruhe (§ 168 StGB) erfüllt. Insbesondere handelt es sich bei Zahngold um „Asche“ im Sinne des § 168 Abs. 1 StGB. Denn zu dieser gehören nach zutreffender Ansicht sämtliche nach der Einäscherung verbleibenden Rückstände, d.h. auch die vormals mit einem Körper fest verbundenen fremden Bestandteile, die nicht verbrennbar sind (vgl. OLG Bamberg, NJW 2008, 1543; OLG Hamburg, NJW 2012, 1601; Dippel in LK-StGB, 12. Aufl., § 168 Rn. 40; Kuhli in Matt/Renzikowski, StGB, 2013, § 168 Rn. 7; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 168 Rn. 2; Lenckner/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 168 Rn. 3).“

Der BGH stellt in der doch recht umfangreichen Entscheidung ab auf

  • den allgemeinen Sprachgebrauch, mit dem die Auslegung zu vereinbaren sei,
  • darauf, dass die Auslegung nicht die äußerste Wortlautgrenze überschreitet
  • und auf den Willen des historischen Gesetzgebers,
  • sowie auf auch auf systematische und teleologische Erwägungen .

Damit wäre ein „Klausurproblem“ mal wieder erledigt.

Ein teuflischer Spaß (?) – jedenfalls (wieder) Friede seiner Asche

In der letzten Woche ist hierhier und hier über das Verschwinden der Urne von Fritz Teufel in Berlin berichtet worden. Jetzt berichten die Gazetten, dass die Urne wieder ausgetaucht ist, und zwar am Grab von Rudi Dutschke, angeblich mit einem Zettel, auf dem es heißen soll: „Was ein teuflischer Spaß, Rudi Dutschke hätte das gefallen.“ Aus Ermittlerkreisen heißt es, das Zitat laute sinngemäß: „Ein teuflischer Spaß ist beendet. Fritz hätte bei so einer Aktion auch seine Freude gehabt“ (vgl. hier).

Na ja, ob es ein Spaß war? Wohl kaum, auch kein teuflischer. Oder doch: „Freude seiner Asche„? Jedenfalls aber wohl wieder: Frieden seiner Asche.