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Verkehrsrecht I: Kleine Steine von der Brücke werfen, oder: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr?

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Heute stelle ich dann – seit längerem mal wieder – verkehrsrechtliche Entscheidungen vor.

Den Opener macht der BGH, Beschl. v. 09.12.2021 – 4 StR 167/21, mal wieder zu § 315 StGB, also gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr.

Das LG hat den Angeklagten wegen u.a. wegen eines vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr iverurteilt, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen: Am Abend des Tattags hatte sich der Angeklagate noch bei Tageslicht auf einer Brücke aufgehalten, die in etwa sieben Metern Höhe über eine Bundesstraße führt. Er griff aus einem Schotterhaufen mit einer Hand insgesamt 14 teilweise scharfkantige Schottersteine von unter­schiedlicher Größe zwischen 3 x 3 cm bis 4 x 7 cm und einem Gesamtgewicht von etwa 470 g, um sie von der Brücke auf einen die Bundesstraße befahrenden Pkw fallen zu lassen. Dabei ging es ihm darum, Wut und Frust auf seine Mitpatienten einer stationären Alkoholent­wöhnungstherapie durch den „Aufprall der Steine auf einem Fahrzeugdach und damit etwaig einher­gehende Beschädigungen“ abzubauen. Da er keine Menschen töten, ver­letzen oder gefährden wollte, nahm er keine großen Steine.

Der Angeklagte beobachtete ein mit einer Geschwindigkeit von ca. 70 bis 80 km/h herannahendes Fahrzeug und ließ die Steine fallen. Die Steine trafen nur das Dach des Pkw und verursachten dort einen Sachschaden von etwa 4.800 EUR. Die mit dem Aufprall verbundenen Geräusche veranlassten den erschrockenen Geschädigten nicht zu einem unkontrollierten Fahrmanöver.

Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der StA, die beanstandet hat, dass der Angeklagte nicht auch wegen versuchten Mordes verurteilt worden ist, blieb erfolglos. Da das Urteil aber einen Fehler zum Nachteil des Angeklagten enthielt, hat der BGH aufgehoben.

Die Ausführungen des BGH zum Tötungsvorsatz überlasse ich dem Selbstlesen. Zu § 315b StGB führt der BGH aus:

„3. a) Soweit die Revision darüber hinaus beanstandet, das Landgericht habe mit unzureichender Begründung die Verwirklichung des Qualifikationstatbestands des vorsätzlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in der Variante der beabsichtigten Herbeiführung eines Unglücksfalls gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB verneint, zeigt dies ebenfalls keinen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf. Wie noch darzustellen sein wird, scheidet nach den Feststellungen des Landgerichts bereits die Vollendung des Grundtatbestands des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB aus.

b) Unbeschadet dessen ist selbst eine möglicherweise festzustellende Absicht des Angeklagten, durch den Abwurf der Steine (ausschließlich) Schäden am Dach des Fahrzeugs zu verursachen, nicht geeignet, die qualifizierende Voraussetzung des Handelns in der Absicht, einen Unglücksfall im Sinne des § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB herbeizuführen, zu begründen.

aa) Dieser Qualifikationstatbestand ist nur verwirklicht, wenn es dem Täter darauf ankommt, einen Unglücksfall dadurch herbeizuführen, dass sich die von ihm verursachte konkrete Gefahr verwirklicht (vgl. Wolters in SK-StGB, 9. Aufl., § 315 Rn. 13; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 315 Rn. 22). Zwar muss seine Absicht nicht auf die Herbeiführung eines Personenschadens gerichtet sein, vielmehr reicht auch die Absicht aus, einen Sachschaden zu verursachen (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 – 4 StR 700/98, BGHSt 45, 211, 218; LK-StGB/König, 13. Aufl., § 315 Rn. 113). Erforderlich ist aber stets, dass sich nach der Vorstellung des Täters durch seine Tathandlung im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB eine verkehrsspezifische Gefahr verwirklicht (vgl. MüKo-StGB/Pegel, 3. Aufl., § 315 Rn. 91; Renzikowski in Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 315 Rn. 24).

Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB, der an den jeweils verwirklichten Grundtatbestand anknüpft. Nach der Rechtsprechung gebietet der Schutzzweck des hier maßgeblichen Grundtatbestands des § 315b Abs. 1 StGB indes eine restriktive Auslegung der Norm, als unter einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder Sachen von bedeutendem Wert nur verkehrsspezifische Gefahren verstanden werden dürfen (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 124). Mithin muss, um den vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr im Sinne des § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB zu qualifizieren, auch die Absicht des Täters darauf gerichtet sein, dass sich gerade eine von ihm herbeigeführte verkehrsspezifische Gefahr verwirklicht.

bb) Eine verkehrsspezifische Gefahr setzt voraus, dass die eingetretene konkrete Gefahr – jedenfalls auch – auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen ist. Dies ist der Fall, wenn eine der in § 315b Abs. 1 StGB bezeichneten Tathandlungen über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen Verkehrssituation geführt hat, in der eines der genannten Individualrechtsgüter im Sinne eines „Beinaheunfalls“ so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2017 – 4 StR 53/17 Rn. 5 mwN). Der Tatbestand des § 315b Abs. 1 StGB kann aber auch erfüllt sein, wenn die Tathandlung – wie hier – unmittelbar zu einer konkreten Gefahr oder Schädigung führt. In diesem Fall ist eine verkehrsspezifische Gefahr aber nur zu bejahen, wenn der Fortbewegung des von dem Eingriff betroffenen Fahrzeugs in einer Weise entgegengewirkt wird, dass gerade infolge der Dynamik des Straßenverkehrs eine konkrete Gefahr für die Fahrzeuginsassen oder das Fahrzeug entsteht (grundlegend BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 124; vgl. ferner BGH, Beschlüsse vom 14. September 2021 – 4 StR 21/21 Rn. 6; vom 12. Januar 2021 – 4 StR 326/20 Rn. 3; vom 30. August 2017 – 4 StR 349/17 Rn. 3; vom 16. Juli 2015 – 4 StR 117/15 Rn. 5 und vom 4. November 2008 – 4 StR 411/08 Rn. 5 f.).

cc) Eine mögliche Absicht des Angeklagten, durch den Abwurf der Steine lediglich das Dach des passierenden Fahrzeugs zu beschädigen, erfüllt diese Anforderungen nicht, da sich dieses Vorstellungsbild nicht auf die Verwirklichung einer verkehrsspezifischen Gefahr richtet, sondern sich in der bloßen Herbeiführung einer Sachbeschädigung erschöpft. Denn der vorgestellte Schadenseintritt ist nicht auf die für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen, er unterscheidet sich vielmehr nicht von einer Sachbeschädigung eines abgestellten Fahrzeugs. Die Dynamik des zu schädigenden Fahrzeugs wirkt sich im Fall einer ausschließlich beabsichtigten Beschädigung des Fahrzeugdachs gerade nicht auf den Schadenseintritt aus (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 125; Beschluss vom 8. Juni 2021 – 4 StR 68/21 Rn. 7 ff.).

c) Auch im Übrigen hat das Landgericht mit rechtsfehlerfreier Begründung ausgeschlossen, dass der Angeklagte mit seinem Steinwurf die Verwirklichung verkehrsspezifischer Gefahren und damit die Herbeiführung eines Unglücksfalls im Sinne des § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB beabsichtigte. Dies gilt, wie bereits ausgeführt, zum einen mit Blick auf die nach den Feststellungen nicht einmal von einem bedingten Vorsatz erfasste Herbeiführung eines Unfalls. Zum anderen kam es dem Angeklagten nach den Feststellungen auch nicht darauf an, (auch) die Frontscheibe des Pkw zu beschädigen, wo sich beim Aufprall der Steine die Dynamik des Straßenverkehrs ausgewirkt hätte. Insoweit hat die Strafkammer mit tragfähiger Begründung, u.a. dem Standort des Angeklagten auf der dem Geschädigten abgewandten Seite der Brücke, dessen zielgerichteten Willen verneint, die Scheibe zu treffen.

4. Der Angeklagte handelte ebenso wenig in der Absicht, durch einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr eine andere Straftat zu ermöglichen (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1b StGB). Die vorgenommene Handlung muss – anders als festgestellt – das Mittel zur Ermöglichung der Tat, sie darf nicht die Tat selbst sein (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 1995 – 4 StR 47/95, juris Rn. 3). Die Tathandlung des Angeklagten liegt im Fallenlassen der Steine. Sie ist indes zugleich die Schädigungshandlung im Rahmen von § 303 StGB.“

Steinewerfer/Steinewerfen mal anders – Früh übt sich? Hoffentlich nicht!

Wir kennen die „Steinewerferproblematik“ meist nur in Zusammenhang mit dem „anderen eben os gefährlichen Eingriff“ i.S. des § 315b StGB  – gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr. Das OLG Koblenz hat nun aber mal in einer PM v. 21.06.2012 über eine andere Art des Steinewerfens bzw. andere Steinewerfer berichtet. Nämlich über Kita-Kinder, die vom Außengelände der Kita Steine auf ein parkendes Fahrzeug geworfen haben. Wegen der Schäden war ein verfahren beim OLG Koblenz anhängig. Dieses hat die Stadt Bitburg wegen Verletzung der Aufsichtspflicht in Haftung genommen. In der PM heißt es:

Die Stadt Bitburg muss dem Inhaber einer ortsansässigen Firma Schadensersatz wegen der Beschädigung seines Autos durch Kindergartenkinder zahlen. Dies hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz mit heute verkündetem Urteil entschieden (Urteil vom 21. Juni 2012, Az.: 1 U 1086/11*). Im Rahmen der mündlichen Urteilsbegründung erklärte der Vorsitzende des Senats, die Erzieherinnen der betreffenden Kita hätten in dem speziellen Einzelfall ihre Aufsichtspflicht verletzt.Im Juni 2010 stellte der Kläger, der Inhaber einer ortsansässigen Firma ist, sein Fahrzeug am Rande des Außenbereichs einer Kindertagesstätte ab und begab sich in das anliegende Gebäude. Auf dem Freigelände der Kita hielt sich u.a. eine Gruppe von acht Kindern auf, die von einer Erzieherin betreut wurden. Drei Kinder verließen die Gruppe und begaben sich in Richtung des Außenzaunes, der zur unmittelbar angrenzenden Parkfläche durchlässig ist. Sie nahmen Steine in die Hand und warfen diese gegen das parkende Auto des Klägers. Es handelte sich um so viele Steine, dass insgesamt 21 Dellen im Fahrzeug festgestellt wurden.

Der Vorsitzende des 1. Zivilsenats betonte in der mündlichen Urteilsbegründung, eine permanenten und lückenlose Überwachung der Kinder „auf Schritt und Tritt“ sei in einer Kita nicht zu gewährleisten und auch nicht geboten. Für die Frage der Aufsichtspflichtverletzung müssten immer die Besonderheiten des einzelnen Falles in den Blick genommen werden, wie etwa die Eigenheiten der jeweiligen Kinder, die örtlichen Gegebenheiten und die Aufsichtssituation. Die Beschaffenheit des Freigeländes (lockere große Kieselsteine, durchlässiger Zaun zur unmittelbar angrenzenden Parkfläche) habe in diesem speziellen Fall ein konkretes Gefahrenpotential für fremdes Eigentum entstehen lassen. Wenn sich dann drei spielende Kinder aus ihrer Gruppe eigenmächtig in Richtung Zaun entfernten, dürften diese nicht – wie hier – länger andauernd unbeobachtet bleiben. Ein Zeuge hatte zudem angegeben, die Steine seien „wie bei einem Maschinengewehr“ auf das Auto geprallt. Die Erzieherinnen auf dem Außengelände hingegen hatten bekundet, nichts von alledem mitbekommen zu haben. In der Gesamtschau all dieser Umstände sah der Senat eine Verletzung der Aufsichtspflicht und verurteilte die Stadt zum Ersatz des Schadens.

Zudem hat der Senat gemäß den Ausführungen des Vorsitzenden entschieden, in einem solchen Fall der Amtshaftung müsse grundsätzlich die Kommune beweisen, dass die Erzieherinnen ihre Aufsichtspflicht erfüllt haben. Diese rechtliche Frage ist in der deutschen Rechtsprechung umstritten. Andere Obergerichte sehen den Geschädigten in der Pflicht, auch die Verletzung der Aufsichtspflicht beweisen zu müssen. Der Senat hat wegen dieser Rechtsfrage die Revision gegen das Urteil zugelassen. Die Stadt Bitburg kann daher entscheiden, ob sie die Sache vor dem Bundesgerichtshof nochmal in der Revision überprüfen lassen will.