Schlagwort-Archive: Standardisierung

OWi I: Poliscan FM 1 ist weiterhin standardisiert, oder: Das KG schaut in die Glaskugel des BVerfG?

Bild von nvodicka auf Pixabay

Und heute am Donnerstag dann dreimal OWi, und zwar zweimal OLG, einmal AG.

Ich mache den Opener mit dem KG, Beschl. v. 08.12.2023 – 3 ORbs 229/23 -, in dem das KG noch einml/mal wieder zur Standardisierung von Poliscan FM 1 Stellung nimmt.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschindigkeitsüberschreitung verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Nach den Feststellungen Urteilsfeststellungen hat der Betroffene einen PKW auf öffentlichem Straßenland geführt und dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 31 km/h nach Toleranzabzug überschritten. Die Geschwindigkeit von 64 km/h hat ein Geschwindigkeitsüberwachungsgerät vom Typ Poliscan FM 1 gemessen.

In der Hauptverhandlung hatte die Verteidigerin einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gestellt und ihn wie folgt begründet:

„Das Sachverständigengutachten wird ergeben,

– dass nicht festgestellt werden kann, dass zur Ermittlung der Geschwindigkeit nur Messwerte verwendet worden sind, die innerhalb des zugelassenen Bereiches (maximal 50 m, minimal 20 m) entstanden sind;

– dass anhand der gespeicherten Daten nicht bestätigt werden kann, dass die gemessene Geschwindigkeit 64 km/h (nach Abzug der Toleranz 3 km/h) betragen hat.

Es kann nicht von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden. Es ist weder sichergestellt, noch nachgewiesen, dass die Bestimmung der Geschwindigkeit ausschließlich unter Verwendung von Messwerten im zugelassenen Bereich (max. 50 m. min. 20 m.) erfolgte.

In der XML-Datei sind bei „PositionFirstMeasurement“ und „PositionLastMeasurement“ bei der verwendeten Softwareversion 4.4.9. fixe Werte hinterlegt – nämlich als Uhrzeit jeweils der Beginn der Messreihe und als Entfernung die fixen Werte aus der Bauartzulassung. Es liegt eine gezielte Datenvernichtung vor. Es geht dabei nicht um die Frage der Speicherung aller Rohmessdaten, sondern um den Nachweis, dass das Messgerät im zugelassenen Messbereich gearbeitet hat“.

In dem Zusammenhang hatte die Verteidigerin auf einen Beschluss des KG vom 24.01.2020 verwiesen, welcher denktheoretisch die Möglichkeit einer staatlich veranlassten Vereitelung der Rekonstruktion in den Raum gestellt, sich aber mangels entsprechender Anhaltspunkte weder zum Vorliegen noch zu möglichen Konsequenzen einer solchen willkürlichen Vereitelung verhalten habe.

Das AG hat den Antrag abgelehnt, da die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei. Es stützt seine Verurteilung u.a. auf die Messung, die ordnungsgemäß zustande gekommen sei. Es handle sich um ein standardisiertes Messverfahren.

Der Betroffene hat Rechtsbeschwerde eingelegt, die keinen Erfolg hatte. Da der Beschluss recht umfangreich begründet ist, stelle ich hier nur die Leitsätze ein, und zwar:

    1. Die fehlende Erfassung des Messbereichs bei der konkreten Messung mit der Geschwindigkeitsmessverfahren Poliscan FM1 mit der Softwareversion 4.4.9. – einer sog. Hilfsgröße – führt ebenso wie die fehlende Speicherung der Rohmessdaten nicht zur Unverwertbarkeit des Messergebnisses (Anschluss an OLG Zweibrücken, Beschluss vom 1. Dezember 2021 – 1 OWi 2 SsBs 100/21).
    2. Die Veränderung der Gerätesoftware lässt die Standardisierung in der Regel nicht entfallen.
    3. Dem Beschwerdeführer steht weder ein einfachgesetzlicher noch gar ein verfassungsrechtlich verankerter Anspruch auf die Generierung von Beweismitteln – hier: die Erfassung von Messgrößen im Messbereich – zu.
    4. Auch die mit der aktualisierten Gerätesoftware gewonnenen Messdaten unterliegen nicht einem (ungeschriebenen) Beweisverwertungsverbot. Ein solches käme ohnedies nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Rechtsverstößen in Betracht, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch unberücksichtigt geblieben sind.

Den Rest dann bitte selbst lesen. Und wer das tut, stößt sich vielleicht auch an einer Formulierung/Passage, wenn es nämlich heißt:

„bb) Dieser Rechtsprechung ist das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Juni 2023 – 2 BvR 1167/20 –, juris) auch nicht entgegengetreten.

Mit der dem Verfahren zugrundeliegende Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör und sein Rechts auf ein faires Verfahren durch die Nichtspeicherung von Rohmessdaten des Geschwindigkeitsmessgerätes LEIVTEC XV 3 verletzt seien. Die nachträgliche Prüfung der Messung sei dadurch unmöglich. Er könne seine Verteidigerrechte nicht wahrnehmen und die Handhabung konterkariere den Grundsatz der Waffengleichheit.

Zwar ist die Verfassungsbeschwerde u.a. wegen nicht hinreichender Substantiierung nicht zur Entscheidung angenommen worden, aber den Beschlussgründen ist zu entnehmen, dass die Nichtspeicherung nur dann problematisch sei, wenn dem Beschwerdeführer ein Anspruch aufgrund eines verfassungsrechtlich verankerten Rechts auf Schaffen bzw. Vorhalten potentieller Beweismittel zur Wahrung von Verteidigungsrechten zustünde. Das Gericht hebt erneut hervor, dass das standardisierte Messverfahren und die damit verbundenen reduzierten Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung, Beweiswürdigung und Darlegungserfordernissen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden sind. Es betont zugleich, dass der Beschwerdeführer nur aufgrund ordnungsgemäß zustande gekommener Messergebnisse verurteilt werden darf und ihm ein Einsichts- und Auskunftsanspruch gegen die Behörden hinsichtlich anlässlich der Messung entstandener, aber nicht zu den Akten gelangter Daten zusteht (vgl. grundlegend BVerfG NJW 2021, 455).

Dieser Anspruch des Betroffenen wird nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „gewahrt, wenn ihm die Möglichkeit eröffnet ist, das Tatgericht im Rahmen seiner Einlassung auf Zweifel aufmerksam zu machen und einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Durch das Stellen von Beweisanträgen, Beweisermittlungsanträgen und Beweisanregungen hat der Betroffene ausreichende prozessuale Möglichkeiten, weiterhin auf Inhalt und Umfang der Beweisaufnahme Einfluss zu nehmen“ (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2023 a.a.O.; Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 15. September 2023 – Vf. 20-VI-21 –, juris).

Der Anspruch umfasst aber nicht ein Recht auf Erfassen und Speicherung von bei der Messung entstandener Daten zwecks nachträglicher Überprüfung bzw. Plausibilisierung durch die Verteidigung.“

Na? Ja, ist in meinen Augen schon putzig. Da nimmt das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Und dann fängt man als OLG an, die – nicht tragende (!!!) – Begründung des BVerfG auszulegen und anzunehmen, was das BVerfG wohl gemeint hat. Ich habe zumindest Bedenken, wenn sich OLG als Wahrsager/Glaskugelgucker betätigen.

Brückenabstandstandsmessverfahren/VAMA ist standardisiert, oder: Welche Kamera , das ist egal.

© Steffen Eichner – Fotolia.com

Vor einiger Zeit/einigen Jahren ist bei den Abstandsverstößen die Diskussion um die Zuverlässigkeit der Messung mit dem Brückenabstandsmessverfahren mit dem Charaktergenerator und Timer JVC/Piller, Typ CG-P50-E geführt. Einige Gerichte habe, Messungen mit dem Messverfahren (damals) als nicht standardisiert angesehen, wenn nicht die „richtige“ Kamera verwendet worden ist. Zu der Diskussion musste jetzt noch einmal das AG Landstuhl im AG Landstuhl, Urt. v.06.02.2017 – 2 OWi 4286 Js 12911/16 – Stellung nehmen. Das AG sagt dazu:

Die Messung mit dem Brückenabstandsmesssystem mit dem Charaktergenerator und Timer JVC/Piller, Typ CG-P50-E ist ein sog. standardisiertes Messverfahren. Und zur Kamera:

„Der Betroffene hat vorgerichtlich und im Termin unter Berufung auf die Entscheidung OLG Bamberg (DAR 2008, 98) die Eignung der Messung als standardisiert angezweifelt, da vorliegend keine JVC, sondern eine Sanyo-Kamera zum Einsatz kam. Der zugehörige Schriftsatz As77 wurde nach entsprechendem Beschluss verlesen.

Dieser Einwand verfängt nicht. Zum einen beruht die Standardisierung des Messsystems einzig auf dem Charaktergenerator (OLG Bamberg, zfs 2013, 290), der im Zusammenspiel mit einer Kamera geeicht sein muss, was vorliegend der Fall war. Zum anderen beruhte die im Jahr 2007/2008 geführte Diskussion ausschließlich auf dem Problem, ob so genannte PAL-Kameras zum Einsatz kamen oder nicht (vgl. Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 3. Aufl., Rn. 489 m.w.N.). Nachdem hier eine solche Kamera zum Einsatz kam (vgl. Auswerteprotokoll As9), stellt sich die Frage nach möglichen Messabweichungen gar nicht.“

Thema also erledigt.