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So eine Art „Doktorspiele“ oder: Sexuelle Handlungen: Erheblichkeit und Vornahme gegen Entgelt

© Dan Race Fotolia .com

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Für die amtliche Sammlung BGHSt bestimmt ist das BGH, Urt. v. 10.03.2016 – 3 StR 437/15. In ihm geht es (mal wieder) um die Strafbarkeit sexueller Handlungen, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen des LG:

„Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen trat bei dem Angeklagten bereits im Kindesalter eine Vorliebe für die Durchführung körperlicher Untersuchungen auf. Die Vorstellung, im Rahmen einer pseudomedizinischen Untersuchung einen männlichen Jugendlichen insbesondere im Genitalbereich zu berühren, sexuelle Funktionen zu betrachten und einen Blasenkatheter in die Harnröhre oder eine Analsonde bzw. einen Finger in den Anus der anderen Person einzuführen, erregt ihn sexuell. Um solche Handlungen vornehmen und seine sexuellen Bedürfnisse befriedigen zu können, nahm der Angeklagte über das Internet Kontakt zu einer Vielzahl von männlichen jugendlichen Personen auf. Diesen bot er die Durchführung körperlicher Untersuchungen an. Hierbei gab er wahrheitswidrig vor, eine sportmedizinische Studie zu erstellen und selbst Rettungssanitäter zu sein. Um einen materiellen Anreiz zu schaffen, versprach der Angeklagte den Teilnehmern der Studie die Zahlung eines Entgelts. Dieses sollte zwischen 20 € und 100 € betragen und sich am Umfang der von dem Angeklagten durchgeführten Untersuchung ausrichten. Den Höchstbetrag wollte er zahlen, wenn der Teilnehmer zu allen Untersuchungen einschließlich der Abgabe einer Spermaprobe bereit war.

Zwischen dem 19. März 2013 und dem 13. April 2014 kam es vor diesem Hintergrund in elf Fällen zu „Untersuchungen“ des Angeklagten an Jugendlichen im Alter zwischen vierzehn und siebzehn Jahren. Diese gingen aufgrund der von dem Angeklagten entworfenen Legende irrig davon aus, dass es sich bei ihm um einen entsprechend qualifizierten Rettungssanitäter handele, der die vorgegebene Studie durchführe. An den zum Teil vollständig entkleideten Personen nahm der Angeklagte diverse, jeweils medizinisch nicht indizierte Untersuchungshandlungen vor: Mit Einmalspritzen injizierte er Kochsalzlösungen in die Harnröhre und den Hodensack, legte Blasenkatheter, führte seinen Finger und eine Analsonde in den After ein, betastete die Hoden, vermaß den Penis und schob dessen Vorhaut zurück. Im Fall 10 der Urteilsgründe verursachte er mittels eines sog. TENS-Geräts schmerzhafte Stromstöße im Unterbauch des vierzehnjährigen M.; sodann nahm er dessen Penis in die Hand und rieb mit seiner Hand daran, um eine Erektion zu bewirken.“

Das LG hat darin u.a. sexuellen Missbrauch von Jugendlichen gesehen und deswegen verurteilt. Der BGH hat das bestätigt. Die Leitsätze seiner Entscheidung, die recht umfangreich begründet ist:

  1. Das Merkmal der Erheblichkeit im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB setzt nicht voraus, dass das Opfer den sexuellen Charakter der zu bewertenden Handlung erkennt (Bestätigung und Fortführung von BGH, Urteil vom 24. September 1980 – 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336).
  2. Sexuelle Handlungen werden im Sinne von § 182 Abs. 2 StGB gegen Entgelt vorgenommen, wenn Täter und Opfer spätestens während des sexuellen Kontakts darüber einig sind, dass der Minderjährige durch die Entgeltvereinbarung zu seinem Sexualverhalten wenigstens mitmotiviert wird. Über diese Verknüpfung hinaus ist nicht erforderlich, dass er im Tatzeitpunkt den sexuellen Charakter der von oder an ihm vorgenommenen Handlungen erfasst.

 

Sexueller Missbrauch von Kindern durch Übermittlung sexueller Handlungen über Webcam und Internet

Das Landgericht München I hat den Angeklagten am 15. Dezember 2008 wegen fünf tateinheitlich begangener Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern in weiterer Tateinheit mit der Verbreitung pornographischer Darbietungen durch Teledienste zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten. Nach den Urteilsfeststellungen trat der mehrfach wegen Sexualdelikten vorbestrafte Angeklagte über das Internet mit fünf Kindern aus Belgien in Kontakt. Während dieser Verbindung wurden Live-Bilder des Angeklagten und der Kinder mittels Webcam übertragen. Der Angeklagte äußerte diesen gegenüber, dass er sie „ficken“ wolle. Eines der Kinder, ein Mädchen, drehte daraufhin die Webcam weg und teilte dem Angeklagten mit, dass sie erst zwölf Jahre alt sei. Daraufhin schrieb der Angeklagte zurück: „Ist egal wie alt ihr seid, willst du dich ausziehen? Ich will dich ficken.“ Anschließend richtete der Angeklagte seine Webcam auf sein entblößtes Glied und führte Onanierbewegungen durch, um sich sexuell zu erregen, wobei es ihm darauf ankam, dass die Kinder seine Handlungen am Bildschirm wahrnahmen.

Der BGH hat die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen. Auch wenn sich der Angeklagte und die fünf Kinder nicht in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander befunden haben, so konnten die Opfer, die mit dem Angeklagten in einer Interaktion standen, dessen entblößtes Glied und die Onanierbewegungen aufgrund der simultanen Bildübertragung mittels Webcam und Internet am Bildschirm ihres Computers unmittelbar wahrnehmen. Die Strafkammer ist deshalb zu Recht von einer Strafbarkeit des Angeklagten nach § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB ausgegangen, da im Hinblick auf den Willen des Gesetzgebers kein Zweifel daran besteht, dass Kinder zum Schutz ihrer ungestörten Gesamtentwicklung vor solchen Wahrnehmungen umfassend bewahrt werden sollen.

Beschl. v. 21.04.2009 – 1 StR 105/09