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Strafzumessung III: Beurteilung der Schuldschwere, oder: Liegen noch schädliche Neigungen vor?

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Und als dritte und letzte Entscheidung des Tages stelle ich den OLG Brandenburg, Beschl. v. 28.07.2022 – 2 OLG 53 Ss 43/22 – vor. Er nimmt Stellung zu den Voraussetzungen der Verhängung von Jugendstrafe (§ 17 JGG).

Das AG Fürstenwalde/Spree hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen versuchten Diebstahls im besonders schweren Fall zu einer Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat schon aus anderem Grund (teilweise) Erfolg und führt schon deshalb zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.Das OLG beanstandet die Strafzumessungserwägungen des AG aber auch darüber hinaus:

„Darüber hinaus sind die Strafzumessungserwägungen des Amtsgerichts im Übrigen auch nicht frei von Rechtsfehlern.

a) Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs ist zu bedenken, dass auch Ausführungen dazu erforderlich sind, ob und warum für den Angeklagten vom Vorliegen schädlicher Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG nicht nur im Zeitpunkt der vorliegenden Taten, sondern trotz zuvor in Rumänien verbüßter Strafhaft und zwischenzeitlicher Untersuchungshaft auch noch im Zeitpunkt des Urteilserlasses auszugehen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2016, – 3 StR 473/15 – m. w. N., juris). Frühere Straftaten, mit denen schädliche Neigungen begründet werden, sind unter konkreter Darstellung der ihnen zugrunde liegenden Feststellungen mit Blick auf die Erforderlichkeit der Verhängung einer Jugendstrafe zu bewerten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 26. Oktober 2021 – 4 Rvs 109/21, BeckRS 2021, 33763 Rn. 6 m. w. N.). Das angefochtene Urteil legt aber weder eindeutig dar, ob das erkennende Jugendschöffengericht das Vorliegen schädlicher Neigungen annimmt, noch werden dem vorliegend angefochtenen Erkenntnis vorausgehende Verurteilungen, insbesondere aus Rumänien, hinsichtlich der dortigen Feststellungen konkret und damit revisionsrechtlich überprüfbar dargelegt.

b) Das Jugendschöffengericht stützt die Verhängung der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld maßgeblich darauf, dass der Angeklagte sich eines „Kapitalverbrechens“ (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1a) StGB) schuldig gemacht habe. Bei der Beurteilung der Schuldschwere i. S. v. § 17 Abs. 2 2. Alt. JGG kommt jedoch dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung im Strafgesetzbuch als Verbrechen keine selbständige Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Maßgeblicher Anhaltspunkt ist die innere Tatseite. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist nur insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und das Maß der Schuld gezogen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 – 3 StR 353/11, NStZ 2012, 164).

c) Auch die konkrete Strafzumessung begegnet rechtlichen Bedenken, weil aus den Urteilsgründen nicht zweifelsfrei zu erkennen ist, dass sich das Jugendschöffengericht bei der Bemessung der Höhe der Freiheitsstrafe am Erziehungsgedanken orientiert hat (§ 18 Abs. 2 JGG). In den Urteilsgründen findet der Erziehungsgedanke lediglich formelhaft Erwähnung. Nach § 18 Abs. 2 JGG ist die Höhe der Jugendstrafe in erster Linie an erzieherischen Gesichtspunkten auszurichten. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2015 – 3 StR 581/14, NStZ-RR 2015, 154 f., m. w. N.; OLG Celle, Beschluss vom 26. Juni 2012 – 32 Ss 78/12, NStZ, 2012, 576 f.). Allerdings darf der Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs bei besonders schwerem Unrecht nicht völlig hinter dem Erziehungsgedanken zurücktreten (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl. § 46 Rn. 18 m. w. N.); dies gilt insbesondere bei schweren Gewaltdelikten (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – 3 StR 436/21, BeckRS 2022, 5043 Rn. 16 f.). Welches Gewicht den einzelnen Zumessungserwägungen zukommt ist vom Einzelfall abhängig. Das Tatgericht hat dazu eine umfassende Abwägung vorzunehmen (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 17 m. w. N.).

d) Soweit – gegebenenfalls gemäß § 31 Abs. 1 JGG – eine (Einheits-) Jugendstrafe zu bilden ist, kommt dem Vorliegen eines minder schweren Falles (hier gemäß § 250 Abs. 3 StGB) für die Bewertung des Unrechts hinsichtlich Fall II. Nr. 1 der Urteilsgründe jedenfalls Bemessungsrelevanz zu (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 18; Beschluss vom 17. Februar 1989 – 3 StR 3/89, BeckRS 1989, 31106193; Eisenberg/Kölbel, JGG, 23. Aufl., § 18 Rn. 24 f., m. w. N.), sodass dessen Voraussetzungen zu prüfen und gemäß § 267 Abs. 3 Satz 2 StPO im Urteil darzustellen sind (vgl. Eisenberg/Kölbel, a. a. O., § 18 Rn. 24). Auch mit diesem für die Strafzumessung erheblichen Gesichtspunkt setzt sich das Jugendschöffengericht in dem angefochtenen Urteil nur formelhaft auseinander.“

Klassischer Fehler III: Jugendstrafe – was häufig übersehen wird

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Bei der Verhängung einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen (§ 17 Abs. 2 JGG) wird in der Praxis häufig übersehen, dass es für die Frage: Schädliche Neigungen, ja oder nein?, darauf ankommt, dass diese zur Tatzeit vorgelegen/angelegt waren und zum Urteilszeitpunkt auch noch bejaht werden können. Nicht ausreichend ist es, wenn zwar zur Tatzeit schädliche Neigungen anzunehmen waren, danach aber eine „Besserung“ eingetreten ist. Darauf muss man als Verteidiger achten, wenn zwischen Tat und Urteil ein langer Zeitraum liegt und sich die Verhältnisse des Mandanten gebessert haben. Das ist das Fazit aus dem BGH, Beschl. v. 13.11.2013 – 2 StR 455/13, in dem es dazu heißt:

„2. Der Strafausspruch hat keinen Bestand.

Das Landgericht hat gegen den zur Tatzeit 15jährigen Angeklagten, der durch gewaltsame Übergriffe durch die Lebenspartner seiner Mutter geprägt wurde, eine Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG verhängt. Dies hat es im Wesentlichen damit begründet, dass Defizite in seiner Entwicklung vorlägen, der Angeklagte keine Schul- und Berufsausbildung abgeschlossen und therapeutische Angebote abgelehnt habe. Zwar habe er seine Defizite erkannt, jedoch seien keine Wandlungen in der Lebensführung eingetreten. Die Tatsache, dass der Angeklagte eine Freundin habe, deren Kinder er mitbetreue, ändere nichts an der Bewertung. Ferner liege in der Tatsache, dass der Angeklagte seit einer letzten Vorverurteilung am 31. Mai 2011 nicht mehr durch Straftaten aufgefallen sei, keine Änderung seines Verhaltens.

Die Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht von einem falschen Maßstab ausgegangen ist. Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel, aus denen sich eine Neigung zur Begehung von Straftaten ergibt, schon vor der Tat angelegt waren. Die schädlichen Neigungen müssen auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen. Diese Voraussetzung für die Verhängung einer Jugendstrafe ist im angefochtenen Urteil nicht ausreichend belegt worden.

Die Tatsache, dass der im Urteilszeitpunkt 18jährige Angeklagte zuvor rund zwei Jahre lang nicht mehr durch Straftaten aufgefallen war, deutet darauf hin, dass eine Gefahr künftiger Straftaten nicht mehr besteht. Dies gilt auch dann, wenn der Angeklagte im Berufsleben noch nicht Fuß gefasst hat. Schwer wiegende Persönlichkeitsmängel des Angeklagten sind nicht festgestellt worden; die ihn prägenden Gewalterfahrungen im Haushalt der Mutter hat er nicht verschuldet.

Das Landgericht hat sich darauf beschränkt, positive Faktoren als unerheblich zu bezeichnen. Das trifft aber auch nicht zu. Die Tatsache, dass der Angeklagte die Kinder seiner Freundin mitbetreut, spricht tendenziell gegen Persönlichkeitsdefizite.“

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Strafzumessung im Jugendrecht: Ist das denn so schwer? „Unschön“ für die Jugendkammer…

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Wenn man die Rechtsprechung des BGH verfolgt, stellt man fest, dass Strafzumessungsfehler vom BGH häufig gerügt werden – ob sie immer zum Erfolg der Revision führen, ist dann eine andere Frage. Im Bereich der Strafzumessungsfehler spielen dann die JGG-Verfahren eine besondere Rolle. Dort scheint es für die Landgerichte besonders schwer zu sein, eine einwandfreie Strafzumessung hinzubekommen. Jedenfalls habe ich den Eindruck, was um so mehr verwundert, weil es sich um Spezialkammern handelt, für die diese Fragen an sich „tägliches Brot“ sein sollten. Den Beweis liefert mal wieder der BGH, Beschl. v. 17.07.2012 – 3 StR 238/12. Das LG hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Dem BGH passt die gesamte Strafzumessung nicht:

 Jedoch halten weder die Begründung schädlicher Neigungen des Angeklagten noch die Ausführungen der Jugendkammer zur Strafhöhe sachlichrechtlicher Überprüfung stand.

1. Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch unter Umständen verborgen, angelegt waren. Sie müssen schließlich auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10. März 1992 – 1 StR 105/92, BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 5).

Diese Voraussetzungen werden durch die Feststellungen nicht belegt. Soweit das Landgericht auf die von ihm für bestimmend erachteten konkreten Strafzumessungsgesichtspunkte abstellt, betreffen diese überwiegend das objektive Tatunrecht; sie sind deshalb für das Vorliegen schädlicher Neigungen weitgehend unergiebig. Bei den von der Jugendkammer daneben angeführten Vorbelastungen des Angeklagten handelt es sich lediglich um zwei Verfahren wegen Diebstahls bzw. Sachbeschädigung, bei denen gemäß § 45 Abs. 1 bzw. 2 JGG von der Verfolgung abgesehen bzw. das Verfahren nach Zahlung einer Geldbuße eingestellt wurde. In einem dritten Verfahren wurde der Angeklagte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte schuldig gesprochen, weil er sich im Rahmen einer Identitätsfeststellung gegen einen Polizeibeamten geehrt und ein T-Shirt mit der Aufschrift „Fuck the Police“ gezeigt hatte. Die ihm deswegen auferlegten Arbeitsstunden hat der Angeklagte abgeleistet. Aus diesen Sachverhalten ergeben sich keine tragfähigen Anhaltspunkte für das Vorliegen schädlicher Neigungen; sie belegen vielmehr lediglich vergleichsweise geringfügige, jugendtypische Verfehlungen.

2. Gemäß § 18 Abs. 2 JGG bemisst sich die Höhe der Jugendstrafe vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen des-halb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 – 3 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 186, 187 mwN).

Diesen Anforderungen genügen die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils nicht. Das Landgericht hat zunächst auf das weitgehende Geständnis des Angeklagten, dessen Vorbelastungen sowie die objektiven Tatumstände abgestellt. Daneben hat es ausgeführt, die Strafe müsse in ange-messener Relation zu der nach Erwachsenenstrafrecht zugemessenen Strafe eines Mittäters stehen. Der Erziehungsgedanke findet sodann Erwähnung ledig-lich in der nicht näher substantiierten Wendung, die verhängte Strafe sei „erzieherisch geboten“ und eine geringer bemessene Strafe sei nicht geeignet, „dem Nacherziehungsbedarf des Angeklagten wirksam Rechnung zu tragen“. Eine derartige lediglich formelhafte Erwähnung des Erziehungsgedankens reicht grundsätzlich nicht aus (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281). Eine Abwägung zwischen dem Tatunrecht und den Folgen der Verbüßung der verhängten Strafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten fehlt ebenfalls.“

Liest sich insgesamt „unschön“ für die Jugendkammer.

 

Schädliche Neigungen beim KG

Auf einen im Grunde ganz banalen Umstand aus dem Jugendstrafrecht hat jetzt vor kurzem noch einmal das KG in seinem Beschl. v. 26.08.2010 – (1) 1 Ss 351/10 (25/10)  – hingewiesen. Der Angeklagte war vom AG zu einer Jugendstrafe verurteilt worden, dei mit schädlichen Neigungen i.S. von § 17 Abs. 2 JGG begründet worden war. Das KG hat aufgehoben und führt dazu u.a. aus:

„Darüber hinaus ist die Annahme von „schädlichen Neigungen“ im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG in dem Urteil nicht rechtsfehlerfrei begründet. Das Jugendgericht sieht die schädlichen Neigungen darin, daß der Angeklagte sich dem illegalen Zigarettenhandel angeschlossen und ihn mit erheblicher Intensität betrieben habe, was an seinen „häufigen Aufgriffen“ ablesbar sei. Richtig ist zwar, daß die wiederholte Begehung der ge-werbsmäßigen Steuerhehlerei tragfähige Rückschlüsse auf erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel zulassen. Das Amtsgericht hätte jedoch feststellen und darlegen müssen, daß die schädlichen Neigungen nicht nur bei Begehung der Taten, sondern auch noch im Zeitpunkt des Urteils vorlagen und deshalb weitere Straftaten des Angeklagten zu befürchten sind (vgl. Senat, Be-schluß vom 20. Juni 2008 – (1) 1 Ss 185/08 (13/08) – mwN). Anlaß zu derartigen Erörterungen bestand, weil sich der Angeklagte im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits etwa drei Wochen in Untersuchungshaft befunden hatte und das Jugendgericht bei seiner Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung (§ 21 JGG) selbst davon ausgegangen ist, daß von dem Angeklagten wegen der „erfahrenen“ Untersuchungshaft und des Warneffekts seiner Verurteilung keine weiteren Straftaten zu erwar-ten seien. Das Amtsgericht hätte deshalb prüfen müssen, ob nicht insbesondere die – soweit ersichtlich erstmals – erlittene Freiheitsentziehung zu einer positiven erzieherischen Wirkung geführt hatte, welche die Verhängung von Jugendstrafe entbehrlich machte.“

Wird immer wieder übersehen.