Schlagwort-Archive: Sachverständigengutachten

Eigene Sachkunde des Gerichts? Man sollte sich nie zu viel zutrauen

© Dan Race – Fotolia.com

Es ist immer schlecht, wenn man sich zu viel zu traut. Denn nicht selten traut man sich dann viel zu viel und das kann fatale Folgen haben. So häufig eben im Strafverfahren, wenn es um Sachverständigenfragen geht. Da werden nämlich Sachverständigengutachten schnell unter Hinweis auf die eigene Sachkunde des Gerichts (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO) abgelehnt. Das führt nicht selten zur Aufhebung des Urteils, weil der BGH der Strafkammer die eigene Sachkunde abspricht oder weil das Gericht nicht ausreichend dargelget hat, woher denn nun die eigene Sachkunde stammt. So auch im BGH, Beschl. v. 22.05.2012 – 5 StR 15/12:

In dem Beschluss hat zwar der BGH das landgerichtliche Urteil wegen eines Rechtsfehlers in der Beweiswürdigung aufgehoben, in der Segelanweisung wird aber deutlich, dass der BGH mit der Behandlung des Beweisantrages des Angeklagten (auch) nicht zufrieden ist:

„Auf die von der Revision erhobene Verfahrensrüge kommt es mithin nicht mehr an. Sie gibt dem Senat allerdings Anlass zu dem Hinweis, dass die gerügte Behandlung des auf die substantiierte Darlegung methodischer Mängel des Glaubhaftigkeitsgutachtens gestützten Antrags der Verteidigung auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens bedenklich war. Nachdem die von der Staatsanwaltschaft hier durchaus sachgerecht beauftragte Gutachterin in der Hauptverhandlung als Sachverständige und nicht lediglich als Zeugin gehört worden war und das Landgericht deren Ausführungen ausweislich der Urteilsgründe für überzeugend erachtet hat, war nicht auszuschließen, dass sich diese auf die Beweiswürdigung des Landgerichts auswirken würden. Dies begründete wiederum die Gefahr, dass etwaige methodische Mängel des Gutachtens die Beweiswürdigung der Strafkammer beeinflussen könnten. Deswegen war es für sie angezeigt, sich in ihrem auf § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO gestützten Ablehnungsbeschluss mit den von der Verteidigung behaupteten Mängeln des Gutachtens auseinanderzusetzen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. Januar 2010 – 2 StR 535/09, BGHSt 55, 5).“

Also: Die Chancen für eine Revision sind in den Fällen nicht schlecht. Aber: Macht natürlich Arbeit, da es sich um eine Verfahrensrüge handelt, die man erheben und begründen muss (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO!!!). Für die Kammern gilt im Übrigen m.E.: Im Zweifel nicht.

Erinnerungslücke

Schon etwas zurück liegt der BGH, Beschl. v. 06.07.2011 – 5 StR 230/11 -, der sich mit der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen befasst, wenn es um die Frage der Beurteilung der erheblich verminderten Schuldfähigkeit geht. Im Verfahren war die Einholung eines SV-Gutachtens mit der Begründung „eigene Sachkunde“ (§ 244 Abs. 4 StPO) abgelehnt worden. Der BGH, Beschl. beanstandet das und sagt:

1. Ein „erkennbar abrupter Tatverlauf mit elementarer Wucht ohne Sicherungstendenzen“ spricht für einen affektiven Ausnahmezustand, der wiederum indiziell auf eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit hindeuten kann.

2. Die Bewertung einer – vom Angeklagten behaupteten – Erinnerungslücke ist dem Tatrichter ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen nur schwer möglich.