Heute stelle ich drei Entscheidungen mit verkehrsrechtlichem Einschlag vor.
Den Opener mache ich mit dem OLG Koblenz, Beschl. v. 20.07.2023 – 4 ORs 4 Ss 16/23. Der ist schon einmal Gegenstand der Berichterstattung gewesen, und zwar wegen der vom OLG entschiedenen verfahrensrechtlichen Fragen (siehe hier: StPO III: Zustandekommen einer Verständigung, oder: Mitteilungs- und Belehrungspflicht). Heute stelle ich den Beschluss vor wegen der Segelanweisung die das OLG im Hinblick auf die angeklagten Taten gegeben hat, darunter auch ein Verstoß gegen § 315c StGB:
„5. Für die erneut durchzuführende Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Im Fall eines erneuten Schuldspruches wegen des Delikts des § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB bedarf es einer intensiveren Auseinandersetzung mit gleich mehreren Tatbestandsmerkmalen der Vorschrift. Der neue Tatrichter hat insoweit entsprechende – ausführlichere Feststellungen zu treffen und deren Vorliegen im Rahmen der Beweiswürdigung tragend zu begründen.
aa) So verhält sich grob rücksichtslos, wer sich aus eigensüchtigen Gründen über die ihm bewusste Pflicht zur Vermeidung unnötiger Gefährdung anderer (§ 1 StVO) hinwegsetzt oder aus Gleichgültigkeit Bedenken gegen sein Verhalten von vornherein nicht aufkommen lässt (vgl. BGH, Urt. 4 StR 796/53 v. 25.02.1954; BayObLG, Urt. RReg 1 St 101/86 v. 22.08.1986 – jew. n. juris).
Als subjektives Merkmal kann Rücksichtslosigkeit nicht schlechthin aus dem äußeren Tathergang gefolgert werden. Die Umschreibung, dass der Angeklagte zum Zwecke des schnelleren Fortkommens überholen wollte, reicht nicht aus. Jeder, der überholt, will schneller sein Fahrtziel erreichen. Es hat vielmehr eine Auseinandersetzung damit zu erfolgen, aus welchen Motiven der Angeklagte schneller vorankommen wollte.
bb) Gleiches gilt für das Merkmal des grob verkehrswidrigen Verhaltens. Grob verkehrswidrig ist ein nach Sachlage besonders gefährliches Abweichen vom pflichtgemäßen Verhalten (BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg, 57. Ed. § 315c Rn. 39). Zwar kann ein Autofahrer, der mit hoher Geschwindigkeit auf ein vorausfahrendes Fahrzeug auffährt, rechts überholt und sodann wieder einschwenkt und abbremst, sich dabei grob verkehrswidrig verhalten. Es bedarf jedoch tatrichterlicher Feststellungen zur Fahrtgeschwindigkeit des Angeklagten, des vorausfahrenden Fahrzeugs, der Anzahl der Fahrspuren der Autobahn sowie der Verkehrsdichte.
cc) Eine konkrete Gefährdung liegt vor, wenn das Gefährdungsobjekt so in den Wirkbereich der schadensträchtigen Tathandlung gelangt ist, dass der Eintritt eines Schadens nicht mehr gezielt abgewendet werden kann und sein Ausbleiben folglich nur noch von bloßen Zufälligkeiten abhängt; es muss also ein sog. „Beinaheunfall“ vorliegen, bei dem es rückblickend nur „gerade noch einmal gut gegangen“ ist (BGH, Beschl. 4 StR 375/68 v. 05.03.1969; 4 StR 667/11 v. 25.04.2012; 4 StR 725/94 v. 30.03.1995 -jew. n. juris). Letzteres ist anhand der konkreten Umstände mit Angaben etwa zu den gefahrenen Geschwindigkeiten, zur Intensität der Gefahrenbremsungen sowie dazu, inwieweit im Fall einer Kollision auch Leib und Leben der gefährdeten Person oder einer fremden Sache von bedeutendem Wert bedroht gewesen wären, darzulegen (vgl. BGH, Beschl. 4 StR 324/13 v. 24.09.2013 -BeckRS 2013, 18828; 4 StR 188/15 v. 30.06.2015 – BeckRS 2015, 13519).
dd) Darüber hinaus bedürfte im Falle erneuter Annahme des Vorliegens eines bedingten Vorsatzes hinsichtlich der Gefährdung derselbe eingehenderer Begründung sowie einer Abgrenzung zumindest zur bewussten Fahrlässigkeit.
b) Im Falle einer erneuten Verurteilung hat der Urteilstenor die Schuldform auszuweisen, da das Delikt ausweislich § 315c Abs. 3 Nr. 2 StGB sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden kann. Gleiches gilt hinsichtlich der konkreten Gefährdung, § 315c Abs. 3 StGB.
c) Die neuen schriftlichen Urteilsgründe haben sich, ausführlicher als bislang geschehen, mit der Einlassung des Angeklagten auseinanderzusetzen, die jedenfalls ihrem wesentlichen Inhalt nach wiederzugeben ist. Dies gilt auch in Fällen, in denen der Angeklagte ein Geständnis ablegt, denn ein Geständnis enthebt den Tatrichter nicht von der Pflicht, dieses einer kritischen Prüfung auf Plausibilität und Tragfähigkeit hin zu unterziehen und zu den sonstigen Beweismitteln in Beziehung zu setzen. Diese Maßstäbe gelten auch in Fällen, in denen der Angeklagte im Rahmen einer Verfahrensverständigung ein Geständnis ablegt (vgl. BGH, Beschl. 2 StR 75/14 v. 21.07.2015 – juris). Die Verständigung über den Strafrahmen darf gerade nicht dazu führen, dass ein Geständnis dem Schuldspruch zugrunde gelegt wird, ohne dass sich der Tatrichter von dessen Richtigkeit überzeugt (BVerfG, Urt. 2 BvR 2628/10 v. 19.03.2013, 2 BvR 2883/10 v. 21.06.2012 – jew. n. juris).“
Nichts Neues, aber die Ausführungen zeigen noch einmal, worauf es ankommt.