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Pflichti II: Pflichtverteidigertausch, oder: Der Wahlanwalt muss auch (noch) wollen

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Auch die zweite „Pflichtverteidigerentscheidung“ des heutigen Tages betrifft eine Rücknahmeproblematik (vgl. dazu auch schon den KG, Beschl. v. 21.04.2016 – 2 Ws 122/16 und Pflichti I: Mal einfach eben so den zweiten Pflichtverteidiger entpflichten geht nicht………..). Der Beschluss kommt ebenfalls vom KG und betrifft die Frage der Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellung nach Wahl eines anderen Verteidigers nach § 143 StPO. Dazu sagt das KG im KG, Beschl. v.  30.06.2016 – 3 Ws 309 und 310/16: Die Rücknahme der Bestellung eines Rechtsanwaltes als Pflichtverteidiger setzt jedenfalls voraus, dass der Wahlverteidiger zum Zeitpunkt der Rücknahme der Bestellung noch mandatiert ist sowie dauerhaft und nicht nur punktuell zur Übernahme der Verteidigung des Angeklagten bereit und in der Lage ist. Denn:

„Nach § 143 StPO ist grundsätzlich die Bestellung eines Pflichtverteidigers zurückzunehmen, wenn ein anderer Verteidiger gewählt wird und dieser die Wahl annimmt. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz liegt dann vor, wenn ein unabweisbares Bedürfnis dafür besteht, den Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger tätig bleiben zu lassen (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 5. März 2014 – 1 Ws 18/14 – m.w.N,  juris).

a) Die Rücknahme der Bestellung setzt jedenfalls voraus, dass der Wahlverteidiger zum Zeitpunkt der Rücknahme der Bestellung des Pflichtverteidigers noch mandatiert ist sowie dauerhaft und nicht nur punktuell zur Übernahme der Verteidigung des Angeklagten bereit und in der Lage ist.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Rechtsanwalt E. hat von Anfang an gegenüber dem Gericht klar zum Ausdruck gebracht, dass seine Beauftragung als Wahlverteidiger temporär sein sollte und zwar bezogen auf die Sitzungstage am 3., 4. und später auch am 24. Mai 2016. Sie habe auf die Dauer der Vernehmung des ehemaligen Mitangeklagten als Zeugen beschränkt sein sollen, nur insoweit habe er die Pflichtverteidigerin unterstützen sollen. In diesen Ausschnitt der Beweisaufnahme sei er eingearbeitet. Seine Beauftragung sei danach beendet.

Der Senat hat keinen Anlass, an diesen Angaben zu zweifeln. Das Wahlmandat war von vornherein auf diese Sitzungstage beschränkt, so dass am 27. Mai 2016, also zum Zeitpunkt der Entscheidung der Vorsitzenden, die Voraussetzungen des § 143 StPO nicht mehr vorlagen. Anhaltspunkte dafür, dass doch eine dauerhafte Beauftragung zur Verteidigung des Angeklagten in der zum Zeitpunkt des Auftretens des Rechtsanwalts bereits 19 Verhandlungstage andauernden Hauptverhandlung und damit bereits fortgeschrittenen Beweisaufnahme über den 24. Mai 2016 hinaus erfolgt ist, ergeben sich weder aus der angegriffenen Entscheidung noch anderweitig. Auch fehlen tatsächlich belastbare Hinweise darauf, dass sich Rechtsanwalt E., wie in dem angefochtenen Beschluss behauptet, in den gesamten Verfahrensstoff eingearbeitet hat. Auf der Grundlage seines eigenen, nachvollziehbaren und nicht widerlegten Vorbringens ist er auch nicht geeignet, das Verfahren sichern zu können. Seinem Beschwerdevorbringen, er könne aufgrund der räumlichen Distanz zwischen D. und B., bestehender Terminskollisionen und seinem Tätigkeitsschwerpunkt „Zivilrecht“ eine ordnungsgemäße Verteidigung nicht gewährleisten, kann der Senat folgen. Selbst wenn die Vorsitzende der Strafkammer bestehende Terminskollisionen nach der Beschwerdeentscheidung durch Absprachen beseitigen will, ändert dies an dem bereits beendeten Mandat und der darüber hinaus fehlenden Bereitschaft des Rechtsanwalts E. zur ordnungsgemäßen Verteidigung nichts.“

Offen lassen konnte das KG auf der Grundlage zwei Fragen, nämlich:

  • ob das Verhalten der Pflichtverteidigerin während der Hauptverhandlung, geeignet erschien, den Widerruf ihrer Bestellung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen, und,
  • ob die unterbliebene Anhörung der Verteidiger und des Angeklagten vor der angegriffenen Entscheidung durch das Beschwerdeverfahren geheilt worden ist. Dazu sagt der Senat nur: „Der Senat neigt jedoch zu der Auffassung, dass er im Falle einer angefochtenen Ermessenentscheidung nicht die ordnungsgemäße Ausübung des Ermessens der Vorinstanz zu überprüfen hat, sondern an ihre Stelle auch hier seine Ermessensentscheidung zu setzen und dazu alle wesentlichen Tatsachen nach § 308 Abs. 2 StPO aufzuklären hat (vgl. Zabeck in Karlsruher Kommentar, StPO 7. Aufl., § 309 Rdnr. 6).“ Also insoweit ein sog. Neigungsbeschluss 🙂 .

Pflichti I: Mal einfach eben so den zweiten Pflichtverteidiger entpflichten geht nicht………..

© pedrolieb -Fotolia.com

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Vor dem RVG-Rätsel heute Nachmittag dann zunächst zwei Entscheidungen mit einer Problematik aus dem Pflichtverteidigungsbereich. Zunächst den KG, Beschl. v. 21.04.2016 – 2 Ws 122/16 zur Dauer der Pflichtverteidigerbeiordnung und/bzw. zur Rücknahme aus wichtigem Grund. Das ist eine Problematik, die in der Praxis immer wieder eine Rolle spielt. Da waren dem Angeklagaten zwei Pflichtverteidiger beigeordnet worden, der zweite weil aus Sicht des Schöffengerichts der erste Pflichtverteidiger unter Umständen als Zeuge in Betracht kam. Als im Berufungsverfahren einer der beiden Pflichtverteidigers Terminsverlegung beantragt, wird die Bestellung des ersten Pflichtverteidigers aufgehoben. Das KG sagt: So nicht, denn – und er rückt die Stellungnahme der GStA ein:

„Hiernach gilt die Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 StPO grundsätzlich für das gesamte Verfahren bis zur Rechtskraft. Ist die Frage der Notwendigkeit der Verteidigung in irgendeinem Verfahrensstadium positiv beantwortet worden, muss es – abgesehen von den gesetzlich geregelten Ausnahmen nach den §§ 140 Abs. 3 Satz 1, 143 StPO – insbesondere dann bei der Bestellung bleiben, wenn das Gericht lediglich seine rechtliche Auffassung über das Vorliegen der Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung ändert. Denn der Eintritt einer Änderung ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Insofern ist es grundsätzlich unbeachtlich, wenn das Gericht im Laufe des Verfahrens nur seine subjektive Auffassung hinsichtlich der Notwendigkeit der Pflichtverteidigung durch eine andere Beurteilung ersetzen will oder ein während des Verfahrens neu zuständig werdendes Gericht die Auffassung des Vorderrichters nicht zu teilen vermag. Dies gebietet der Grundsatz des prozessualen Vertrauensschutzes (vgl. nur Senat, Beschluss vom 10. September 2014 – 2 Ws 49/14 –).

Zutreffend hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme u.a. folgendes ausgeführt:

„Nach der Bestellung von Rechtsanwalt Dr. B. erfolgte mit Beschluss des Schöffengerichts vom 3. September 2013 die Bestellung von Rechtsanwalt T. zum zweiten Pflichtverteidiger, weil laut Hauptverhandlungsprotokoll vom 19. August 2013 eine Entpflichtung des Rechtsanwalts Dr. B. im Raume stand, da dieser als Zeuge über die Umstände des Abschlusses eines ggf. für die spätere Strafzumessung relevanten Täter-Opfer-Ausgleichs vom 31. Juli 2013 zwischen dem Angeklagten und den Zeugen K., G. und B. in Betracht kam, und die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers daher als geboten erachtet wurde. Zur Entpflichtung kam es in der Folge jedoch nicht. Bis zu der angefochtenen Entpflichtungsentscheidung hatte sich die Sach- und Rechtslage nicht in einer Weise geändert, dass die angefochtene Entscheidung gerechtfertigt gewesen sein könnte. Denn eine Vernehmung des Pflichtverteidigers zur Frage des Zustandekommens des Täter-Opfer-Ausgleichs vom 31. Juli 2013 und damit das Bedürfnis der Sicherung der Hauptverhandlung kann auch noch in der Berufungsinstanz – also bis zum Abschluss des Tatsachenrechtszugs – als erforderlich erachtet werden. Die Vorsitzende der 65. Strafkammer hat stattdessen ihre eigene – von der des Schöffengerichts abweichende – Auffassung, die Verteidigung des Angeklagten durch einen Pflichtverteidiger sei ausreichend, und Rechtsanwalt Dr. B. habe angekündigt, den Fortsetzungstermin am 28. Juni 2016 nicht wahrnehmen zu können, zur Grundlage der Aufhebung der Beiordnung gemacht.

Auch eine Rücknahme der Bestellung, die neben der in § 143 StPO genannten Fallgestaltung aus wichtigem Grund möglich ist, kommt vorliegend nicht in Betracht. Zwar ist anerkannt, dass über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus der Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers aus wichtigem Grund zulässig ist. Als wichtiger Grund kommt jeder Umstand in Frage, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet (vgl. KG, Beschluss vom 27. Januar 2015 – 5 Ws 2/15 -). Hierfür ist indes nichts ersichtlich. Die angekündigte Nichtteilnahme am Fortsetzungstermin am 28. Juni 2016 reicht für sich genommen nicht aus, da hierin eine gewichtige Pflichtverletzung nicht gesehen werden kann, zumal der zweite Pflichtverteidiger seine Anwesenheit zugesagt hat und Anhaltspunkte für eine verfahrenswidrige wechselseitige Vertretung nicht auszumachen sind (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. Dezember 2015-2 Ws 203/15-, juris). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Buchung des Familienurlaubs  versehentlich und ohne Kenntnis der vorherigen telefonischen Absprache der Hauptverhandlungstermine zwischen der Vorsitzenden und dem Büro des Rechtsanwalts Dr. B. erfolgt ist. Auch konnte dieser mit der Entpflichtung nicht rechnen. Denn die Vorsitzende hatte ihm noch mit Schreiben vom 21. März 2016 Gelegenheit gegeben, binnen 10 Tagen mitzuteilen, ob er die Vertretung des Angeklagten im Fortsetzungstermin am 28. Juni 2016 gewährleisten könne oder ob er einen Wechsel des Pflichtverteidigers befürworte. Die Stellungnahme des Pflichtverteidigers Dr. B. vom 29. März 2016 ging vor Ablauf der von der Vorsitzenden gesetzten Frist am 31. März 2016 bei den Justizbehörden ein. Warum die Aufhebung der Beiordnung – vorzeitig und ohne Berücksichtigung der Stellungnahme – bereits am 29. März 2016 erfolgte, erklärt sich vor diesem Hintergrund nicht.

Die Aufhebung der Beiordnung mit Beschluss vom 29. März 2016, die einen zentralen Bereich des Rechtsinstituts der Verteidigung berührt und dem Angeklagten denjenigen Verteidiger, der sein grundsätzlich beachtliches Vertrauen genießt, nimmt (vgl. OLG Stuttgart, aaO), verletzt vorliegend vielmehr das Recht des An­geklagten auf ein faires Verfahren. Wegen des aus § 142 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StPO zu erkennenden Bestrebens des Gesetzgebers, dem Angeklagten zu ermöglichen, sich von einem Pflichtverteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen, wenn dem keine wichtigen Gründe entgegenstehen, soll sich aus Gründen der gerichtlichen Fürsorgepflicht die Pflichtverteidigung möglichst wenig von der Wahlverteidigung unterscheiden (vgl. KG, Beschluss vom 13. April 2012 – 2 Ws 171/12 –).

Ein Vertrauenstatbestand ist vorliegend gegeben. Bei dem Pflichtverteidiger Dr. B. handelt es sich um den ursprünglichen Wahlverteidiger des Angeklagten, der ihn von Anfang an vertreten hat. Rechtsanwalt T. hingegen wurde erst nachträglich vorsorglich als zweiter Pflichtverteidiger zur Sicherung der Hauptverhandlung bestellt. Sowohl das Schöffengericht, das eine Entpflichtung des Pflichtverteidigers Dr. B. bis zum erstinstanzlichen Urteil am 3. Juni 2015 nicht mehr in Erwägung gezogen hat, als auch die Berufungskammer, die den beigeordneten Verteidiger Dr. B. zu den Hauptverhandlungsterminen am 21. und 28. Juni 2016 geladen hat, haben das Vertrauen des Angeklagten bestärkt, dass es bei der Bestellung seines ersten Pflichtverteidigers bleibt. Einen wichtigen Grund, der dem entgegenstehen könnte, hat auch das Gericht ausweislich des Schreibens vom 21. März 2016 offenbar zunächst nicht angenommen. Denn die Vorsitzende hatte hiermit dem Pflichtverteidiger Dr. B. noch Gelegenheit gegeben, die Vertretung des Angeklagten im Fortsetzungstermin am 28. Juni 2016 sicherzustellen.“

Passt m.E.