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StPO I: Rechtlicher Hinweis, oder: Wenn die Tatzeit erweitert wird….

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Heute berichte ich dann über (StPO-)Verfahrensfragen.

Und ich eröffne mit dem BGH, Urt. v. 09.05.2019 – 1 StR 688/18. Er hat eine Problematik aus dem Bereich des § 265 StPO zum Gegenstand, also „rechtlicher Hinweis“. Der Angeklagte hatte mit seiner Verfahrensrüge die Verletzung von § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO gerügt. Und er hatte damit Erfolg:

a) Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:

Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage vom 1. März 2018 legt dem Angeklagten im Fall 3 zur Last, sich an einem nicht genau bekannten Tag um den 24. Mai 2017 mit der Nebenklägerin in seinem Haus verabredet zu haben. Hier soll er ein weiteres Mal auf dem Sofa im Büro einverständlichen, ungeschützten Geschlechtsverkehr ohne Samenerguss mit der Geschädigten durchgeführt haben.

Entsprechend dem Protokoll der Hauptverhandlung erteilte das Landgericht am 12. Juli 2017 in Bezug auf die Tat 3 folgenden tatsächlichen Hinweis gemäß § 265 StPO: „Der in der Anklageschrift angenommene Tatzeitraum für die Tat 3 ist nicht auf die Werktage in der Woche vom 22.05 bis 26.05.2017 beschränkt, sondern es kommen auch die Werktage in den anderen Wochen nach der Tat 2 und vor der Tat 4 in Betracht. Der Hinweis wurde sodann den Prozessbeteiligten näher erläutert.“

Nach dem Hinweis wurden die bisher verlesenen Stundenpläne der Nebenklägerin und des Angeklagten erörtert. Ein weiterer Hinweis darauf, dass die Tat – wie in den Feststellungen des Urteils angenommen – am 17. Mai 2017, dem Tag des Schulsportfestes, begangen sein soll, erfolgte nicht. Der Angeklagte ging deshalb davon aus, dass er für Tage mit verzeichnetem Unterricht kein Alibi beibringen müsse.

b) Durch § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO in der seit 24. August 2017 geltenden Fassung (Gesetz vom 17. August 2017, BGBl. I S. 3202) ist die Hinweispflicht des § 265 Abs. 1 StPO auf Fälle erweitert worden, in denen sich in der Hauptverhandlung die Sachlage gegenüber der Schilderung des Sachverhalts in der zugelassenen Anklage ändert und dies zur genügenden Verteidigung vor dem Hintergrund des Gebots rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und des rechtsstaatlichen Grundsatzes des fairen Verfahrens (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 2 BvR 1769/04) einen Hinweis erforderlich macht (vgl. BT-Drucks. 18/11277, S. 37).

aa) Der Gesetzgeber hat in § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO an die ständige Rechtsprechung angeknüpft, wonach eine Veränderung der Sachlage eine Hinweispflicht auslöst, wenn sie in ihrem Gewicht einer Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunkts gleichsteht (BT-Drucks. 18/11277, S. 37 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 20. November 2014 – 4 StR 234/14 Rn. 13). Die durch den Bundesgerichtshof hierzu entwickelten Grundsätze (vgl. MüKo-StPO/Norouzi, § 265 Rn. 48 ff. mwN) wollte der Gesetzgeber kodifizieren, weitergehende Hinweispflichten hingegen nicht einführen (vgl. SSW-StPO/Rosenau, 3. Aufl., § 265 Rn. 31). Danach bestehen Hinweispflichten auf eine geänderte Sachlage bei einer wesentlichen Veränderung des Tatbildes beispielsweise betreffend die Tatzeit, den Tatort, das Tatobjekt, das Tatopfer, die Tatrichtung, eine Person des Beteiligten oder bei der Konkretisierung einer im Tatsächlichen ungenauen Fassung des Anklagesatzes (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2018 – 5 StR 65/18 Rn. 4 und vom 12. Januar 2011 – 1 StR 582/10 Rn. 8 ff., BGHSt 56, 121, 123 ff.; Urteil vom 20. November 2014 – 4 StR 234/14 Rn. 13). Hingegen sind Hinweise etwa hinsichtlich der Bewertung von Indiztatsachen nach dem Willen des Gesetzgebers auch künftig nicht erforderlich. Ebenso wenig muss das Gericht unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens vor der Urteilsberatung seine Beweiswürdigung offenlegen oder sich zum Inhalt und Ergebnis einzelner Beweiserhebungen erklären (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 1997 – 5 StR 237/97 Rn. 12 f., BGHSt 43, 212, 214 f.).

bb) Das Landgericht hat durch seinen erteilten Hinweis nach § 265 StPO den Tatzeitraum für Fall 3 der Anklage nicht weiter konkretisiert, sondern in zeitlicher Hinsicht sogar noch erweitert. Obwohl in der Folge Stundenpläne der Nebenklägerin und des Angeklagten Gegenstand der Erörterung in der Hauptverhandlung waren und es darum ging, entsprechende Beweisanträge für alle Tage zu stellen, in denen der Stundenplan Freistunden aufwies, hat das Gericht keinen Hinweis dahingehend erteilt, dass es den 17. Mai 2017, den Tag des Schulsportfestes, als Tattag in Betracht zieht, obwohl keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass es an diesem Tag auch unterrichtsfreie Stunden gab. Eine solche weitere Konkretisierung des Tatzeitraums wäre aber erforderlich gewesen, da der Angeklagte nach den bisherigen Beweiserhebungen davon ausgehen konnte, dass an Tagen mit Unterricht bzw. schulischen Veranstaltungen keine Tatbegehung in Betracht kommt. Die Revision trägt insoweit auch vor, dass der Angeklagte durch die Nichterteilung des Hinweises in seiner Verteidigung beschränkt war und weitere Beweisanträge in Bezug auf ein Alibi zu der vom Landgericht im Urteil angenommenen Tatzeit nicht gestellt hat (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 – 3 StR 206/18 Rn. 16, 19).

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem unzureichenden rechtlichen Hinweis beruht. Insoweit ist bereits der Revisionsschrift im Einzelnen zu entnehmen, was die Verteidigung bei einem ordnungsgemäßen Hinweis auf den vom Landgericht zu Grunde gelegten Tattag am 17. Mai 2017 noch vorgebracht hätte.“

Einziehung III: Einziehung nicht in Anklage/EÖB, oder: Rechtlicher Hinweis erforderlich

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Und das Beste kommt am Schluss. Das ist nicht unbedingt der BGH, Beschl. v. 26.04.2019 – 1 StR 471/18, aber: In dem BGH-Beschluss befinden sich die Ausführungen, die heute hier interessieren ganz am Ende der rund 11 Seiten, nämlich:

„c) Mit Erfolg rügt die Angeklagte P. , dass die Einziehungsentscheidung (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) nicht hätte ergehen dürfen, weil sie auf diese Nebenfolge nicht hingewiesen worden ist (§ 265 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 StPO, § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB):

aa) Weder in der Anklage noch im Eröffnungsbeschluss wurde auf die Möglichkeit der Einziehung des Wertes von Taterträgen hingewiesen. Auch in der Hauptverhandlung erteilte der Vorsitzende keinen entsprechenden Hinweis, was durch das Protokoll bewiesen ist (§ 273 Abs. 1 Satz 1, § 274 Satz 1 StPO). Der Antrag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft im Schlussplädoyer genügt nicht; denn der Hinweis ist aufgrund der ausdrücklichen Bezugnahme auf § 265 Abs. 1 StPO durch die neu eingefügte Vorschrift des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO förmlich zu erteilen (BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2018 – 1 StR 186/18 Rn. 16 – 19).

bb) Das Beruhen der Einziehungsentscheidung auf diesem Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO) ist nicht auszuschließen, wenngleich die Angeklagte P.  umfassend geständig gewesen ist und ihr Verteidiger im Schlussplädoyer das Absehen von der Einziehung beantragt hat. Denn die Vorschriften der § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB enthalten neben der Begehung der rechtswidrigen Tat weitere Voraussetzungen für die Abschöpfung (vgl. BGH, aaO Rn. 20).“

OWi III: Erhöhung der Geldbuße, oder: Rechtlicher Hinweis erforderlich?

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Und die dritte und letzte Entscheidung des Tages befasst sich auch mit der Rechtsfolge in OWi-Verfahren, nämlich mit der Geldbuße, allerdings gepaart mit einer verfahrensrechtlichen Problematik. Es geht im KG, Beschl. v. 31.01.2019 – 3 Ws (B) 40/19 – um die Frage, ob vor einer beabsichtigten Erhöhung der Geldbuße ein rechtlicher Hinweis (§ 265 StPO) erforderlich ist oder nicht.

Der Betroffene hatte mit seiner Rechtsbeschwerde das Fehlen eines solchen Hinweises beanstandet. Das KG sagt: Verfahrensrüge nicht ausreichend begründet, im Übrigen wäre sie aber auch unbegründet:

„Ergänzend merkt der Senat lediglich an:

1. Die Verfahrensrüge des Betroffenen, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, weil das Gericht ihm wegen einer möglichen Erhöhung der Geldbuße keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe, ist nicht gemäß §§ 80 Abs. 3 Satz 3, 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ordnungsgemäß erhoben. Dazu hätte es der – hier fehlenden – Darlegung bedurft, dass der vermisste rechtliche Hinweis weder im Bußgeldbescheid enthalten ist noch das Amtsgericht außerhalb der Hauptverhandlung einen entsprechenden Hinweis erteilt hat (vgl. Senat NZV 2006, 609; OLG Hamm NZV 2008, 583; OLG Karlsruhe Justiz 2015, 14; OLG Koblenz, Beschluss vom 2. Mai 2012 2 – 2 SsBs 114/11 – juris).

Der Rüge wäre aber auch in der Sache kein Erfolg beschieden. Denn grundsätzlich bedarf es bei der Verhängung einer höheren als im Bußgeldbescheid festgesetzten Geldbuße in der Regel keines Hinweises an den Betroffenen (vgl. Senat, Beschluss vom 3. März 2016 – 3 Ws (B) 108/16 -; NZV 2015, 355; VRS 113, 293; OLG Hamm NStZ 2017, 592). Ob eine andere Beurteilung geboten ist, wenn der Betroffene ohne vorherigen gerichtlichen Hinweis nicht mit einer Erhöhung der Geldbuße rechnen musste (vgl. OLG Hamm a.a.O.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.06.2010 – 5 Ss 321/10 -, BeckRS 2010, 25189; Seitz in Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 71 Rn. 50a), bedarf hier keiner Entscheidung, weil der Betroffene ausweislich der getroffenen Feststellungen mehrfach erheblich und einschlägig vorbelastet ist und schon deswegen mit einer deutlichen Erhöhung der Geldbuße rechnen musste….“

Na ja. Kann man m.E. mit guten Gründen auch anders sehen. Denn, was heißt: „…. damit rechnen musste….“?

Revision II: „zu keiner Zeit darauf hingewiesen…“, oder: Doppeltes Eigentor

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Die zweite Revisionsentscheidung kommt mit dem BGH, Beschl. v. 29.01.2019 – 1 StR 509/18 – vom BGH. Der Angeklagte hatte gerügt, „er sei „zu keiner Zeit darauf hingewiesen“ worden, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c StGB) in Betracht komme“.Der BGh sagt/fragt: Und was ist mit der Zeit vor der Hauptverhandlung:

„Soweit der Beschwerdeführer mit der Verfahrensrüge beanstandet hat, der Angeklagte sei „zu keiner Zeit darauf hingewiesen“ worden, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c StGB) in Betracht komme, „wie sich aus dem diesbezüglichen Schweigen des Hauptverhandlungsprotokolls“ ergebe, ist diese Rüge nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Das Revisionsvorbringen ist dahingehend auszulegen, dass der Beschwerdeführer sich dagegen wendet, dass dem Angeklagten während der Hauptverhandlung kein förmlicher Hinweis auf eine in Betracht kommende Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen erteilt worden ist. Diese Auslegung wird durch die Stellungnahme des Beschwerdeführers zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts bestätigt, in der er ausführt, der Angeklagte sei „während der Hauptverhandlung zu keiner Zeit auf die Einziehung des Wertes von Taterträgen“ hingewiesen worden.

Die Rüge ist unzulässig, weil sich die Revisionsbegründung nicht dazu äußert, dass auch vor der Hauptverhandlung kein entsprechender Hinweis erteilt worden ist (vgl. auch BeckOK, StPO/Eschelbach, 31. Ed., Stand: 15. Oktober 2018, § 265 Rn. 78; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 265 Rn. 47).

Das nennt man dann wohl. Doppeltes Eigentor 🙂 .

Rechtlicher Hinweis in der Hauptverhandlung, oder: Danach muss es genügend Verteidigungszeit geben

Die 35. KW. eröffne ich mit zwei BGH-Entscheidungen. Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 13.07.2018 – 1 StR 34/18, der eine Problematik aus § 265 StPo zum Gegenstand hat. Also „rechtlicher Hinweis“. Damit hat der BGH derzeit recht viel zu tun, was sicherlich auch daran liegt, dass die Vorschrift durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.08.2017 (BGBl I, S. 3202) geändert/erweitert worden ist. Da braucht sie etwas „Feinschliff“.

In dem Beschluss vom 13.07.2018 geht es aber nicht in der Hauptsache um Fragen, die mit der gesetzlichen Neuregelugn zu tun haben, sondern um eine auch schon zum alten Recht sich immer wieder stellende Frage, ob dem Angeklagten nach einem rechtlichen Hinweis ausreichende Verteidigungszeit gegeben worden ist, sich auf die neue Lage einzustellen.

Es ging hier in etwa um folgendes Verfahrensgeschehen: Mit der Anklage waren dem Angeklagten drei Fälle der Beihilfe zur Steuerhinterziehung hinsichtlich der C. Ltd. für die Jahre 2006 bis 2009 und 17 Fälle der mittäterschaftlichen Steuerhinterziehung hinsichtlich der L. GmbH zur Last gelegt worden. Die Anklageschrift war jeweils von Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) sowie davon ausgegangen, dass für eine mittäterschaftliche Begehung eine rein faktische Geschäftsführerstellung nicht ausreichend sei. Die erforderliche Rechtspflicht zur Aufklärung über steuerliche Tatsachen (§ 35 AO) habe für den Angeklagten erst ab dem 11.11. 2011 bestanden, so dass diesem nur für die nach diesem Zeitpunkt eingereichten Steuererklärungen mittäterschaftliches Handeln zur Last gelegt wurde.

In einem noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgten Gespräch zwischen den Verfahrensbeteiligten gemäß § 202a StPO wies der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer darauf hin, dass das Gericht entgegen der rechtlichen Wertung in der Anklageschrift Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) für gegeben erachte, so dass es auf eine Organ- oder Pflichtenstellung des Angeklagten M. für eine täterschaftliche Strafbarkeit nicht ankomme. Weitere Ausführungen zur Beteiligungsform des Angeklagten M. erfolgten in diesem Rahmen nicht. Diese Einschätzung wiederholte der Vorsitzende in einem weiteren Gespräch am dritten Hauptverhandlungstag.

Am 20. Hauptverhandlungstag erteilte der Vorsitzende sodann den rechtlichen Hinweis, dass bei dem Angeklagten M. „auch eine Verurteilung wegen mittäterschaftlicher Umsatzsteuerhinterziehung für die Jahre 2006 – 2009 in Betracht“ komme. Nach weiteren sieben Hauptverhandlungstagen wurde die Beweisaufnahme geschlossen, ohne dass bis dahin weitere Hinweise erfolgt wären. Im unmittelbaren Anschluss hielt der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft seinen Schlussvortrag und beantragte darin, den Angeklagten wegen 20 (tatmehrheitlichen) Fällen der mittäterschaftlich begangenen Steuerhinterziehung zu verurteilten.

Die Plädoyers der Verteidiger waren für den nächsten Hauptverhandlungstag in der Folgewoche vorgesehen. In diesem Termin trat die Strafkammer jedoch wieder in die Beweisaufnahme ein. Sie erteilte den rechtlichen Hinweis, „dass beim Angeklagten M. in Abweichung von der Anklage auch eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung in 20 tateinheitlichen Fällen in Betracht kommt unter dem Gesichtspunkt eines uneigentlichen Organisationsdelikts. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn Anknüpfungspunkt für die strafbare Handlung nicht eine individualisierte Tathandlung ist, die jeder einzelnen Tat zugeordnet werden kann, sondern der Täter die organisatorische Grundlage für eine Vielzahl von Taten des Vordermanns schafft“.

In der Folge wurde die Beweisaufnahme erneut geschlossen. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft hielt seinen Schlussvortrag. Anschließend trat die Strafkammer, da die Verteidigung eines anderen Angeklagten verschiedene Anträge angekündigt hatte, wieder in die Beweisaufnahme ein. Nach Stellung der Anträge wurde die Hauptverhandlung für 24 Minuten unterbrochen und danach fortgesetzt. Die Verteidigung des Angeklagten beantragte im Hinblick auf den o.g. Hinweis, die Hauptverhandlung auszusetzen, hilfsweise zu unterbrechen und am selben Tag nicht mehr fortzusetzen. Die Verteidigung sei zur Frage der Zurechnung über die Konstruktion des uneigentlichen Organisationsdelikts nicht vorbereitet, so dass insofern eine angemessene Verteidigung nicht gewährleistet werden könne.

Die Strafkammer wies diesen Antrag nach einer weiteren 19-minütigen Unterbrechung der Hauptverhandlung unter Verweis auf den Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen zurück; der erteilte Hinweis betreffe „lediglich die Frage der zutreffenden Beurteilung der Konkurrenzen und die rechtliche Einordnung täterschaftlicher Begehungsweise“. Auch sei eine Beurteilung als tateinheitliche Begehung nicht geeignet, zu einer Erhöhung der Strafe zu führen. Nachdem die Beweisaufnahme wiederum geschlossen worden war, plädierten zunächst der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft durch Wiederholung seiner Anträge und die Verteidiger des anderen Angeklagten. Nach einer 55-minütigen Mittagspause erhielten die Verteidiger des Angeklagten das Wort. Diese stellten im Rahmen ihrer Schlussvorträge sechs Hilfsbeweisanträge, die darauf ausgerichtet waren, dass dem Angeklagten keine für eine mittäterschaftliche Tatbegehung erforderlichen, individualisierbaren Tatbeiträge nachgewiesen werden könnten.

Der Angeklagte M. wurde schließlich in dem Folgetermin, der fünf Tage später stattfand, entsprechend des oben genannten Hinweises verurteilt, d.h. die Strafkammer ging von der Beteiligungsform der mittelbaren Täterschaft in Form eines uneigentlichen Organisationsdelikts aus. Die Hilfsbeweisanträge wurden im Wesentlichen als tatsächlich bedeutungslos abgelehnt; daraus, dass der Angeklagte nicht als Verantwortlicher nach außen aufgetreten sei, folge nicht zwingend, dass er nicht der Verantwortliche im Hintergrund gewesen sei.

Hier musste man zum Sachverhalt etwas weiter ausholen, um die Entscheidung des BGH zu verstehen. Der geht davon aus, dass die Verfahrensweise der Kammer 265 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 StPO. Deren Sinn und Zweck sei es, den Angeklagten vor Überraschungen zu schützen und eine Beschränkung seiner Verteidigung zu verhindern. Hier sei sowohl nach § 265 Abs.1 StPO als auch nach Abs. 2 Nr. 2 StPO ein Hinweis erforderlich gewesen. Zwar habe das LG dem Angeklagten den erforderlichen Hinweis erteilt. Aber:

„Es hat ihm und seinen Verteidigern anschließend aber nicht ausreichend Gelegenheit zur Verteidigung gegeben. Der Vorsitzende muss durch sein Verhalten zum Ausdruck bringen, dass das Gericht bereit ist, mit Rücksicht auf die eingetretene Veränderung Erklärungen und Anträge entgegenzunehmen und zu prüfen, und es muss dem Angeklagten zu solchen Erklärungen und Anträgen Zeit gelassen werden (vgl. bereits RG, Urteile vom 20. Februar 1891 – 12/91, RGSt 21, 372, 374 und vom 25. April 1894 – 1370/94, RGSt 25, 340, 342; Radtke in Radtke/Hohmann, StPO, § 265 Rn. 89). Wie viel Zeit dem Angeklagten und seinen Verteidigern hierzu einzuräumen ist, lässt sich zwar nicht allgemein bestimmen. Jedenfalls muss sie aber unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse als ausreichend angesehen werden können (BGH, Urteil vom 19. Januar 1965 – 5 StR 578/64 Rn. 7).

Das war hier nicht der Fall. Die anwesenden Verteidiger des Angeklagten M. hatten, nachdem der Vorsitzende den Hinweis erteilt hatte, einen Aussetzungs- bzw. hilfsweisen Unterbrechungsantrag gestellt und darin ausdrücklich erklärt, die Verteidigung sei auf die Frage der Zurechnung über die Konstruktion des uneigentlichen Organisationsdelikts nicht vorbereitet und benötige dafür jedenfalls Zeit bis zum nächsten Hauptverhandlungstermin. Damit brachten sie zum Ausdruck, dass sie sich nach der bis dahin 28 Tage andauernden Hauptverhandlung nach dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft und kurz vor den eigenen Schlussvorträgen außerstande fühlten, die Verteidigung gegenüber den veränderten rechtlichen Gesichtspunkten ordnungsgemäß zu führen.

Das war unter den dargelegten Umständen plausibel. Bei dem Gewicht der Veränderung und bei der Schwierigkeit des veränderten rechtlichen Gesichtspunktes, der nicht alltäglich ist und auf den sich die Verteidigung auch nach Kenntnis der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses sowie des zwischenzeitlich erteilten rechtlichen Hinweises besonders hätte vorbereiten müssen, war zumindest eine längere Unterbrechung unerlässlich, die der Verteidigung eine hinreichend gründliche Vorbereitung auf die rechtliche Beurteilung des uneigentlichen Organisationsdelikts nebst allen dabei zu bedenkenden Verknüpfungen ermöglicht hätte. Die 55-minütige Mittagspause war hierfür jedenfalls nicht ausreichend. Auch konnte nicht erwartet werden, dass die Verteidigung während der laufenden Hauptverhandlung und unter Inkaufnahme, dieser nicht folgen zu können, unter Berücksichtigung der veränderten Rechtslage vorbereitet wird. Durch die Fortsetzung der Hauptverhandlung ohne nennenswerte Unterbrechung und Ablehnung des weitergehenden Unterbrechungsantrags, hat das Landgericht dem Angeklagten entgegen dem Willen des Gesetzgebers keine ausreichende Gelegenheit zur Vorbereitung einer Verteidigung gegenüber der veränderten Rechtslage gewährt und gegen § 265 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StPO verstoßen. Zugleich liegt darin eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung im Sinne von § 265 Abs. 4 i.V.m. § 338 Nr. 8 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 1965 – 5 StR 578/64 Rn. 7 und Beschluss vom 1. März 1993 – 5 StR 698/92, NStZ 1993, 400).

§ 265 Abs. 4 StPO enthält einen über die voranstehenden Absätze hinausgehenden Grundsatz, der besagt, dass das Gericht im Rahmen seiner Justizgewährungspflicht für eine Verfahrensgestaltung zu sorgen hat, die die Wahrung der Verfahrensinteressen aller Verfahrensbeteiligten, vor allem aber die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht verkürzt. Der Begriff der „veränderten Sachlage“ darf daher nicht eng ausgelegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 1958 – 4 StR 725/57, NJW 1958, 1736, 1737; Radtke in Radtke/Hohmann, aaO Rn. 106; LR/Stuckenberg, aaO Rn. 99; KK/Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 265 Rn. 29). Eine Veränderung der Sachlage ist daher auch anzunehmen, wenn das Gericht – wie vorliegend – aus den dem Angeklagten bereits aus der zugelassenen Anklage bekannten Tatsachen andere rechtliche Folgerungen zieht (BGH, Beschluss vom 1. März 1993 – 5 StR 698/92, aaO; so auch KK/Kuckein, aaO). Indem das Landgericht den hilfsweise gestellten Unterbrechungsantrag im Wesentlichen unter Hinweis auf das Beschleunigungsgebot und mit dem Argument ablehnte, der erteilte Hinweis betreffe lediglich Fragen der Konkurrenzen und der Art der Alleintäterschaft, übte es das ihm gemäß § 265 Abs. 4 StPO zustehende Ermessen nicht pflichtgemäß aus (zur Revisibilität der Ermessensausübung vgl. z.B. BGH, Urteil vom 19. Juni 1958 – 4 StR 725/57, NJW 1958, 1736, 1738 und Beschluss vom 27. Februar 2007 – 3 StR 44/07, StraFo 2007, 243); denn es nahm nicht ausreichend in den Blick, dass sich die Anforderungen an den Nachweis von Alleintäterschaft und mittelbarer Täterschaft in Form des uneigentlichen Organisationsdelikts deutlich unterscheiden, dass der Hinweis erst nach 28 Hauptverhandlungstagen erfolgte, nachdem die Beweisaufnahme bereits geschlossen worden war, und zeitnah bereits weitere Hauptverhandlungstermine anberaumt waren, so dass sich die Verzögerung durch eine weitergehende Unterbrechung in Grenzen gehalten hätte.“

Eine Entscheidung, mit der sich argumentieren und den Gerichten (hoffentlich) Einhalt gebieten lässt, wenn der Verteidiger und der Angeklagte, was ja in der Praxis nicht selten ist, mit am Ende der Hauptverhandlung erteilten (rechtlichen) Hinweisen überfahren werden (sollen). Dann kann man mit der Entscheidung mehr „Verteidigungszeit“ einfordern.