Schlagwort-Archive: räuberischer Diebstahl.

StGB I: Klassiker, oder: Vollendung der Wegnahme beim Raub

Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

Heute dann mal ein Tag mit Entscheidungen zu „materiell-rechtlichen“ Fragen, also StGB bzw. Nebengebiete.

Und den Opener macht der BGH, Beschl. v. 05.09.2019 – 3 StR 307/19 – mit dem Klassiker: Vollendung der Wegnahme beim Raub, wenn es um handliche und leicht bewegliche Sachen geht.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Diebstahls und wegen Raubes verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO verworfen worden ist; die Revision hat aber eine Schuldspruchänderung gebracht.

„Nach den vom Landgericht zu Fall II. 2. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen begaben sich der Angeklagte und der Mitangeklagte S. gemeinsam mit dem Nebenkläger nachts in einen Park, um dort alkoholische Getränke zu konsumieren. Der Angeklagte und der Nebenkläger setzten sich auf eine Bank, während S. davor stehen blieb. Spätestens zu diesem Zeitpunkt beschlossen der Angeklagte und S., dem Nebenkläger dessen Mobiltelefon zu entwenden, um es zu behalten und anschließend gemeinsam zu Geld zu machen oder zu nutzen. Um die Wegnahme zu ermöglichen, bat der Angeklagte den Nebenkläger, ihm das Handy zu übergeben; er gab vor, seine Telefonnummer darin speichern zu wollen. Nachdem ihm der Nebenkläger das Mobiltelefon zu diesem Zweck ausgehändigt hatte, tippte der Angeklagte darauf herum und warf es dann plötzlich S. zu, der es in seine Jackentasche steckte. Der Nebenkläger stand auf, wandte sich an S. und bat ihn, ihm das Handy zurückzugeben. Daraufhin umfasste der Angeklagte – dem gemeinsamen Tatplan mit S. entsprechend – von hinten den Hals des Nebenklägers, umklammerte ihn mit einem Arm und drückte den Hals mehrere Sekunden lang zu. Während der Nebenkläger nach Luft rang, schlug S. ihm mit der Faust mindestens dreimal ins Gesicht und trat auf ihn ein.

Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten nicht wegen Raubes (§ 249 Abs. 1 StGB), sondern wegen räuberischen Diebstahls (§ 252 StGB). Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift vom 5. Juli 2019 ausgeführt:

„Ausweislich der Urteilsgründe war die Wegnahme des Mobiltelefons zum Zeitpunkt der Gewalthandlungen gegen den Geschädigten bereits vollendet, wenn auch nicht beendet, weil der Mitangeklagte S. das Smartphone des Geschädigten in seine Jackentasche gesteckt hatte (UA S. 10). Die Wegnahme in Zueignungsabsicht ist dann vollendet, wenn fremder Gewahrsam gebrochen und neuer Gewahrsam begründet ist.

Für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft ist entscheidend, dass der Täter die Herrschaft über die Sache derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Anschauungen des täglichen Lebens. Einen bereits gesicherten Gewahrsam setzt die Tatvollendung nicht voraus. Hiervon ausgehend genügt es bei handlichen und leicht beweglichen Sachen, wenn der Täter diese in seiner Kleidung verbirgt (Senat, NStZ 2015, 276). Damit hat er nach der Verkehrsauffassung die Sachherrschaft des bisherigen Gewahrsamsinhabers aufgehoben und ein eigenes, dessen freie Verfügungsgewalt ausschließendes, tatsächliches Sachherrschaftsverhältnis hergestellt. Daran ändert auch eine etwaige Beobachtung nichts. Weder ist Diebstahl eine „heimliche“ Tat, noch setzt die Vollziehung des Gewahrsamswechsels voraus, dass der Täter endgültigen und gesicherten Gewahrsam erlangt (BGHR StGB § 242 Abs. 1, Wegnahme 5 – Vollendung trotz Beobachtung; vgl. ebenso BGH, NJW 1961, 2266; Senat, NStZ 2011, 158, Rn. 10 – 13). Demnach brach der Angeklagte G. nach der Verkehrsauffassung zwar den Gewahrsam des Geschädigten nicht bereits dadurch, dass er mit dessen Einverständnis das Mobiltelefon unter dem Vorwand in die Hand nahm, seine Rufnummer einzuspeichern (vgl. zur Gewahrsamslockerung bei – scheinbar kurzfristiger – Übergabe von Gegenständen an den Täter BGH, Beschluss vom 24. April 2018, 5 StR 606/17, Rn. 6, 11, juris). Indem er aber das Mobiltelefon ohne Absprache mit dem Geschädigten dem Mitangeklagten S. zuwarf, der dieses in seine Jackentasche steckte, wurde der Gewahrsam des Geschädigten gebrochen; nach der Verkehrsauffassung wäre eine Rückholung des Mobiltelefons aus der Jackentasche des Mitangeklagten S. sozial rechtfertigungsbedürftig gewesen.

Auf Grund der eingetretenen Vollendung des gemeinschaftlich begangenen Diebstahls kam ein Raub (§ 249 Abs. 1 StGB) durch die anschließende Gewaltanwendung gegen den Geschädigten nicht mehr in Betracht (vgl. Senat, NStZ 2015, 276; BGH, Beschluss vom 24. September 1990, 4 StR 384/90, Rn. 2, juris). Vielmehr wollten sich beide Angeklagte als Mittäter den Besitz an dem Mobiltelefon erhalten, indem sie gegen den Geschädigten Gewalt anwendeten, sodass sie sich wegen räuberischen Diebstahls (§ 252 StGB) strafbar gemacht haben (vgl. zur Möglichkeit des räuberischen Diebstahls auch für den nicht unmittelbar besitzenden Mittäter Senat, NStZ 2015, 276).“

Dem schließt sich der Senat an. ….“

Das sind so Entscheidung, bei denen sich der Angeklagte fragt: Was soll es 🙂 ?

Kleiner Grundkurs: Räuberischer Diebstahl

© Dan Race - Fotolia.com

© Dan Race – Fotolia.com

Manchmal ist man/bin ich schon erstaunt, welche Grund(satz)fragen der BGH entscheiden muss. Das fragt man sich dann schon, warum eigentlich die Strafkammer nicht selbst auf die „Idee“/den häufig ziemlich eindeutigen Fehler gekommen ist. So ist es mir mal wieder beim BGH, Beschl. v. 16.09.2014 – 3 StR 373/14 – ergangen. Da hatte das LG den Angeklagten wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen:

„1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lernten der Angeklagte und die Nichtrevidentin in den frühen Morgenstunden des 14. April 2012 den später geschädigten J. kennen und konsumierten gemeinsam in dessen Wohnung Alkohol, möglicherweise auch Amphetamin. Während einer kurzen Abwesenheit des Gastgebers fassten sie aufgrund einer entsprechenden Idee der Nichtrevidentin gemeinsam den Entschluss, diesem dessen Notebook zu entwenden. Die Nichtrevidentin wollte das Gerät als Ersatz für ihren eigenen, defekten Computer nutzen. Sie nahm das Notebook an sich und steckte es samt Ladekabeln in einen Jute-Beutel. Als sie und der Angeklagte die Wohnung des Geschädigten verlassen wollten, stellte dieser sie im Wohnungsflur und näherte sich der Nichtrevidentin, um dieser den Computer wieder abzunehmen. Um „den einmal erlangten Gewahrsam“ an dem Notebook nicht wieder zu verlieren, entschloss sich der Angeklagte, die erstrebte Rückerlangung des Notebooks durch Anwendung körperlicher Gewalt zu verhindern. Hierzu versetzte der Angeklagte dem Geschädigten in der Folgezeit mehrere Faustschläge und brachte ihn wiederholt zu Boden, wobei sich der Ort des Geschehens verlagerte, da der Geschädigte der Nichtrevidentin, die ihrerseits mehrfach auf ihn einschlug, und dem Angeklagten immer wieder nacheilte. Zuletzt versetzte dieser dem Geschädigten ohne Wissen der Nichtrevidentin mehrere Schläge mit einem Ast gegen Körper und Kopf.“

Und dazu der BGH dann zu den Rechtsfragen:

2. Diese Feststellungen belegen nicht, dass sich der Angeklagte als Mit-täter des besonders schweren räuberischen Diebstahls (§§ 252, 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1, § 25 Abs. 2 StGB) schuldig gemacht hat.

a) Allerdings hat das Landgericht zu Recht auf § 252 StGB und nicht auf § 249 StGB abgestellt. Denn der Diebstahl war zum Zeitpunkt der ersten Gewaltanwendung bereits vollendet (hierzu BGH, Beschluss vom 6. Juli 2010 – 3 StR 180/10, NStZ 2011, 36, 37). Die Wegnahme in Zueignungsabsicht ist dann vollendet, wenn fremder Gewahrsam gebrochen und neuer Gewahrsam begründet ist. Für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft ist entscheidend, dass der Täter die Herrschaft über die Sache derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Ver-fügungsgewalt des Täters zu brechen. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Anschauungen des täglichen Lebens. Einen bereits gesicherten Gewahrsam setzt die Tatvollendung nicht voraus (BGH, Urteil vom 26. Juni 2008 – 3 StR 182/08, NStZ 2008, 624, 625 mwN). Hiervon ausgehend genügt es bei handli-chen und leicht beweglichen Sachen, wenn der Täter diese in seiner Kleidung oder in einem seinerseits leicht zu transportierenden Behältnis verbirgt. Das Verlassen des grundsätzlichen Herrschaftsbereichs des Geschädigten ist keine Voraussetzung für die Vollendung der Wegnahme (BGH, Urteil vom 6. November 1974 – 3 StR 200/74, BGHSt 26, 24, 25 f.). Danach war vorliegend – wovon auch das Landgericht ausgegangen ist – der Diebstahl durch das Ein-stecken des Notebooks in den mitgeführten Jute-Beutel vollendet.

b) Indes kann nach allgemeiner Ansicht – bei Unterschieden im Einzelnen (umfassend Weigend, GA 2007, 274) – Täter des § 252 StGB nicht derjenige sein, der weder selbst im Besitz der entwendeten Sache ist (vgl. zum Gehilfen BGH, Urteil vom 8. Juli 1954 – 4 StR 350/54, BGHSt 6, 248, 250; hiergegen LK/Vogel, StGB, 12. Aufl., § 252 Rn. 14 ff.), noch am Diebstahl mittäterschaftlich beteiligt war. Dies folgt aus der von § 252 StGB verlangten Besitzerhaltungsabsicht. Der Angeklagte erfüllte indes keine der die Täterschaft begründenden Voraussetzungen. Besitz am Notebook hatte die Nichtrevidentin. Dieser kann dem Angeklagten nicht gemäß § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden. Denn die Annahme des Landgerichts von Mittäterschaft bei Begehung des Diebstahls wird von den Feststellungen nicht getragen. Die Einfügung der Drittzueignungsabsicht durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) hat zwar den Anwendungsbereich der Mittäterschaft ausgedehnt, die allgemeinen Abgrenzungskriterien zwischen Täterschaft und Teil-nahme in diesem Bereich jedoch nicht außer Kraft gesetzt. Voraussetzung ist weiterhin die gemeinsame Beherrschung des Tatgeschehens aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses (Weigend aaO, 281). Nach den Feststellungen fehlte es jedoch an jeglichem Einfluss des Angeklagten auf das Geschehen der Wegnahme: diese war eine Idee der Nichtrevidentin, die allein handelte und die allein Nutzen aus der Tat ziehen sollte. Auch der festgestellte, allerdings nicht weiter erläuterte gemeinsame Tatentschluss vermag vor diesem Hintergrund Mittäterschaft nicht zu begründen.“

Der räuberische Diebstahl im Zug

© Dan Race – Fotolia.com

Das LG verurteilt auf der Grundlage des folgenden Sachverhalts u.a. wegen esonders schweren räuberischen Diebstahls:

Der Angeklagte fuhr am frühen Morgen des 9. Januar 2011 ohne Fahrkarte im Nachtzug Richtung Zürich. Mit einem unbekannten Mittäter hat er – so wie auch oft schon früher – dort insgesamt zwei schlafenden Reisenden Bargeld, ein Mobiltelefon und Ausweise gestohlen. Dabei führte er ein Springmesser mit einer Klingenlänge von ca. 10 bis 15 cm mit sich. Da er von Abteil zu Abteil lief, fiel er gegen 4.50 Uhr im Schlafwagen einem Zugbegleiter auf. Der Zugbegleiter war vor einigen Jahren schon einmal mit dem Angeklagten in ei-nem Zug zusammengetroffen. Auch damals bestand offenbar ein Diebstahlsverdacht, ein Nachweis konnte aber letztlich nicht erbracht werden. Jedenfalls wollte der Zugbegleiter die Fahrkarte des Angeklagten sehen, die dieser nicht vorweisen konnte.

Zunächst gingen der Angeklagte und der Zugbegleiter zum nicht jedermann zugänglichen Gepäckabteil des Fahrradwagens, wo der Mittäter war, der auch keine Fahrkarte hatte. Von dort gingen der Angeklagte und sein Mittäter an dem Zugbegleiter vorbei zu einem anderen Wagen. Dabei hatten sie mehrere Jacken über dem Arm, in denen sich das Diebesgut befand. Da sich der Zugbegleiter nicht mit „Ausreden“ zufrieden gab, zog der Angeklagte die Not-bremse, um „mit dem Diebesgut flüchten zu können und seine Identifizierung … zu verhindern“. Der Mittäter konnte den Zug verlassen. Auch der Angeklagte drängte zum Ausgang und drückte den Zugbegleiter an die Wand. Als der Angeklagte auf dem Trittbrett stand, lagen die Jacken mit dem Diebesgut auf dem Boden. Der Angeklagte und der Zugbegleiter griffen nach den Jacken. Der Angeklagte zog das Messer, ließ die Klinge herausschnellen und hielt es drohend gegen den Zugbegleiter. Dieser wehrte sich, am Ende lag das Messer auf dem Boden. Der Angeklagte stürzte aus dem Zug, konnte aber noch die Jacken und das Messer ergreifen. Er flüchtete und konnte erst später in Ungarn verhaftet werden.

Der BGH, Beschl. v. 22.11.2012 – 1 StR 378/12 – sagt: Kein räuberischer Diebstahl. Denn:

Dies folgt schon daraus, dass sein Besitz an der Diebesbeute nicht unmittelbares Ergebnis der Wegnahme beim Diebstahl (den Diebstählen) war.

Er hatte die Diebesbeute vielmehr zwischenzeitlich im Gepäckabteil versteckt und später dort wieder an sich genommen. Der zwischen der Wegnahme der Beute einerseits und der Besitzverteidigung mit den Raubmitteln andererseits erforderliche unmittelbare Zusammenhang war daher nicht gegeben, es fehlt hier schon an dem erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Diebstahl (den Diebstählen) und dem Einsatz von Raubmitteln zur Beutesicherung (vgl. Eser/Bosch in Schönke/Schröder, 28. Aufl., § 252 StGB Rn. 4).

Hierfür spricht schon allein der Zeitraum, der für das vom Zugbegleiter beobachtete Geschehen – vom auffälligen Herumlaufen des Angeklagten bis zu dem Kampf um die Jacken – erforderlich war. Es kommt jedoch auch noch der Zeitraum ab den Diebstählen hinzu; der genaue Zeitpunkt der Diebstähle ist jedoch nicht festgestellt und es liegt auch nicht nahe, dass er festgestellt wer-den könnte.

„Wegschubsen“ ist Gewalt

Der BGH, Beschl. v. 13.04.2011 – 4 StR 130/11 sagt: Handelt ein Angeklagter bei einem (Laden)Diebstahl so, dass er einen Zeugen, der ihn an der Tür noch innerhalb der Geschäftsräume stellt und festhält, zurückschubst und er so mit der Beute aus dem Laden fliehen kann, wendet der Angeklagte Gewalt durch „Wegschubsen“ an, um sich den Besitz der entwendeten Beute zu erhalten. Diese Tat ist ein vollendeter räuberischer Diebstahl, der bei Mitführen eines Messers als „schwerer räuberischer Diebstahl“ zu qualifizieren ist. Und das haut dann bei der Strafe richtig rein.