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BAK von 3,0 o/oo – und dann kein § 21 StGB?

© monticellllo - Fotolia.com

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Über manche Entscheidungen ist man dann doch erstaunt, wenn man sie liest. Und dazu gehört(e) dann auch der BGH, Beschl. v. 30.04.2015 – 2 StR 444/14 mit einer allgemein bekannten und vom BGH immer wieder entschiedenen Problematik. Nämlich die Anwendung der §§ 20, 21 StGB. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Totschlags und wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Die Anwendung des § 21 StGB – nicht die des § 20 StGB – hat das LG bei der Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung verneint. Das hat dem BGH nicht gefallen und er hat den Strafausspruch aufgehoben, weil die Strafkammer eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hatte.

„a) Das sachverständig beratene Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt eine „maximale Blutalkoholkonzentration von etwa 3 ‰“ (UA S. 13) bzw. eine errechnete „Blutalkoholkonzentration von 3,18 ‰“ (UA S. 47) aufgewiesen habe. Die Voraussetzungen des § 21 StGB hätten indes nicht vorgelegen, weil beim alkoholgewöhnten Angeklagten keinerlei auf Alkoholgenuss zurückzuführende Ausfallerscheinungen festgestellt werden konnten. Der Angeklagte sei zu zielgerichtetem Vorgehen in der Lage gewesen und hätte auch nach der Tat den Tatort „ohne Aufsehen zu erregen“ verlassen können. Anhaltspunkte für Ausfallerscheinungen während der Tatausführung hätten sich nicht ergeben. Soweit ein Zeuge bekundet habe, der Angeklagte sei vor der Tat „‘richtig voll‘“ und danach „noch immer betrunken, […] ‘nicht mehr zurechnungsfähig‘ und ‘wie ein Tier‘“ (UA S. 48) gewesen, ist die Strafkammer dieser Einschätzung nicht gefolgt, zumal es dem Angeklagten gelungen sei, „ohne größere Probleme […] die Wohnungstüre aufzuschließen und den Schlüssel in ein Schloss zu stecken bzw. ihn abzuziehen. Auch das Anziehen der Schuhe in hockender Position und angelehnt an die Wand“ (UA S. 48) sei kein „Anhalt für eine hohe alkoholische Beeinflussung.“

b) Zwar gibt es keinen gesicherten Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien regelmäßig vom Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung auszugehen ist. Bei einem Wert von über 2 ‰ ist eine erhebliche Herabsetzung der Hemmungsfähigkeit aber je nach den Umständen des Einzelfalles in Betracht zu ziehen, naheliegend oder gar in hohem Maße wahrscheinlich (BGH, Urteil vom 29. April 1997 – 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 75 f.; Beschluss vom 7. Februar 2012 – 5 StR 545/11, NStZ-RR 2012, 137). Bei Tötungsdelikten ist ab einer Blutalkoholkonzentration von 2,2 ‰ eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit in Betracht zu ziehen (vgl. Senat, Beschluss vom 18. März 1998 – 2 StR 5/98, BGHR StGB § 21 Blut-alkoholkonzentration 35; weitere Nachweise bei Streng in Münchener Kommentar, StGB, 2. Aufl., § 20 Rn. 68).

Für die Beantwortung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben sind, kommt es demnach – gesamtwürdigend – sowohl auf die Höhe der Blutalkoholkonzentration als auch auf die psychodiagnostischen Kriterien an (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1997 – 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 75 f.). Dabei steht das Fehlen von Ausfallerscheinungen einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht unbedingt entgegen; gerade bei – wie hier – alkoholgewöhnten Tätern können äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungs-fähigkeit durchaus weit auseinander fallen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2007 – 4 StR 187/07, NStZ 2007, 696; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 20 Rn. 23a, jeweils mwN). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Feststellung, der Angeklagte habe nach der Rückkehr zur Wohnung keine Ausfallerscheinungen  gezeigt, auf Angaben von Zeugen beruhen, die entweder ebenfalls dem Alkohol zugesprochen hatten oder unter dem Einfluss von Schmerzmitteln standen. Soweit sich die Urteilsgründe auf die Aussagen dieser Zeugen stützen, wären etwaige alkoholische bzw. medikamentöse Auswirkungen auf deren Wahrnehmung und Bewertung des Verhaltens des Angeklagten zu erörtern gewesen (vgl. BGH Beschluss vom 26. Mai 2009 – 5 StR 57/09, BGHR StGB § 21 Blutal-koholkonzentration 41).“

Zudem lassen sich gewichtige psychodiagnostische Gegenindizien, die geeignet sein könnten, die Indizwirkung der Blutalkoholkonzentration für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zu relativieren, dem Urteil nicht ausreichend entnehmen. Die Wertung der Strafkammer, der Angeklagte habe sich situationsadäquat und zielgerichtet verhalten, steht vielmehr im Widerspruch zu den Feststellungen. Danach trägt bereits das Gesamtbild der Tatausführung deutliche Züge einer spontanen und unüberlegten Handlung.

Haben wir doch alles schon mal gelesen, oder? Daher eben erstaunlich.

Verminderte Schuldfähigkeit beim Raub? Ja, wenn schon das Herstellen der Maske nicht klappt

Der Angeklagte wird vom LG wegen eines besonders schweren – gemeinschaftlich begangenen – Raubes verurteilt. Die Voraussetzungen des § 21 StGB werden vom LG verneint, obwohl von einer BAK von rund 2,7 Promille auszugehen ist. Das LG begründet das damit, dass für eine Herabsetzung der Steuerungsfähigkeit nur der Umstand spreche, dass die Angeklagten ihr (Raub)Vorhaben nicht aufgegeben hätten, nachdem sie erkannt worden seien. Andererseits hätten beide Angeklagten bei der Tat geordnet und überlegt agiert. Auch spreche die gute Erinnerung des Angeklagten an die Tat gegen eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit.

Der BGH sieht das anders und hat das LG-Urteil im Rechtsfolgenaussspruch aufgehoben. Im BGH, Beschl. v. 20.08.2013 – 5 StR 352/13 – führt er aus:

2. Diese Begründung hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Eine Blutalkoholkonzentration von maximal 2,7 ‰ legt die Annahme einer erheblichen Herabsetzung der Hemmungsfähigkeit nahe, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für eine Tat wie die vorliegende ab einer Blutalkoholkonzentration von 2,0 ‰ in Betracht zu ziehen ist (vgl. mwN BGH, Urteil vom 29. April 1997 – 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 69, 72 ff.; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 21). Auch wenn es keinen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz darüber gibt, dass ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit in aller Regel vom Vorliegen einer alkoholbedingt erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit ausgegangen werden muss, ist der festgestellte Wert ein gewichtiges Beweisanzeichen für die Stärke der alkoholischen Beeinflussung (BGH, Beschlüsse vom 30. Juli 1997 – 3 StR 144/97, NStZ 1997, 592, vom 26. November 1997 – 2 StR 553/97, NStZ-RR 1998, 107, und vom 10. Januar 2012 – 5 StR 517/11, StraFo 2012, 109). Hinzu kamen weitere gewichtige Indizien für das Vorliegen einer alkoholbedingt erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit, nämlich die schon bei Tatvorbereitung fehlgeschlagene Herstellung einer Maske und die weitere Durchführung des Tatplans trotz des erheblich gesteigerten Verfolgungsrisikos, das mit dem Erkennen durch das Tatopfer verbunden war. Das Landgericht hat diese Beweisanzeichen als solche zwar nicht verkannt, ihren Beweiswert jedoch unzureichend gewürdigt.“

Tja, bei 2,7 Promille muss man schon noch ganz schön steuerungsfähig sein, wenn der § 21 StGB verneint werden soll. Denn mit dem Promillewert ist man ja nicht weit von der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) entfernt.