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Problem Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren I, oder: Erstattung von Sachverständigenkosten

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Am „Gebührentag“ heute zwei Entscheidungen zur Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren.

Zunächst stelle ich hier den LG Oldenburg, Beschl. v. 28.03.2022 – 5 Qs 108/20 – vor. Der Kollege Urbanzyk aus Coesfeld, der mir den Beschluss geschickt hat, hatte nach Einstellung des Verfahrens (§ 47 Abs. 2 OWiG) für den Betroffenen auch Ersatz der Kosten für ein Sachverständigengutachten der VUT und für ein anthropologisches Gutachten beantragt. Er hatte nur teilweise Erfolg:

„Grundsätzlich gehören auch Kosten für das von der Beschwerdeführerin eingeholte Gutachten des Sachverständigen Grün (VUT Sachverständigen GmbH & Co. KG) zu den nach § 464a Abs. 2 StPO zu erstattenden notwendigen Auslagen. Zwar sind private Ermittlungen in der Regel nicht notwendig, weil Bußgeldbehörde und Gericht bereits von Amts wegen zur Sachaufklärung verpflichtet sind. Die Möglichkeiten, gegebenenfalls Beweisanträge im Ermittlungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren zu stellen, muss der Betroffene bzw. Angeklagte daher grundsätzlich ausschöpfen, bevor private Sachverständigengutachten eingeholt werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 464a Rn. 16 m.w.N.). Eine Erstattungsfähigkeit kommt demgegenüber ausnahmsweise in Betracht, wenn sich die Prozesslage des Betroffenen aus seiner Sicht bei verständiger Betrachtung der Beweislage ohne solche eigenen Ermittlungen alsbald erheblich verschlechtert hätte oder wenn komplizierte technische Fragen betroffen sind, so dass insbesondere die Einholung eines Privatgutachtens im Interesse einer effektiven Verteidigung als angemessen und geboten erscheinen durfte (Gieg, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl., § 464a Rn. 7 m.w.N.).

So ist es hier: Zu Recht weist der Verteidiger darauf hin, dass die Bußgeldrichterin bereits mit der Ladung zum Hauptverhandlungstermin darauf hingewiesen hatte, dass ihrer Auffassung nach keine Zweifel an der Richtigkeit der Messung und Zuordnung des Fahrzeuges der Beschwerdeführerin bestanden haben. Ohne die Anbringung konkreter Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung wäre daher damit zu rechnen gewesen, dass das Gericht in der Hauptverhandlung einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens unter den erleichterten Voraussetzungen des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG sowie § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO ablehnen würde. Zur Überprüfung auf solche Zweifel war angesichts der technisch komplizierten Materie aber die Überprüfung durch einen Sachverständigen notwendig.

Die Sachverständigenkosten sind allerdings nicht in der geltend gemachten Höhe zu erstatten. Zwar sind die Kosten für ein privat eingeholtes Sachverständigengutachten nicht nach den Grundsätzen des JVEG zu erstatten. Diese können allerdings als Richtlinie herangezogen werden, auf deren Grundlage der privatrechtlich vereinbarte Stundensatz einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen ist (Beschl. der Kammer v. 17.01.2019 — 5 Qs 444/18, BeckRS 2019, 954 m.w.N.). Nach § 9 Abs. 1 i.V.m. Anlage 1 Nr. 38 JVEG in seiner bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung betrug der Stundensatz für Sachverständige im Bereich Verkehrsregelungs- und -überwachungstechnik 85 € und damit deutlich weniger als die vom Sachverständigen Grün geltend gemachten 140 E. Zwar ist nicht zwingend davon auszugehen, dass es einem Betroffenen möglich ist, einen geeigneten Sachverständigen zu den im JVEG vorgesehenen Vergütungssätzen zu gewinnen. Weicht der Stundensatz jedoch — wie hier — um 20 % oder mehr vom Stundensatz der entsprechenden Honorargruppe des JVEG ab, bedarf es für die Plausibilitätsprüfung-besonderer Darlegungen durch den Anspruchsteller (KG, Beschl. v. 20.02.2012 — 1 Ws 72/09, juris), die hier aber nicht erfolgt sind. Auch ist es nach Erfahrung der Kammer im hiesigen Bezirk durchaus möglich gewesen, geeignete Sachverständige, die auf Basis eines Stundensatzes von 100 EUR abrechnen, zu finden. Die erstattungsfähigen Gutachterkosten sind bei der abgerechneten Arbeitszeit von 5 Stunden entsprechend auf 500 € (netto) reduziert worden. Die übrigen insoweit geltend gemachten Kosten erscheinen demgegenüber grenzwertig, aber noch vertretbar.

Nicht erstattungsfähig sind hingegen die der Beschwerdeführerin angefallenen Kosten für ein anthropologisches Gutachten. Insoweit ist kein abgelegenes oder technisch schwieriges Sachgebiet betroffen (vgl. LG Essen, Beschl. v. 19.07.2021 — 27 Qs 35/21, 27 Qs – 95 Js 1037/19 – 35/21, juris). Angesichts der guten Bildqualität des Messfotos wäre im Rahmen der Hauptverhandlung zu klären gewesen, ob die Beschwerdeführerin hätte identifiziert werden können. Dies ist grundsätzlich ohne die Hilfe eines Sachverständigen möglich, der lediglich im Zweifelsfalle zu beauftragen gewesen wäre. Jedenfalls nach Aktenlage haben hierfür aber keine Anhaltspunkte bestanden. Bezeichnenderweise teilt der Verteidiger auch das Ergebnis des von ihm privat eingeholten Gutachtens nicht mit.“

Nicht erstattungsfähig sind hingegen die der Beschwerdeführerin angefallenen Kosten für ein anthropologisches Gutachten. Insoweit ist kein abgelegenes oder technisch schwieriges Sachgebiet“? Darüber kann man nur  lachen und man sieht es mal wieder: Es muss nur ein LG anfangen, so etwas zu vertreten – wie hier das LG Essen – dann beten es schnell andere Gerichte nach.