Manche Vorschriften in der StPO führen ein Schattendasein bwz. spielen nur sporadisch eine Rolle. So ist es m.E. mit § 99 StPO, der die sog. Postbeschlagnahme zulässt. Mit der Vorschrift hat sich jetzt gerade im BGH, Beschl. v. 27.10.2016 – 1 BGs 107/16 – der Ermittlungsrichter des BGH auseiander gesetzt. Und zwar hatte in einem Verfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zu einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a i.V.m. § 27 StGB der GBA beantragt, gemäß §§ 99, 100 Abs. 1, § 162 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO einem Paketzustelldienst aufzugeben, für einen bestimmten Zeitraum Auskunft zu erteilen über sämtliche Lieferungen, die u.a. an den Beschuldigten gerichtet waren. Die Auskunft sollte sich insbesondere auf die Namen und Anschriften der Absender, Hinweise auf den Inhalt der Lieferung(en), den Sendungsverlauf sowie alle Unterlagen, die Aufschluss über die Person(en) geben, die die Lieferung(en) in Empfang genommen hat/haben beziehen. Die Auskunftserteilung sollte ferner die Herausgabe von Unterlagen, insbesondere unterschriebenen Quittungen – auch in elektronischer Form -, die eine Identifizierung des tatsächlichen Empfängers ermöglichen, umfassen. Der Ermittlungsrichter des BGH hat diesen Antrag abgelehnt.
Er stützt die Ablehnung auf zwei Argumente:
- Nach Auffassung des Ermittlungsrichters sieht die StPO keine Eingriffsnorm für die Anordnung der begehrten Auskunftserteilung vor. Im Hinblick auf das Postgeheimnis aus Art. 10 Abs. 1 GG, § 39 PostG komme als einzig denkbare Rechtsgrundlage § 99 StPO in Betracht. Nach allgemeiner Meinung enthalte die Vorschrift des § 99 StPO als weniger einschneidende Maßnahme zur (Post)Beschlagnahme einen Auskunftsanspruch gegen das Postunternehmen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 99 Rn 14; Greven in: KK-StPO, 7. Aufl., § 99 Rn 11). Das Auskunftsverlangen sei jedoch nur dann von § 99 StPO gedeckt, wenn zum Zeitpunkt des Auskunftsersuchens die Voraussetzungen des § 99 StPO erfüllt seien, sich mithin die Postsendung noch im Gewahrsam des Postunternehmens befinde. Dies sei nicht der Fall.
- Eine Absage erteilt der Ermittlungsrichter dem im Beschluss des Ermittlungsrichters des BGH vom 11. o7. 2012 – 3 BGs 211/12 – und teilweise in der Literatur (KK/Greven, § 99 Rn 11; BeckOK StPO/Graf, Stand: 1. 7. 2016, § 99 Rn 16) vertretenen Auffassung, dass in entsprechender Anwendung § 99 StPO auch auf solche Postsendungen bezogen werden könne, die sich nicht mehr im Gewahrsam der Stelle befinden. Vielmehr sei § 99 StPO für die Verpflichtung zur Auskunftserteilung keine taugliche Eingriffsgrundlage, wenn sich die Postsendung nicht mehr im Gewahrsam des Postunternehmens befinde (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, a.a.O. Aufl.; LG Hamburg StV 2009, 404; LG Landshut, Beschl. v. 21.5.2012 – 6 Qs 82/12). Die Zulässigkeit der Auskunftserteilung über Umstände, die dem verfassungs- und einfachrechtlich geschützten Postgeheimnis unterliegen, sei gesetzlich nicht explizit geregelt. Im Gesetzgebungsverfahren zu § 39 PostG sei diese Problematik gesehen und ausführlich diskutiert worden. Der Bundesrat hatte insoweit angeregt, mit Blick auf § 39 PostG ein Auskunftsrecht ausdrücklich gesetzlich zu regeln. Dem sei die Bundesregierung mit dem Hinweis entgegengetreten, nach h.M. sei in der Beschlagnahmebefugnis das geringere Recht enthalten, von einem Postunternehmen Auskunft zu verlangen, so dass weiterer Gesetzgebungsbedarf nicht bestehe (vgl. BT-Drs. 13/8453, S. 4, 12; Menges in: LR, 26. Aufl., § 99 Rn 29). Der Gesetzgeber habe sich damit bewusst dafür entschieden, einen über § 99 StPO hinausgehenden Auskunftsanspruch nicht zu regeln. Bereits aus diesem Grund verbiete sich eine über den originären Anwendungsbereich des § 99 StPO hinausgehende analoge Anwendung der Norm auf Auskünfte betreffend Postsendungen, die sich nicht mehr im Gewahrsam des Postunternehmens befinden. Eine analoge eingriffserweiternde Anwendung sei ferner aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zulässig, denn der Schutz des Grundrechts aus Art. 10 Abs. 1 GG erstreckt sich auch die Aspekte, ob, wann und warum zwischen mehreren Beteiligten unter welchen Umständen eine Korrespondenz stattgefunden habe. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der Rechtsprechung, eine Gesetzeslücke zu schließen.