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Haft III: Keine Akteneinsicht beim nicht vollstreckten Haftbefehl, oder: Ob das richtig ist, wage ich zu bezweifeln

entnommen der Homepage der Kanzlei Hoenig, Berlin

Und die dritte Entscheidung kommt aus Bayern. Der OLG München, Beschl. v. 22.01.2019 – 2 Ws 51/19 – nimmt zur Frage der Akteneinsicht bei bestehendem Ergreifungshaftbefehl Stellung, wenn U-Haft noch nicht vollstreckt wird. Das OLG lehnt die Akteneinsicht ab. Die Leitsätze der Entscheidung – so stehen sie bei Bayern.Recht, stammen aber wohl von Beck-Online.

1. Der Begriff „Verhaftung“ im Sinne des § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO (weitere Beschwerde) umfasst auch Entscheidungen über die Anordnung oder Aufrechterhaltung eines Freiheitsentzugs, auch wenn die angefochtene Entscheidung aktuell nicht vollzogen wird.

2. Solange in einem laufenden Ermittlungsverfahren ein bestehender Ergreifungshaftbefehl gegen den untergetauchten Beschuldigten noch nicht vollstreckt ist, hat der Verteidiger weder einen Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht noch auf Mitteilung des Haftbefehls. Darin liegt weder eine Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG noch des Anspruchs auf Gewährleistung einer effektiven Verteidigungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG.

Na, ob das so richtig ist, wage ich zu bezweifeln – ist aber (leider) h.M. in der Rechtsprechung. Übersehen wird m.E., dass der Beschuldigte bzw. sein Verteidiger im Beschwerdeverfahren einen Anspruch auf Akteneinsicht hat. Zwangsmaßnahmen, also auch ein Haftbefehl, dürfen nur auf die bekannten Umstände/Tatsachen gestützt werden. Will die Staatsanwaltschaft die nicht bekannt machen, dann muss sie den Haftbefehlsantrag eben unterlassen. Alles andere führt dazu, dass man den Beschuldigten inzidenter zwingt, sich zu stellen, damit der Haftbefehl vollstreckt wird und er dann die dem Haftbefehl zu Grunde liegenden Tatsachen pp. erfährt. Macht es für die Ermittlungsbehörden zwar schwieriger, aber ist dann nun mal so….

Totalschaden beim Rennrad, oder: Gilt die 130 %-Rechtsprechung?

entnommen openclipart.org

Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um das OLG München, Urt. v. 16.11.2018 – 10 U 1885/18. Es geht in ihm um die Höhe des Schadensersatzes bei einem Totalschaden eines Rennrades. Das OLG München hat die sog. 130 % – Grenze angewendet:

„a) Grundsätzlich kann ein Geschädigter im Totalschadensfalle ausnahmsweise die voraussichtlichen Reparaturkosten zzgl. einer etwaigen Wertminderung erstattet verlangen, wenn diese Summe den Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30 % übersteigt (BGH VersR 1992,61; BGH r+s 2003, 303; r+s 2005, 172; r+s 2009, 434; r+s 2010, 128; Jahnke in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. A., § 249 BGB, Rn. 65). Maßgeblich für die Berechnung ist grundsätzlich die Reparaturkostenkalkulation des Sachverständigen, nicht der schlussendlich tatsächlich angefallene Reparaturaufwand. Der Restwert des Fahrzeuges wird bei dieser Berechnung nicht berücksichtigt. Grundlage dieser Rechtsprechung ist das besondere Integritätsinteresse des Geschädigten. Damit soll faktisch sichergestellt sein, dass das Eigentum des Geschädigten für den Bedarfsfall in seiner konkreten Zusammensetzung und nicht nur dem Wert nach erhalten bleiben kann. Der Reparaturkostenersatz erfolgt allerdings nur nach tatsächlich durchgeführter, fachgerechter Reparatur im Umfange des Sachverständigengutachtens (BGH DAR 2005, 266), jedenfalls aber in einem Umfang, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigt (BGH DAR 2005, 268 [269]). Eine Teilreparatur ist nicht ausreichend. Setzt der Geschädigte nach einem Unfall sein Kraftfahrzeug nicht vollständig und fachgerecht in Stand, ist regelmäßig die Erstattung von Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungswert nicht gerechtfertigt. Im Hinblick auf den Wert der Sache wäre eine solche Art der Wiederherstellung im Allgemeinen unvernünftig und kann dem Geschädigten nur ausnahmsweise im Hinblick darauf zugebilligt werden, dass der für ihn gewohnte und von ihm gewünschte Zustand des Fahrzeuges auch tatsächlich wie vor dem Schadensfall erhalten bleibt bzw. wiederhergestellt wird (vgl. BGH VersR 2007, 1244; BGHZ 162, 161, 168; BGH VersR 1972, 1024 und VersR 1985, 593, 594). Dass der Geschädigte Schadensersatz erhält, der den Wiederbeschaffungswert übersteigt, ist deshalb mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot und Bereicherungsverbot nur zu vereinbaren, wenn er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeuges wie vor dem Unfall wieder herstellt.

b) Diese zu beschädigten Kraftfahrzeugen ergangene Rechtsprechung ist nach Auffassung des Senats auch für ein, wie hier nahezu vollständig beschädigtes Rennrad, übertragbar. Entgegen der Ansicht des Klägers gibt es keinen Grund, bei Fahrrädern, welche die letzten Jahrzehnte ebenfalls wie Kraftfahrzeuge eine stetige technische Weiterentwicklung vollzogen haben, die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für Kraftfahrzeuge hier nicht anzuwenden. Der Kläger betont im vorliegenden Rechtsstreit gerade die Besonderheiten im Hinblick auf den beim beschädigten Fahrrad vorhanden Karbonrahmen. Selbst wenn das Fahrrad nach den Angaben des Klägers zu einem Liebhaberstück wurde, ist zu bedenken, dass es sich nach den Angaben des Sachverständigen Dipl.-Ing. Albert S. um ein Komplettrad der Marke Scott handelte, welches einen relativ geringen Wiederbeschaffungswert aufweist. Nicht überzeugend ist der Einwand des Klägers, wonach für die Frage der Unverhältnismäßigkeit der Reparatur auch andere Umstände als das reine Wertverhältnis, wie der Grad des Verschuldens, zu berücksichtigen seien. Die zitierte Entscheidung des BGH (vgl. BGH MDR 1988, 213) betraf den Ersatz von Aufwendungen im Rahmen eines Auftragsverhältnisses und keinen Schaden im Rahmen eines Verkehrsunfalles. Das Verschulden wird hier bereits im Rahmen der Haftungsquote berücksichtigt.“

Fristbeginn des Fahrverbots bei ausländischer Fahrerlaubnis, oder: OWi meets Strafrecht

entnommen wikimedia.org
Urheber Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium des Innern

Heute dann ein wenig Verkehrsrecht. Den Reigen beginne ich mit dem OLG München, Urt. v. 19.09.2018 – 4 OLG 14 Ss 228/18. Es ist auf die Revision der Staatsanwaltschaft ergangen. Die hatte sich gegen den Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gewandt.

Auszugehen war von folgendem Sachverhalt:

„Der Angeklagte ist griechischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Salzburg/Österreich. Er ist jedenfalls seit dem 24. September 2014 im Besitz einer griechischen Fahrerlaubnis.

Gegen den Angeklagten war mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgelsstelle Viechtach vom 16. Juni 2016, Az: pp. , ein Fahrverbot von einem Monat verhängt worden. Der Bußgeldbescheid ist seit dem 15. Juli 2016 rechtskräftig. Dem Bußgeldbescheid lag eine Tat vom 7. April 2016 zugrunde. In den zwei vorangegangenen Jahren war gegen den Angeklagten kein Fahrverbot verhängt worden, ebenso wenig bis zum Erlass des Bußgeldbescheids. Mit dem Bußgeldbescheid wurde der Angeklagte hinsichtlich der Wirksamkeit des Fahrverbots über die Regelung des § 25 Abs. 2a StVG belehrt und hinsichtlich des Vollzugs des Fahrverbots über die Notwendigkeit, entweder im ausländischen Führerschein das Fahrverbot vermerken zu lassen oder den ausländischen Führerschein in amtliche Verwahrung zu geben, sowie über die Notwendigkeit, den Führerschein mittels Einschreiben an die Zentrale Bußgeldstelle des bayerischen Polizeiverwaltungsamtes zu übersenden. In der Belehrung wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Fahrverbotsvollzug mit Eingang des Führerscheins bei der Zentralen Bußgeldstelle in Viechtach zu laufen beginnt. Der Angeklagte übersandte mit Schreiben des von ihm beauftragten Rechtsanwalts, des Zeugen Jpp.  pp. , vom 29. Juli 2016 Kopien von Vorderund Rückseite seines griechischen Führerscheins an das Bayerische Polizeiverwaltungsamt-Zentrale Bußgeldstelle; in einem beigefügten Schreiben teilte Rechtsanwalt Rpp.  mit, die Übersendung der Führerscheinkopien erfolge, um das einmonatige Fahrverbot in Lauf zu setzen. Das Polizeiverwaltungsamt vermerkte einen Fahrverbotsvollzug vom 30. Juli 2016 bis 29. August 2016 und teilte dem Zeugen Rpp.  mit Schreiben vom 3. August 2016 die Daten dieses Vollzugs mit. Der Angeklagte wurde in der Folge zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt durch den Zeugen Rpp.  in Kenntnis gesetzt.

Am 1. August 2016 gegen 17.27 Uhr fuhr der Angeklagte mit dem PKW Audi, amtliches Kennzeichen pp.  auf der Bundesstraße 20 bei Abschnitt 700-Km 2.900 in Fahrtrichtung B. im Gemeindegebiet von 8. B.. Dabei überschritt er die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nach Abzug von Toleranz um 17 km/h. Wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung wurde ein Bußgeld von 30 € verhängt, welches der Angeklagte in der Folge bezahlte.

Das LG hat den Angeklagten frei gesprochen. Dagegen dann die Revision der StA, die keinen Erfolg hatte:

„Das Landgericht ging zu Recht davon aus, dass das mit Bußgeldbescheid vom 16. Juni 2016 verhängte Fahrverbot, rechtskräftig seit 15. Juli 2016, zur Tatzeit am 1. August 2016 noch nicht in Lauf gesetzt worden war.

Gemäß § 25 Abs. 2a StVG hatte der Angeklagte ab Rechtskraft des Bußgeldbescheids 4 Monate Zeit, das Fahrverbot anzutreten, mithin bis zum 15. November 2016.

Gemäß § 25 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StVG beginnt die Fahrverbotsfrist mit Anbringung eines entsprechenden Vermerks im ausländischen Führerschein. Darüber wurde der Angeklagte im Bußgeldbescheid auch ordnungsgemäß nach § 25 Abs. 8 StVG belehrt. Der Angeklagte hat seinen griechischen Führerschein jedoch nicht bei der Behörde vorgelegt und es wurde kein entsprechender Vermerk in seinem Führerschein angebracht. Auch wurde der Originalführerschein nicht in Verwahrung gegeben. Durch die Anbringung eines Vermerks im Führerschein oder auf dem Führerschein wird dem Betroffenen eindeutig zur Kenntnis gebracht, dass ein Fahrverbot in der Bundesrepublik Deutschland verhängt wurde. Dies ist bei Überprüfung durch Polizeibeamte im Rahmen von Polizeikontrollen auch sofort zu ersehen. Gleiches gilt für Inhaber deutscher Führerscheine, bei denen gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 StVG der Führerschein in Verwahrung genommen wird und der Führerschein bei einer Polizeikontrolle nicht vorgezeigt werden kann, was die kontrollierenden Polizeibeamten zu weiteren Nachforschungen zwingt.

Der Fristbeginn des Fahrverbots hängt gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 StVG davon ab, wann bei Inhabern ausländischer Führerscheine die Verwahrung vollzogen wird oder der Vermerk im Führerschein angebracht wird. Dies dient auch zur Sicherheit des Betroffenen für den unmissverständlich ersichtlich ist, dass das Fahrverbot in Kraft ist. In beiden Fällen wird eindeutig ein Hoheitsakt durchgeführt hinsichtlich des Originalführerscheins, was bei einer Führerscheinkopie, die verwahrt wird, nicht der Fall ist. Soweit das Bayerische Polizeiverwaltungsamt aus Gründen der Praktikabilität den Vollzug des Fahrverbots durch Übersendung von Kopien ausländischer Führerscheine in Lauf setzen will, sieht das Gesetz diese Möglichkeit nicht vor, weshalb auch keine erweiterte Belehrung hinsichtlich der Übersendung von Führerscheinkopien erfolgt ist. Dies kann nicht zu Lasten des Betroffenen gehen, der sich durch diese erweiterte über den Gesetzestext hinausgehende Auslegung strafbar machen würde. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist die Ansicht der Staatsanwaltschaft, ein InVerwahrung-Geben der Führerscheinkopie ist mit einem In-Verwahrung-Geben eines Führerscheins gleichzusetzen, abzulehnen. Analoge Anwendungen zu Lasten Betroffener im Rahmen von Strafvorschriften sind grundsätzlich nicht zulässig. Insoweit gilt der Grundsatz,,keine Strafe ohne gesetzliche Regelung“ (Art. 103 Abs. 2 GG).

Auch das Argument, der Vermerk mit einem Aufkleber im Führerschein könne entfernt werden, greift nicht durch. Das widerrechtliche Entfernen des Vermerks wäre ein strafbares Urkundendelikt gemäß § 267 Abs. 1 StGB.“

Dauerbrenner Mittagspause, oder: Beratungsbedarf beim OLG München

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Die zweite Entscheidung des heutigen Tages kommt auch aus Bayern – das lässt schon nichts Gutes vermuten. Und dann auch noch vom OLG München, das mal wieder zum Längenzuschlag des Pflichtverteidigers Stellung genommen hat. Konkret ging es im OLG München, Beschl. v. 24.05.2018 – 6 St (K) 8/17 – ergangen im NSU-Verfahren – um die Fragen der Berücksichtigung von längeren Pausen, insbesondere von (Mittags)Pausen, bei der Berechnung der für den Längenzuschlag maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer.

Nun die Rechtsprechung des OLG München dazu ist bekannt: Die Zeit der Mittagspause wird nicht in die Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung eingerechnt (vgl. hierzu Beschl. v. 23.10.2008, 4 Ws 150/08; Beschl. v. 12.11.2007, 2 Ws 807­809/07; Beschl. v. 01.02.2007 – 1 Ws 117/07; Beschl. v. 21.11.2011, 6 Ws 20/11).Und wir wissen: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als das das OLG München seine Rechtsprechung ändert.

So auch hier. Aber das macht den Beschluss nicht berichtenswert. Das Besondere liegt vielmehr in Folgendem:

„Soweit der Erinnerungsführer darauf abstellt, der Vorsitzende habe bei Beratungsbedarf auf die Mittagspause verwiesen, ändert dies nichts an der oben getroffenen Einschätzung. Es liegt hier allenfalls eine Anregung des Vorsitzenden vor, keinesfalls aber die verbindliche Anordnung, die Mittagspause in einer bestimmten Weise zu nutzen. Überdies wäre auch keine Ermächtigungsgrundlage für den Vorsitzenden zu einer derartigen Anordnung ersichtlich.

Soweit Unverständnis geäußert wird, weshalb auch andere längere Unterbrechungen nicht abgezogen werden, ist auf die obigen Ausführungen zur Prozessneutralität zu verweisen. Der Einzelrichter hat selbst an der gesamten bisherigen Hauptverhandlung teilgenommen. Es sind ihm in diesem Zusammenhang keine Pausen außerhalb der Mittagspause aufgefallen, die nicht durch Regenerations- und/oder Besprechungsbedarf gerechtfertigt gewesen wären. Die Argumentation mit den „aufgezwungenen“ Pausen schließt im Ergebnis an die nicht überzeugende Argumentation des Oberlandesgericht Brandenburg mit der Vorbemerkung Teil 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG an. Folge einer einheitlichen Betrachtung aller Unterbrechungen müsste im Übrigen nicht denknotwendig die Einbeziehung aller Pausen in die Verhandlungsdauer sein, sondern sie könnte sich auch im Abzug sämtlicher Pausen manifestieren.

Die vom Erinnerungsführer geltend gemachte Nutzung der Mittagspause zu Mandanten- und Verteidigergesprächen im Einzelfall steht einer Bewertung der Mittagspause als prozessneutrale Zeit nicht entgegen, weil aus Gründen der Vereinfachung bei zahlreichen Verfahrensbeteiligten ein einheitlicher Schlüssel zur Berechnung gelten muss. Hier aber bietet die Absetzung der einstündigen Mittagspause jene Lösung, die der tatsächlichen Nutzung der Pause durch den überwiegenden Teil der Beteiligten, insbesondere die Nebenklägervertreter entspricht, deren Mandanten zumeist nicht für Gespräche zur Verfügung standen. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht geboten, dem Antrag des Erinnerungsführers am Ende seines Schriftsatzes vom 27. April 2018 näher zu treten, weil Einzelfälle in der Person des Erinnerungsführers nicht geeignet sind, das bewährte System der Bestimmung der Verhandlungsdauer unter pauschalem Abzug der Mittagspause in Frage zu stellen. Dem Erinnerungsführer ist dieses System seit Jahren bekannt. Es hätte damit die Möglichkeit gehabt, den Vorsitzenden bei gegebenem Anlass auf die aus seiner Sicht bestehende Problematik hinzuweisen und ggf. längere Unterbrechungen zu beantragen.“

Wenn man es liest, fragt man sich: Lachen oder Weinen? Der Vorsitzende weist auf die Mittagspause hin, wenn Beratungsbedarf besteht. Wird die Mittagspause dann dazu genutzt, soll die Zeit dem Verteidiger aber dennoch nicht bei der Berechnung der Hauptverhandlungsdauer „gut geschrieben“ werden. Diese Argumentation zeigt m.E. als deutlich, dass die Entscheidung des OLG falsch ist.

Pauschgebühr und „Konfliktverteidigung“, oder: Wenn u.a. die Vernehmung von u.a. Trump, Putin, Macron und Assad beantragt wird

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Pauschvergütungsentscheidungen gibt es kaum noch, und wenn, sind sie meist nachteilig. Heute stelle ich hier mal wieder eine vor, und zwar den OLG München, Beschl. v. 16.03.2018 – 8 St (K) 3/18. Ergangen ist die Entscheidung in einer Staatsschutzsache. Gestritten wird mal wieder um die Frage des besonderen Umfangs und der besonderen Schwierigkeit. Zum besonderen Umfang meint das OLG, dass der Aktenumfang zwar mit 11 Bänden bis zur Anklageerhebung überschaubar gewesen sei. Eine gewisse Kompensation des Umfangs werde zudem bereits durch die erfolgte Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers bewirkt. Das Argument halte ich für fragwürdig und steht bei Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl.,  § 51 Rn. 164 auch so.

Zur „besonderen Schwierigkeit“, die das OLG (auch) verneint hat, verweist das OLG u.a. auf seine Rechtsprechung, wonach Staatsschutzsachen nicht generell besonders schwierig im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG sind (vgl. OLG München, Beschl. v. 02. Juni 2017 – 8 St (K) 1/17).

Interessant dann die Ausführungen des OLG zu den vom Verteidiger ins Feld geführten Argument, dass die Verteidigung „zahlreiche „umfangreiche und notwendige“ Anträge stellte, die ihrer Auffassung nach erforderlich waren“. Das sieht das OLG anders, aber weiter als das OLG Hamm, dass sich zu der Frage der „unnötigen“ Anträge auch vor einiger Zeit geäußert hat:

„Da im Rahmen der Verteidigungsstrategie dem Rechtsanwalt ein weiter Spielraum zuzugestehen ist, sieht der Senat deren Grenzen nicht zwingend dort, wo Anträge dem Bereich der Konfliktverteidigung zuzurechnen sind oder von einem durch Wahlverteidiger vertretenen Angeklagten nicht gestellt worden wären (so OLG Hamm Beschluss vom 23. Juli 2012 – 5 RVGs 65/12 Rdn. 7 f. zit. nach juris; OLG Köln Beschluss vom 02. Dezember 2005 – 2 ARs 223/05 Rdn. 3 zit. nach juris). Dies gilt ungeachtet der Frage der Definition des Begriffs der Konfliktverteidigung (vgl. hierzu Dahs Handbuch des Strafverteidigers 8. A. Rdn. 450 mwN).

Die Grenze ist jedoch eindeutig dort zu ziehen, wo der Bereich angemessener und sinnvoller Verteidigung überschritten wird (vgl. Burhoff/Volpert aaO Rdn. 25), insbesondere wenn Anträge gestellt werden, bei denen ein ernst gemeintes Aufklärungsbemühen fernliegt.

Hierunter fällt ersichtlich der am 07.11.2016 gestellte Antrag,

– die Ehefrau des Angeklagten in Raqqa/Syrien im Rechtshilfeweg zu vernehmen, wobei einerseits ihr genauer Aufenthalt zunächst noch anhand der Geodaten eines Handyvideos aus dem Februar 2015 zu ermitteln sei, im schriftlichen Antrag aber zugleich behauptet wird, sie stehe „in Raqqa gerne für eine Aussage zur Verfügung“

– und dem Senat zudem anheimgestellt wurde, zum Zwecke der Vernehmung dieser Zeugin ein Rechtshilfeersuchen „an Al-Baghdadi zu stellen, hilfsweise an die syrische Regierung“. Die Vernehmung werde dann unter Anwesenheit der Beteiligten „entweder von einem Shariarichter des IS oder

– eines Richters des völkermörderischen Assad-Regimes durchgeführt werden“.

In die gleiche Richtung gehen Anträge auf Vernehmung der Verteidigungsminister der USA, Frankreichs und Russlands sowie des Königs von Jordanien und des syrischen Staatspräsidenten zur Anzahl und Häufigkeit von Luftangriffen und sonstigem Beschuss auf Raqqa, die sämtlich als bedeutungslos bzw. aus den Gründen des § 244 Abs. 5 S. 2 StPO abgelehnt wurden, ungeachtet der Frage, inwieweit eine Ladung dieser Personen völkerrechtlich überhaupt zulässig wäre (vgl. BVerwG Beschluss vom 30. September 1988 – 9 CB 47/88) und dass erkennbar war, weshalb diese Zeugen eigene zeugnisfähige Wahrnehmungen zu diesen Beweisthemen haben sollten.

Auch die Sinnhaftigkeit und Angemessenheit perplexe Anträge, etwa dahingehend, das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen, welches einerseits damit begründet wurde, dass diverse beim Berliner Landesamt für Verfassungsschutz und beim BND gesicherte Chatverläufe und Screenshots der Kommunikation zwischen dem Angeklagten und seinem Bruder durch das BKA nicht zu den Ermittlungsakten genommen worden seien, die Aktenvollständigkeit somit nicht gegeben sei, und andererseits damit, dass gerade die Zusammenarbeit von BKA mit BND und Verfassungsschutz gegen das Trennungsverbot verstoße (vgl. Anlage 7.3 Seite 3, Anlage 11.3 Seite 3 f. zum Hauptverhandlungsprotokoll) erscheint in diesem Sinne zweifelhaft.“

Ich denke, das passt so, steht ja auch so im RVG-Kommentar 🙂 . Die Ausführungen des OLG zur „Zumutbarkeit“ – die nicht überraschen, waren daher dann überflüssig.